Doping-Fall Jannik Sinner: Dunkle Schatten über der Nummer 1
Jannik Sinner darf nach positiver Dopingprobe und Freispruch bei den US Open starten. Der Italiener wird aber stets mit unangenehmen Fragen konfrontiert – und der Kritik von anderen Profis.
Wenn Jannik Sinner am Dienstag zum Auftakt gegen den US-Lokalmatador Mackenzie McDonald Bälle über das Netz serviert, hängt ein dunkler Schatten über den Weltranglisten-Ersten. Und damit auch über den US Open und dem Tennissport.
Dürfte er überhaupt dabei sein? Immerhin war der Italiener im März beim Turnier in Indian Wells zweimal positiv auf das verbotene Steroid Clostebol getestet worden und erst vor Kurzem von der International Tennis Integrity Agency (ITIA) freigesprochen worden.
Auch, wenn Sinner nun bei den US Open spielen darf, das Thema wird hängen bleiben. Natürlich sei das alles „nicht ideal“ kurz vor einem Grand-Slam-Turnier, sagte der Italiener, aber „ich weiß, dass ich nichts Falsches gemacht habe“. Aber Sinner, den die Sache schon länger gequält habe, ist zumindest froh, „dass alles raus ist. Weil es eine Erleichterung für mich und mein Team war.“
Doch die Fragen bleiben. Die Kollegen stehen größtenteils hinter ihrem Kollegen, äußern aber dennoch Kritik. So meint der Deutsche Alexander Zverev zu Recht: „Es ist komisch, dass die positive Probe zur selben Zeit wie der Freispruch publik gemacht wurden.“ Manche wollen sich in dieser Causa nicht in die Auslage stellen und agieren diplomatisch. So sagt US-Profi Frances Tiafoe, zuletzt Finalverlierer gegen Sinner in Cincinnati: „Er darf spielen. Das ist alles, was ich dazu zu sagen habe.“
Andere üben sich weniger in Zurückhaltung. Spieler wie Nick Kyrgios (Australien) und Denis Shapovalov (Kanada) hatten nach Bekanntwerden des Falls eine fehlende Gleichbehandlung mit anderen Profis kritisiert. So verkündete Shapovalov in sozialen Medien: „Unterschiedliche Spieler, unterschiedliche Regeln. Kann mir kaum vorstellen, wie sich andere Spieler jetzt fühlen, die wegen kontaminierter Substanzen gesperrt wurden.“
Der Brite Daniel Evans, der 2017 eine einjährige Sperre wegen eines positiven Dopingtests auf Kokain erhielt, äußerte seine Unterstützung für Sinner, kritisierte aber generell die ITIA, die 2021 vom Weltverband ITF und den Spielerorganisationen ATP und ATA eingerichtet wurde. „Kleine Fische werden gefangen, viele Große entkommen aber.“
Zwei Herren im Team werden eher weniger Freudentänze veranstaltet haben. Sinner trennte sich nach der Causa von Athletiktrainer Umberto Ferrara und Physiotherapeut Giacomo Naldi. „Wegen der Fehler spüre ich nicht das Vertrauen, um mit ihnen weiterzumachen“, begründete er die Entscheidung zur Trennung. Die Erläuterung von Sinner, dass das verbotene Mittel durch eine Massage versehentlich in seinen Körper gekommen sei, war vom Gericht als schlüssig angesehen worden. Demnach habe sich Naldi eine Verletzung am Finger zugezogen und diese mit Trofodermin-Spray behandelt, das Clostebol enthält. Dieses Spray habe Naldi von Ferrara erhalten.
Im April war Sinner deshalb zweimal kurzzeitig suspendiert worden, dies wurde nach seinem Einspruch aber jeweils schnell wieder aufgehoben. Am Montag sprach ein unabhängiges Gericht Sinner nach Angaben der ITIA vom Dopingvorwurf frei.
Kritik vom Superstar
Major-Rekordchamp Novak Djokovic prangert zumindest zwischen den Zeilen eine Ungleichbehandlung an. „Ich verstehe den Frust der Spieler, weil es einen Mangel an Konsistenz gibt. Wir sehen einen Mangel an standardisierten und klaren Protokollen“, sagt der Serbe.
Und bestätigt indirekt die Ansagen zahlreicher Dopingärzte. Ihr Tenor: „Wenn man positiv auf Clostebol getestet wird, ist das automatisch eine Sperre. Das war immer so.“
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