Denn es gibt zu viele Ungereimtheiten. Warum wurde die Welt-Anti-Doping-Agentur nie eingeschaltet, die nun den Fall prüfen will? Tatsächlich wurde nach den beiden positiven Befunden vom 10. und 18. März 2024 nicht die WADA eingebunden. Stattdessen lief die Causa über die International Tennis Integrity Agency (ITIA). Man habe jeweils eine vorläufige Sperre verhängt, gegen die Sinner aber erfolgreich Widerspruch eingelegt habe.
Es gab immer Sperren
Sinners Rechtfertigung, dass die Substanz über die Hände seines Physiotherapeuten in seinen Körper gelangt sei, klingt abenteuerlich, wie Experten formulierten, ist aber nicht ganz unmöglich. Demnach habe der Betreuer ein in Italien rezeptfreies Clostebol-haltiges Spray benutzt, um einen Schnitt an seinem Finger zu behandeln. Nur: Positive Tests auf Clostebol zogen stets Sperren nach sich, das müssen Dopingexperten erst gar nicht bestätigen. Egal, ob der Athlet schuldig ist oder nicht.
Und wenn Sinner unschuldig ist, warum werden ihm dann die ATP-Punkte und das Preisgeld vom Masters in Indian Wells abgezogen? Klingt irgendwie nach Alibi-Handlung, hat den Beigeschmack, dass der Italiener vielleicht doch nicht so brav war.
Sinner ist die Nummer eins der Welt und wird im Tennis gebraucht. Und sein Image als Vorbild und Saubermann. Als Repräsentationsfigur des weißen Sports, der in Wahrheit gar nicht so weiß ist. Und es geht dabei gar nicht um die Arbeitsnachweise, dass etliche Tennisprofis aus dem Verkehr gezogen wurden. Unter dem Motto: "Wir greifen durch!“ Dem großen Tennisfan ist es nämlich wurscht, ob die Nummer 123 oder 143 gesperrt wird.
Es ist gut, dass durchgegriffen wird. Denn vor nicht einmal 20 Jahren erzählte ein Tennis-Trainer von seinen Erlebnissen auf der Challenger-Bühne, wo sich Profis vor offenen Türen ungeniert in den Kabinen dem Blutdoping hingaben. Freilich, gottlob heute nicht mehr möglich.
Die Großen werden geschützt
Es geht um die Großen des Sports, um die Stars. Mehr als Gerüchte drangen nie nach außen, hinter den Gemäuern der Tennis-Tour ist aber hinlänglich bekannt, wie Dopingvergehen vertuscht oder erst gar nicht sanktioniert worden sind.
Schnee von gestern (Kokain war da übrigens selten im Spiel, es ist also kein Wortspiel). Mit der Gründung der ITIA 2021 als unabhängige Behörde, die den Weltverband ITF und die Spielerverbände WTA und ATP entlastet, sollte es aufwärtsgehen. Zuvor oblag alles in den Händen der ITF.
Nun ist der Schaden größer denn je. Jannik Sinner wird wohl in New York weniger über Sportliches plaudern müssen. Schade um den Tennissport.
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