Mr. Streif Naglich: "Dann killt man den Abfahrtssport"

Axel Naglich war lange Vorläufer in Kitzbühel. Mittlerweile ist er Rennleiter.
Axel Naglich über die Herausforderungen und Hoffnungen als Renndirektor in Kitzbühel.

Von seinem Wohnzimmer aus hat Axel Naglich freie Sicht auf den Zielhang der Streif. "Das ist mein Berg", sagt der 48-Jährige, "die Rennläufer waren die Helden meiner Kindheit." Der Architekt und Extremskifahrer (Mount St. Elias) war bei der berühmtesten Abfahrt Vorläufer, seit einigen Jahren ist er Rennleiter.

KURIER: Herr Naglich, wie undankbar ist der Job?

Axel Naglich: Wenn alles glatt läuft, fragt keiner, wer Rennleiter ist. Aber wehe es geht etwas schief – dann muss immer ein Schuldiger her. Wobei die Frage schon erlaubt sein muss: Geht es wirklich um die Schuldfrage, wenn hier runter etwas passiert?

Worum geht es denn?

Abfahrtslauf ist nun einmal gefährlich. Wir reden da von einem Risikosport, der nicht immer unter Laborbedingungen stattfindet. Das ist zwangsläufig eine Gratwanderung. Und wenn man mit 140 km/h praktisch in der Unterwäsche herum schießt, dann kann das leicht in die Hose gehen.

Vor einem Jahr ging – um in Ihren Worten zu sprechen – einiges in der Hose. Nach den vielen Stürzen hagelte es Kritik.

Was mich persönlich am meisten gestört hat: Diejenigen, die damals am lautesten geschrien und den größten Blödsinn geredet haben, haben am wenigsten Ahnung. Seien wir doch ehrlich: Wenn’s nicht Svindal und Reichelt gewesen wären, die’s da oben geschmissen hat, dann hätte kein Hahn danach gekräht. Aber eines können Sie mir auch glauben.

Was denn?

Wir wollen in erster Linie ein schönes Rennen durchführen. Da können wir solche Sachen nie brauchen. Wenn dauernd der Rettungshubschrauber fliegt, geht das an der Idee vorbei. Es soll ja ein Skifest sein, und eine Sportveranstaltung unter fairen Bedingungen. Nur weil vielleicht kein blauer Himmel ist, heißt das deshalb aber noch lange nicht, dass es nicht fahrbar ist. Da sind dann schon auch die Fahrer gefordert, selbst einzuschätzen, wie weit sie gehen können. Manchmal kann ich eben nicht 120 Prozent riskieren. Und wenn’s dann knallt und die Streif ihre Krallen zeigt, dann ist der Aufschrei groß und alle sagen: ,Um Himmels willen.’ Man sollte ehrlicher damit umgehen.

Ehrlicher?

Wenn’s zwanzig Jahre lang auf der Streif keinen aufstellt, dann würde auch kein Mensch glauben, dass das die schwierigste Abfahrt der Welt ist. Das soll jetzt nicht heißen, dass wir die Stürze provozieren und gutheißen. Aber eines muss auch jedem klar sein: So lange wir da über die Streif herunterfahren, wird es Stürze geben – und damit zwangsläufig auch schwere Verletzungen. Und wenn man damit nicht leben will, wenn man das nicht akzeptieren will, dann darf man das Rennen nicht machen.

Brot und Spiele der Moderne sozusagen.

Deswegen interessiert’s die Leute ja auch.Wir hatten letztes Jahr extrem hohe Einschaltquoten. Aber keiner will das sehen, niemand will das haben. Wenn so was wie im Vorjahr passiert, bedeutet das für uns ein bisschen Kritik. Für einen Fahrer bedeutet es natürlich womöglich aber das Karriereende. Und dann heißt es oft sofort, dass sie dafür zu wenig Geld kriegen.

Bekommen die Abfahrer denn zu wenig Geld?

Einer, der mit 120 km/h die Streif runter schießt, der könnte vor mir aus auch gerne eine Million Euro kriegen. Nur spielt’s das halt nicht. So ehrlich müssen wir auch sein. Skisport ist in Österreich eine Riesennummer, aber global gesehen keine Einsersportart, eher sogar ein Mikrosport. In 70 Prozent der Sportarten verdienst du keinen Cent, insofern braucht ein österreichischer Skifahrer, der sich im vorderen Feld bewegt, nicht jammern.

Gibt es irgendwelche Reaktionen auf die Stürze von 2016?

Natürlich haben wir sehr viel herumdiskutiert. Wir haben auch das Loch gesucht, das Hannes Reichelt gesehen haben möchte. Wir haben es aber nicht gefunden. Reichelt hat uns damals ja auch geraten, wir sollten die Streif nicht schwerer machen, als sie ohnehin schon ist. Ich finde es erstaunlich: Am Dienstag im ersten Training hat sich keiner beschwert. Wie kann eine Piste am Dienstag super sein und drei Tage später ein Wahnsinn? Die Streif wird halt massiv schwieriger, wenn man Risiko nimmt. Überhaupt kommen die Leute auf die verrücktesten Ideen.

Zum Beispiel?

Es gibt dort oben am Hausberg einen Weg, bei uns heißt der "Goasweg". Da haben einige nach dem letzten Jahr ernsthaft gemeint, wir sollen den wegbaggern. Dagegen verwehre ich mich: Der "Goasweg" war immer schon da und ist eine Eigenheit der Streif. Natürlich ist diese Abfahrt nicht zeitgemäß, man würde so eine Strecke heute vermutlich in der Form nicht zulassen. Aber ist das nicht der Charakter der Klassiker? Wenn man Wengen hört, denkt man als Erstes an die Mauer, das Kernen-S und den Tunnel. Genau das macht den Mythos aus. Wir haben auch solche Passagen. Wenn man die weg macht, dann killt man den Abfahrtssport. Dann interessiert das keinen mehr.

Wann ist für Sie die Hahnenkammabfahrt gelungen?

Wir hätten gerne als Endprodukt ein faires Rennen, einen würdigen Sieger, keine Verletzungen und keine blöden Streitereien von Semi-Experten. Meine Aufgabe ist es, alle Fahrer da runter zu bringen. Ich bin immer heilfroh, wenn alles vorbei ist und nicht passiert ist. In Wahrheit ist es ja relativ erstaunlich, dass es in Kitzbühel noch nie einen Toten gegeben hat. Wir wollen doch alle hoffen, dass es auch so bleibt.

Nachdem im Vorjahr etliche Rennläufer (Svindal, Reichelt, Streitberger) nach der Hausbergkante im Fangnetz gelandet waren, wurden in Kitzbühel Konsequenzen gezogen. "Wir wollen das aber nicht als Schuldeingeständnis verstehen, sondern einfach als Verbesserung", erklärt Renndirektor Naglich.

Kurssetzung In der Passage vor der Hausbergkante wird ein Linksschwung eingebaut. "Wir erhoffen uns davon, dass die Geschwindigkeit um fünf km/h runtergeht. Das sollte uns über den gesamten Hausberg runter helfen", sagt Naglich. Zudem wird im Super-G am Freitag der Kurs so ausgeflaggt, dass die Abfahrtspiste möglichst wenig beeinträchtigt wird.

Beleuchtung Entlang der gefährlichen Schrägfahrt nach der Hausbergkante macht den Läufern traditionell auch die schlechte Sicht zu schaffen. Deshalb wird an dieser Stelle ein Flutlicht installiert. "Manche behaupten, dass das wenig bringt, aber wir versuchen es", sagt der Rennleiter. Möglicherweise wird das Licht ohnehin nicht benötigt. Für Samstag ist Postkartenwetter angekündigt.

Beginnzeit Statt wie im Vorjahr um 11.45 Uhr, wird am Samstag die Abfahrt bereits um 11.30 Uhr gestartet. "So haben wir mehr Sonne in der Strecke. Das sollte uns auch helfen", sagt Naglich.

Pistenmarkierung Die Kitzbüheler wollen die blauen Markierungslinien auf der Piste behutsam einsetzen. "Oft ist da durch die Gegend gespritzt worden, zu viele Linien irritieren", so Naglich.

Europacup-Abfahrt

Start über der Mausefalle, Ziel Oberhausberg:
1. Roulin (SUI) 1:22,78
2. Smiseth Sejersted (NOR) +0,04 Sekunden
...
6. Johannes Kröll (AUT) + 0,56

Weltcup-Programm

Zwei Trainingsläufe (Dienstag, Mittwoch oder Donnerstag)
Freitag: Super-G (11.30)
Samstag: Abfahrt (11.30)
Sonntag: Slalom (10.30/13.30)

Wettervorhersage

Bis zur drei Zentimeter Neuschnee am Dienstag. Am Mittwoch zu 90 Prozent Sonnenschein. Ab Donnerstag wird es weniger frostig, Freitag und Samstag steigen die Temperaturen über null Grad.

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