Nach Djokovic-Skandal: Nun ist Thiem Topfavorit auf den Titel
Nach seinem folgenschweren Ausraster bei den Tennis-US-Open ist Novak Djokovic einfach davongedüst. Auf dem Beifahrersitz verließ der serbische Weltranglisten-Erste jenen Ort, an dem er eigentlich eine Woche später seinen 18. Grand-Slam-Titel feiern wollte. Er war der Favorit auf den Titel in New York, nachdem Rafael Nadal und Roger Federer bei diesem Grand Slam nicht angetreten waren.
Djokovic selbst zeigte sich in guter Verfassung und war 2020 in 26 Tour-Matches noch ungeschlagen. Doch dann warf sich der 33-Jährige mit einer verhängnisvollen Disziplinlosigkeit selbst aus dem Turnier und öffnete damit die Tür für einen neuen Grand-Slam-Champion. Der Niederösterreicher Dominic Thiem ist als Nummer 2 des Events der erste Kandidat dafür, in der oberen Tableau-Hälfte wiederum spitzt vor allem Alexander Zverev auf den Coup. "Nun wird es interessant", sagte der Deutsche.
Atemprobleme der Linienrichterin
Djokovic hatte am Sonntag in seinem Achtelfinale gegen den Spanier Pablo Carreno Busta nach einem verlorenen Aufschlagspiel im ersten Satz wütend "blind" einen Ball weggeschlagen und dabei eine Linienrichterin getroffen. Zwar hatte der Serbe den Ball nicht mit Absicht in Richtung der Frau geschlagen, diese war aber zu Boden gegangen und hatte danach sichtlich Atemprobleme. Djokovic schien selbst völlig erschrocken über die Situation. Den Regeln entsprechend wurde er disqualifiziert.
Die Entscheidung des Schiedsrichter-Gremiums fiel nach zehnminütiger Diskussion. Bei weltweit allen Tennisturnieren werden Spieler für derartige Vergehen sofort ausgeschlossen. Es hatte auf oberster Stufe auch schon andere Topspieler wie den Schweden Stefan Edberg, den Argentinier David Nalbandian oder zuletzt vor drei Jahren im Davis Cup den Kanadier Denis Shapovalov getroffen. Djokovic hatte schon wenige Minuten vorher einen Ball in die Nähe Offizieller in Richtung einer Bande geknallt.
"Da war keine andere Option als ihn zu disqualifizieren", sagte der deutsche US-Open-Refereee Sören Friemel. "Da sind zwei Faktoren - der eine ist die Aktion, der andere das Ergebnis. Bei der Aktion war keine Absicht. Aber das Ergebnis, eine Linienrichterin zu treffen und zu verletzen ist ein wesentlicher Faktor im Entscheidungsprozess. Einen Spieler bei einem Grand Slam zu disqualifizieren, ist eine harte Entscheidung. Aber es ist egal, ob auf dem Ashe, ob es die Nummer eins oder ein anderer Spieler ist."
Negativ-Schlagzeilen für Djokovic
Das turbulente Jahr von Djokovic ist damit um eine weitere Story reicher. Zu Beginn der Saison hatte Djokovic die Szenerie dominiert und bei den Australian Open im Finale gegen Thiem und in Dubai den Titel gewonnen. Während der Corona-Pause sorgte er im Juni bei der von ihm organisierten Adria Tour mit Partybildern inmitten der Pandemie für negative Schlagzeilen. Djokovic und seine Frau Jelena wurden selbst positiv auf Covid-19 getestet. Reue aber zeigte Djokovic auch mit etwas Abstand nicht.
Nach der Wiederaufnahme der Tour überzeugte Djokovic mit dem Erfolg beim von Cincinnati nach New York verlegten Masters-1000-Event zunächst wieder sportlich. Doch unmittelbar vor Beginn der US Open versetzte er mit der Gründung einer neuen Spielergewerkschaft die Branche erneut in Aufruhr. Seine beliebteren Erzrivalen Nadal und Federer machten aus der Ferne sofort ihre Ablehnung öffentlich.
Extra-Stress und verlorener Fokus
Im Streben nach Zuneigung, Akzeptanz und Ruhm scheint sich Djokovic verzettelt zu haben. "Ich habe das Gefühl, dass Novak zu viel auf seinem Teller hatte", twitterte Serena-Williams-Coach Patrick Mouratoglou. "Zu versuchen, die US Open zu gewinnen, ist schon eine große Sache. Die Spielerorganisation zu starten und eine Kampagne zu führen, um Spieler davon zu überzeugen ist ein Full-Time-Job und jede Menge Extra-Stress." Niemand könne sich bei einem Major leisten, den Fokus zu verlieren.
Djokovic war durch eine Aufgabe gegen den Schweizer Stan Wawrinka auch im Vorjahr nicht über das US-Open-Achtelfinale hinausgekommen. Er verabsäumte es daher nun auch, in der Weltrangliste punktemäßig zuzulegen. Das bisher im Turnierverlauf gewonnene Preisgeld erhält der 33-Jährige nicht. Einige Stunden nach seinem Black Out bat er in den sozialen Medien um Verzeihung. Die obligatorische Pressekonferenz hatte er noch geschwänzt.
Der 17-fache Sieger von Grand-Slam-Turnieren zeigte sich zerknirscht. Er hatte eine selten große Chance, mit einem weiteren Grand-Slam-Titel in der Statistik noch weiter an die abwesenden Nadal (19) und Federer (20) heranzukommen. "Diese ganze Situation lässt mich wirklich traurig und leer zurück", schrieb Djokovic, er wolle die Vorfälle als "Lektion" für sich sehen. Zuletzt war es bei den French Open 2004 der Fall, dass ein Major-Viertelfinale ohne Djokovic, Nadal und Federer über die Bühne gegangen ist.
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