Nach zwei Jahren Corona mit Reisebeschränkungen: Besteht die Gefahr, dass diese Zeit von Dopern schamlos ausgenützt wurde?
Eher nein. Durch die Beschränkungen war es schwieriger, an Substanzen zu kommen, oder Methoden mit Blutabnehmen, Transport, usw. durchzuführen. Außerdem ist Doping mit der ganzen aufwendigen Logistik dahinter im absoluten Leistungssport Teamarbeit. Da muss man hochprofessionell arbeiten. Irgendwas schlucken, oder spritzen – diese Zeiten sind längst vorbei.
Worauf müssen die Doping-Jäger bei der Tour de France achten?
Es gibt kaum eine Sportart, bei der die Top-Athleten so oft kontrolliert werden wie im Radsport. Und die Leistungen liegen um einiges hinter jenen aus der Hochblüte des Dopings um die Jahrtausendwende. Wir haben uns eine Statistik von Alpe d’Huez (legendärer Tour-Anstieg, Anm.) angeschaut. Von den zehn schnellsten Zeiten wurden acht Ende der 1990er, Anfang der 2000er gefahren. Ich würde nicht sagen: Die sind heute alle sauber. Aber es ist definitiv etwas passiert.
Gibt es neue Dopingtrends?
Mark Schmidt (der Erfurter Dopingarzt, der im Mittelpunkt der Operation Aderlass stand; Anm.) hat seinen Leuten gesagt: Lasst die Finger von EPO! EPO ist dazu gedacht, die Schwankungen durch Eigenblutdoping zu maskieren. Langläufer Dürr hat sich in Sotschi nicht daran gehalten, das ist ihm zum Verhängnis geworden. Es sind noch immer dieselben Substanzen, die man vor 20, 30 Jahren genommen hat, weil sie wirken. Nur die Anwendung hat sich geändert. Jetzt nimmt man die Substanzen so niedrig dosiert, dass sie kaum zu entdecken sind. Im Ausdauersport bleibt Eigenblut die sicherste Methode, weil man ja keine fremden Substanzen verwendet. Die Kunst ist es, das so zu gestalten, dass es im biologischen Pass nicht auffällt und trotzdem wirkt.
Wo ergeben Urinkontrollen Sinn und wo Blutkontrollen?
Im Ausdauersport geht das meiste über Blutdoping. Beim Gewichtheben ist das absolut sinnlos, da erfolgen eher Urinkontrollen. Da ist man immer noch bei den klassischen anabolen Substanzen und bei Wachstumshormonen. Die sind ein großes Thema, weil man da im analytischen Bereich noch nicht da ist, wo wir sein wollen. Sind sie endogen oder exogen? Das ist sehr schwer nachzuweisen. Wobei die Analytik mittlerweile so weit ist, dass man ein Stück Würfelzucker in einem olympischen Schwimmbecken nachweisen könnte.
Rafael Nadal hat nach dem Turniersieg in Paris erklärt, wegen seiner Schmerzen nur mit Spritzen spielen zu können. Welches Bild gibt das ab?
Definitiv kein gutes. Weil das auch bagatellisiert wird. Es ist eine ethisch-medizinisch-philosophische Frage. Es gibt drei Kriterien, warum eine Substanz verboten ist und zwei müssen zutreffen: Leistungssteigerung, Gesundheitsschädigung, der Fairness im Sport widersprechend. Man sollte die Schmerzmittel kritischer sehen als bisher. Schmerzmittel können nicht über die normal mögliche Leistungsfähigkeit hinaus steigern, relativ betrachtet aber schon, weil man die Leistung ohne Schmerzmittel nicht mehr bringen könnte.
Dazu kommt, dass Nadal gespritzt hat.
Wäre das beim Radsport passiert, wäre der Aufschrei ein anderer gewesen. Der Radsport-Weltverband hat eine strengere Regelung als die WADA und eine No-Needle-Policy ausgegeben.
Man hört, dass ein Großteil der Skirennläufer Schmerzmittel nimmt?
Verstehe ich. Wenn man einmal stürzt und eine Schuhrandprellung hat, tut das heftig weh. Das hält man ohne Schmerzmittel nicht aus. Es wird in den Kontaktsportarten Football, Fußball, Handball nicht anders sein mit den vielen Blutergüssen. Das ist schon gefährlich, denn der Schmerz ist ein Warnsignal, dass etwas nicht stimmt.
2026 wird Skibergsteigen olympisch. Eine sehr gefährdete Sportart.
Definitiv. Aber das ist jede Sportart, bei der der Ausdaueranteil einen großen Teil des Erfolges ausmacht.
Welche Erfahrungen haben Sie mit Doping im Hobbysport?
Wir testen auch bei Breitensportveranstaltungen und kontrollieren dort auch den 527. und den 1.014. Das wird extrem positiv aufgenommen, die meisten posten das auch, weil sie stolz sind, dass sie kontrolliert wurden. Wir machen das seit vier oder fünf Jahren und hatten dabei noch keinen einzigen positiven Fall. Irgendwelche Experten behaupten oft, 60 bis 70 Prozent sind gedopt ... Das kann nicht stimmen.
Welche Herausforderungen kommen künftig auf die Dopingjäger zu?
Ich sehe die Gefahr, dass sich das Anti-Doping-System in zwei Richtungen bewegt. Mit der Installation der ITA (International Testing Authority) durch das IOC, die die Anti-Doping-Arbeit von vielen Fachverbänden übernommen hat, passiert Folgendes: Zur leichteren Abwicklung der vielen Tests werden private Dienstleister verwendet. Die müssen ihr Geld erwirtschaften. Und dann passiert es, dass Tennisspieler vier Tage vorher informiert werden, dass sie eine Dopingkontrolle haben. Das ist absolut inakzeptabel und entspricht in keiner Weise dem WADA-Code. Aber die Angestellten dieser Firmen wollen sicherstellen, dass sie die Sportler antreffen. Denn nur dann bekommen sie ihr Geld. Fälle von angekündigten Tests häufen sich leider. Diese Kommerzialisierung der Doping-Kontrollen ist derzeit die größte Gefahr im Anti-Doping-Bereich. Das wird und kann nicht funktionieren.
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