Wenn an diesem Samstag in Nizza der Startschuss zur 107.Tour de France erfolgt, dann wird einer mit einem besonders breiten Grinser auf seinem Rad hocken: Felix Großschartner. Der 26-jährige Welser in Diensten des bayrischen Bora-hansgrohe-Teams darf endlich am bedeutendsten Rennen der Welt teilnehmen. Damit hören sich für ihn auch diese unangenehmen Erklärungen und Rechtfertigungen auf. „Wenn dich wer fragt, was du machst und du sagst Radprofi, dann hörst du immer: ,Ah,dann fährst du ja auch die Tour de France’“, erzählt Felix Großschartner. „Ich musste bis jetzt immer antworten: ,Leider nein!’ Das war enttäuschend. Ein Radprofi muss zumindest einmal die Tour gefahren sein.“
Wie ist die Gefühlslage vor Ihrem Debüt?
Felix Großschartner: Ich freue mich riesig. Es ist jetzt höchste Zeit, dass ich auch einmal die Tour fahre. Ich war zwar schon beim Giro und bei der Vuelta dabei, aber die Tour de France steht halt doch über allem. Die kennen auch Leute, die sich sonst nicht so für unseren Sport interessieren.
Lassen Sie alles auf sich zukommen oder wie geht man in so eine Tour rein?
Im Grunde gleich wie in jedes andere große Rennen. Es ist bei der Tour de France halt alles eine Spur größer, vor allem das Tamtam rundherum. Aber ich weiß, was auf mich zukommt und was ich zu tun habe.
Welche Aufgabe haben Sie als Debütant denn in Ihrem Bora-hansgrohe-Team?
Ich bin für Emanuel Buchmann abgestellt und soll ihm durch die Tour helfen. Er ist derjenige in unserer Mannschaft, der wirklich um das Podium fahren kann. Die erste Woche werde ich es vielleicht noch eher lockerer angehen können, wenn es dann in die Berge geht, muss ich ihn unterstützen.
Das heißt, Sie müssen Ihre eigenen Ambitionen hintanstellen?
Kann sein, dass sich bei einer Etappe zufällig einmal etwas ergibt und ich für mich selbst fahren kann. Aber für mich persönlich ist dann die Vuelta der eigentliche Höhepunkt. Da bin ich der Gesamtfahrer in unserem Team.
Was flößt Ihnen bei der Tour de France Respekt ein?
Jeder redet immer davon, dass die Tour abartig stressig ist. Vor allem die erste Woche verläuft oft sehr turbulent mit vielen Stürzen. Weil jeder weiß, dass die Tour das wichtigste Event in unserem Sport ist. Und da will sich eben jeder in Szene setzen. Und dann wird weniger Rücksicht genommen, als vielleicht bei anderen Rennen.
Was bedeutet das für einen Fahrer?
Stress pur. Du musst dich drauf einstellen, dass es gerade an den ersten Tagen im Feld wilde Positionskämpfe gibt, weil 180 Leute ganz vorne fahren wollen. Man glaubt gar nicht, wie anstrengend das ist. Nach solchen Etappen bist du im Ziel körperlich oft gar nicht richtig ausgelaugt, aber. . .
. . . aber?
Dafür bist du im Kopf völlig leer und richtig fertig. Es ist extrem anstrengend, fünf Stunden voll konzentriert zu bleiben. Du musst ja immer schauen, dass du vorne fährst und ja keine Attacke versäumst. Das ist wirklich zach.
Und wie und wann machen sich die Strapazen einer so langen Rundfahrt körperlich bemerkbar?
In Wahrheit hast du überhaupt keine Ahnung, wie der Körper reagiert. Es kann sein, dass du dir nach dem ersten Tag schon denkst: ,Boah, ich bin voll kaputt.’ Aber ich hatte auch schon Rundfahrten, bei denen ich mich nach 18 Tagen gefühlt habe, als hätte ich gerade eine Woche Urlaub hinter mir. Normalerweise gibt es fast bei jeder Rundfahrt einen Tag, an dem du in der Früh aufwachst und dir denkst. ,Ich bin richtig im Oasch.’
Kann man so eine Tour denn auch genießen?
Im Endeffekt bist du spätestens nach einer Woche so in diesem Rennmodus drin, dass du einfach funktionierst. Frühstücken, Fahren, Duschen, Essen, Massage, Schlafen – da bist du in einem Radl drinnen und denkst gar nicht mehr daran, wie viele Etappen eigentlich noch sind. Das machst du Tag für Tag.
Haben Sie während der Etappen auch ein Auge für die Schönheiten der Landschaft, die sie durchfahren?
Es kommt ganz drauf an, was gerade im Feld los ist. Am Anfang der Etappen, wenn es ruhiger zugeht, dann schaut man sich schon einmal die Gegend an. Aber wenn’s richtig zur Sache geht und es im Feld hektisch ist, dann realisierst du eigentlich nicht, was da neben der Straße ist. Drei Wochen Rennen fahren hört sich ja pervers an, und es ist ja auch ein bisschen pervers. Einerseits freut sich jeder darauf, wenn es vorbei ist. Aber zugleich ist es wunderschön, das machen zu dürfen. Ich fahre echt gerne drei Wochen lang Rennen.
Wird Corona die Atmosphäre bei der Tour beeinflussen?
Was ich gehört habe, sind beim Start und Ziel wegen Corona weniger Leute erlaubt als sonst. Ich glaube aber nicht, dass jetzt keine Menschen mehr an der Strecke stehen. Wie willst du das in den Bergen auch kontrollieren? Wer da auf die Straße gehen will, der macht das.
Ist es nicht nervig, auf den Bergetappen durch ein so enges Spalier an Fans zu fahren?
Natürlich muss man aufpassen und konzentriert bleiben. Ich find’s cool und grundsätzlich pushen die vielen Leute einen auch. Wir als Österreicher kennen das ja überhaupt nicht. Bei uns sind höchstens bei den Skirennen so viele Leute, aber sonst es wenig los. Man merkt da den Unterschied zu den Ländern, in denen das Radfahren eine große Bedeutung hat.
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