Rekordfrau Mikaela Shiffrin: Die goldene Regel
Im Moment des Triumphes wirkt die Seriensiegerin manchmal richtiggehend verloren. Dann steht Mikaela Shiffrin allein im riesigen Zielraum und blickt fragend in die Menge, und mehr als ein schüchternes Winken und ein diskretes Lächeln ist ihr dann oft nicht mehr zu entlocken. Gäbe es bei Skirennen nicht diese riesigen Anzeigetafeln, auf denen nach ihren Fahrten meist die Eins aufleuchtet, man würde auf den ersten Blick niemals auf die Idee kommen, dass diese zurückhaltende junge Frau gerade ein Rennen gewonnen hat. „Ich weiß da oft nicht, wie ich mich fühlen soll“, gesteht Mikaela Shiffrin, „es ist seltsam, aber es ist oft nicht der größte Moment meines Lebens.“
Die großen Gesten überlässt die Amerikanerin lieber anderen. Ihrer Landsfrau Lindsey Vonn zum Beispiel, die zweifelsohne eine großartige Rennläuferin ist (82 Weltcupsiege), aber auch eine wahre Großmeisterin der Inszenierung.
Rampenlicht
Für Glamour-Auftritte beim Après-Ski ist Mikaela Shiffrin nicht zu haben. Und irgendwie würde das auch nicht zu dieser bodenständigen Frau aus Eagle-Vail passen. Zumal es die 23-Jährige auch gar nicht nötig hat, groß um Aufmerksamkeit und Rampenlicht zu buhlen. Die Scheinwerfer sind ohnehin immerfort auf sie gerichtet, seit sie am 20. Dezember 2012 in Åre im Alter von 17 Jahren ihren ersten Weltcupslalom gewonnen hat. Seither stellt Mikaela Shiffrin den alpinen Skisport auf den Kopf, keine Bestmarke scheint vor ihr sicher, praktisch im Jahrestakt müssen die Geschichtsbücher der FIS neu geschrieben werden.
So ist die Amerikanerin seit 2014 die jüngste Olympiasiegerin im Slalom, sie hat so viele Weltcupsiege eingefahren (42) wie kein anderer Läufer zuvor in dieser Disziplin, nicht einmal der große
Ingemar Stenmark (SWE). Und selbstverständlich hält Shiffrin auch schon die Bestmarke für den größten Vorsprung in einem Slalom (3,07 Sekunden). Dass sie eine von nur sieben Läuferinnen ist, die in allen fünf Disziplinen bereits gewonnen haben, versteht sich eigentlich von selbst.
Alleskönnerin
Aber Shiffrin ist längst nicht nur mehr im Slalom das Maß aller Dinge, inzwischen gibt die Alleskönnerin auch in den Speedbewerben das Tempo vor. Vier Mal war sie in diesem Winter in einem Super-G an den Start gegangen, vier Mal hat die Siegerin Shiffrin geheißen. Zuletzt beim Auftakt-Bewerb der WM in Åre, womit die 23-Jährige nun schon bei vier WM-Goldmedaillen hält.
Seit Mikaela Shiffrin als 16-Jährige im Weltcup aufgetaucht ist, werden entlang der Pisten Begriffe wie „Jungstar“ oder „Wunderkind“ strapaziert. Weil eben die Konkurrenz und die Experten angesichts der Fähigkeiten der Amerikanerin so gar nicht mehr aus dem Staunen herauskommen. Tatsächlich ist es alles andere als ein Wunder, dass Mikaela Shiffrin den Skisport so dominiert wie noch keine Läuferin vor ihr.
Karriereplanung
Die Erfolge sind vielmehr das Ergebnis einer Karriere, die von klein auf am Reißbrett geplant wurde. Die Spurensuche führt zu allererst zu Shiffrins Eltern, die beide früher ebenfalls Rennläufer waren und ihre Tochter schon sehr früh auf die Piste schickten und alles der Laufbahn unterordneten.
Familiensache
Noch heute ist Mama Eileen die wichtigste Bezugsperson für Mikaela Shiffrin, sie begleitet sie im Weltcupzirkus und hat mittlerweile sogar die Trainerausbildung abgeschlossen. „Sie ist meine Frau für alles: Mutter, Trainerin, Freundin, Managerin, Sportpsychologin, Reise-Organisatorin. Sie hilft mir, dass ich motiviert und ruhig bleibe und die richtigen Dinge mache. Sie will das Beste für mich beim Skifahren, aber auch, dass ich insgesamt glücklich bin. Und sie hilft mir, mehr an mich selbst zu glauben“, sagt Shiffrin.
Aber an Selbstvertrauen dürfte es der 23-Jährigen mittlerweile ohnehin nicht mehr mangeln. Die traumwandlerische Sicherheit und Leichtigkeit, mit der Shiffrin bereits in jüngeren Jahren durch die Slalomtore flitzte, war früh erkennbar – und für manche Experten beeindruckend. „Die ist in ihrer Kindheit und Jugend schon so viele Tore gefahren, dass sie einen Vorsprung hat“, sagt Kilian Albrecht.
Frühstarterin
Der Österreicher ist ein langjähriger Wegbegleiter von Shiffrin und fungiert als Manager, PR-Mann und Unterstützer im Hintergrund. Albrecht erinnert sich noch gut an einen Trainingskurs in Vail, als ihm die 14-jährige Mikaela Shiffrin aufgefallen, die damals sogar den 18-jährigen Burschen um die Ohren fuhr. „Ich hab’ drei Mal nachgefragt, ob sie wirklich erst 14 ist“, sagt Albrecht.
Vorzeigesportlerin
So geht es vielen, wenn sie Mikaela Shiffrin auf der Piste sehen. Die Amerikanerin sticht schon optisch und stilistisch aus der Masse der Rennläuferinnen heraus. Dank ihrer ausgefeilten Technik läuft sie selten einmal Gefahr, einzufädeln, auszuscheiden oder gar von der Piste abgeworfen zu werden. So ist es auch kein Zufall, dass sie im Gegensatz zu vielen ihrer Mitstreiterinnen in ihrer Karriere von schweren Verletzungen noch verschont geblieben ist. „Weil sie sich auf ihre Technik verlassen kann und nicht ans Limit gehen muss“, sagt Patrick Riml, der bis Sommer Alpindirektor des US-Ski-Teams war. „Mikaela reicht oft eine konservative Fahrt für den Sieg, während die anderen voll riskieren müssen, um sie zu besiegen.“
Publikumsliebling
Im Grunde könne sich Shiffrin nur selbst besiegen, behauptet Riml. Wenn sie etwa auf ihrer Jagd nach Rekorden und Trophäen zu viele Rennen bestreitet. Aber die 23-Jährige weiß um ihre körperlichen Ressourcen und verzichtete auch deshalb auf einen Start im Kombibewerb am Freitag.
Längst ist Shiffrin auch in ihrer Heimat ein Begriff. Nach ihrem ersten Olympiasieg hatte sie eine Anfrage der Show „Dancing with the Stars“, aber Manager Albrecht geht mit seinem Schützling behutsam um. „Wir machen nur die Sachen, die auch wirklich zu Mikaela passen. Auf Bikinifotos und ähnlichen Blödsinn können wir gerne verzichten. Das braucht sie nicht. Sie ist im Sport gut genug, sie muss sich nicht ausziehen.“
Rekordjagd
Wo diese Reise noch hinführen wird? Vermutlich über kurz oder lang an die Spitze der Rekordlisten. Wenn Mikaela Shiffrin in dieser Tonart weitermacht und weiter gewinnt, dann dauert es nur noch drei Jahre, bis sie sich auch Ingemar Stenmarks Allzeitbestmarke (86 Weltcupsiege) geschnappt hat. „Rekorde sind da, um gebrochen zu werden“, sagt Mikaela Shiffrin. „Aber irgendjemand wird kommen, der meine Bestmarken bricht. Und ich hoffe, meine Rekorde sind nicht für die Ewigkeit.“
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