Radsport: Die Tage, an denen harte Männer weinen
Italien - Land der Sonne und der Wärme. Nicht immer! Gerade beim Giro d'Italia mussten die Radprofis in den vergangenen hundert Jahren immer wieder Höllenqualen durchstehen, zumeist verursacht durch einen Wintereinbruch in den Bergen.
- Etwa am 6. Juni 1965, als sich am Stilfser Joch (2.757 m) unglaubliche Szenen abspielten. Meterweise türmte sich der Schnee, Zuschauer griffen zu den Schaufeln, um die Straße zu räumen. Es gelang nur teilweise.
- Oder am 5. Juni 1988, als sich der Gavia-Pass (2.652 m) in ein weißes Inferno verwandelte. Der Niederländer Johan van der Veldes stürmte im Kurzarmtrikot davon, doch auf dem Pass verließen ihn im Schneetreiben all seine Kräfte. Seine Betreuer hoben ihn auf der Passhöhe völlig durchfroren und verzweifelt vom Rad. Das Ziel im Tal erreichte Van der Veldes schließlich doch - 47 Minuten nach dem Sieger. Profitiert hat damals Andrew Hampsten aus den USA. Der hatte sich als einer der wenigen dicke Neoprenhandschuhe besorgt, mit denen er auch in der Abfahrt noch Gefühl in den Fingern hatte. Zudem hatte ihn das Team mit heißem Tee versorgt. Später schrieb er über diesen Tag einen Bericht. Der Titel: "Der Tag, an dem starke Männer weinten".
- Seitdem sind die Organisatoren deutlich schneller bereit, ein Rennen wegen Schneefalls zu verkürzen. So wie am 18. Mai 2013, als der völlig eingeschneite Wintersportort Sestriere umfahren wurde. Der Sieg ging an Mauro Santambrogio, der danach zitternd im Ziel zusammenbrach. Das Tragische an der Geschichte: Alle Qualen waren umsonst, der Italiener wurde des EPO-Dopings überführt und der Etappensieg wurde ihm wieder gestrichen.
Heuer ist die Chance auf Neuschee beim Giro höher denn je. Denn wegen der Corona-Pandemie beginnt die dreiwöchige Rundfahrt am Freitag - und damit fast fünf Monate nach dem geplanten Termin. In der Schlusswoche (also mitten im Oktober) geht es über die hohen Alpenpässe wie Stilfser Joch (2.750 m) oder Colle dell'Agnello (2.740).
Ungeachtet der besonderen Umstände inklusive strengem Corona-Protokoll wollen es die Österreicher Patrick Konrad und Hermann Pernsteiner möglichst lange mit den Stars um Geraint Thomas (Ineos) und Vincenzo Nibali (Trek) aufnehmen. Konrad gelang vor zwei Jahren als Siebenter bereits ein Giro-Spitzenplatz, Pernsteiner war im Vorjahr bei der Vuelta als schlussendlich 15. lange auf Top-Ten-Kurs. „Es wird schon sehr wechselhaft sein. Ich stelle mich schon darauf ein, dass wir einige Tage im Regen fahren werden", sagte Konrad, der erst am Mittwoch den Fleche Wallonne als Siebenter beendet hat. Und Pernsteiner weiß schon jetzt, dass es ein "brutal schwieriger Giro" werden wird.
Im Kampf um das Rosa Trikot soll es für die Italiener einmal mehr der Vorjahreszweite Nibali richten. Der Sizilianer sorgte 2016 für den bis dato letzten Heimsieg. Seither hießen die Gewinner Tom Dumoulin, Chris Froome und Richard Carapaz, die diesmal allesamt fehlen.
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