Tennis-Star Jannik Sinner: Ein neuer Alberto Tomba für Italien
Auf die Idee, ein Tennisspieler werden zu wollen, muss man in Sexten erst einmal kommen. Filz gibt's hier fast ausschließlich in Form von Pantoffeln, am Fuße der berühmten Drei Zinnen in den Dolomiten sind die Menschen traditionell Hutmacher oder Bergführer, ab und an schafft es auch einmal einer ins Fernsehen (Sepp Forcher).
Aber ein Tennisspieler? Nie und nimmer.
Und jetzt stellt der beschauliche Bergsteigerort in 1.300 Metern Seehöhe, in dem es eine kleine Tennishalle mit zwei Plätzen gibt, plötzlich die Nummer 1 der Welt. Jannik Sinner, 22, hat von Sexten aus seinen Siegeszug über die Centre Courts angetreten, die ihn bei diesen French Open ganz an die Spitze geführt hat. Ab Montag wird Sinner Rekordmann Novak Djokovic ablösen und als erster Italiener überhaupt das ATP-Ranking anführen.
Wachablöse
„Hat Sinner die Ära Djokovic beendet“, fragt die Gazzetta dello Sport und liefert die Antwort in einer Statistik gleich mit. Die nackten Zahlen belegen, dass da im Tennis gerade eine Wachablöse passiert, von den letzten vier Duellen mit Djokovic hat Sinner drei gewonnen.
Was sein Image und seine Werbeverträge betrifft, hat der Rotschopf aus Sexten gegen den Serben ohnehin schon länger die Oberhand. Jannik Sinner ist mit seinen 22 Jahren eines der gefragtesten und bedeutendsten Testimonials im Weltsport.
Nike hat mit ihm einen 150-Millionen-Dollar-Deal abgeschlossen, auch Marken wie Gucci und Rolex werben mit dem Gesicht des sympathischen Südtirolers, der allein durch seine Nebenverdienste 30 Millionen Euro im Jahr kassieren soll.
Messias & Champion
In seiner Heimat ist Jannik Sinner längst in den Rang eines Volkshelden aufgestiegen, dem ganz Italien zu Füßen liegt. Die Tageszeitungen überschlagen sich mit Schlagzeilen und Superlativen.
Für die Gazzetta dello Sport ist der Australian-Open-Gewinner „der ganze Stolz des italienischen Sports“, laut La Repubblica hat das Warten auf den Messias „ein Ende“. Für den Corriere della Sera ist Sinner „der Champion, auf den Italien fast ein halbes Jahrhundert gewartet hat.“ Wer gerade ein Abo der Gazzetta abschließt, der bekommt ein riesiges Poster des beliebten Tennisstars als Geschenk dazu.
Es gab in der Geschichte dieses sportverrückten Landes nur wenige Sportler, die es geschafft haben, vom Brenner bis nach Palermo quer übers Land alle Italiener zu begeistern. Skilegende Alberto Tomba hatte diese Gabe, der letzte Athlet, dem vor der aktuellen Sinnermania alle zu Füßen lagen, war Motorradpilot Valentino Rossi.
Fanliebling
Jannik Sinner hat außerhalb des Platzes sogar schon mehr erreicht als auf dem Feld. Der junge Mann aus dem Bergsteigerdorf Sexten ist zum globalen Gesicht des Tennissports geworden, der die neue Generation verkörpert und die Fans allerorts zu begeistern vermag.
Im Dezember 2023 wurde Sinner der „Fan Favorite Award“ verliehen, mit dem die ATP den beliebtesten Spieler auszeichnet. Von 2003 bis 2021 hatte ausschließlich Roger Federer diese Trophäe gewonnen, im bodenständigen Jannik Sinner, der in allen Lebenslagen wie ein junger Sir auftritt, scheint nun ein würdiger Nachfolger gefunden.
Das Semifinale in Paris gegen Carlos Alcaraz liefert schon einmal einen Vorgeschmack, auf was sich die Tennis-Anhänger in der Zukunft freuen dürfen. Sinner und Alcaraz sind wohl die beiden Spieler, die diesen Sport in den nächsten Jahren prägen werden.
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