Radprofi Patrick Konrad: „Wir schlafen auch in Autobahnstationen“
Sechs Österreicher, so viele wie noch nie zuvor, werden am Freitag in die 109. Tour de France starten. Aussichtsreichster Kandidat auf eine Spitzenplatzierung ist Patrick Konrad vom deutschen Team Bora-hansgrohe, der im Vorjahr mit einem Etappensieg beim wichtigsten Radrennen der Welt den bisher größten Erfolg seiner Karriere feierte.
KURIER: Welche Gefühle hat man vor der wichtigsten Radrundfahrt der Welt. Spüren Sie Vorfreude oder eher Angst?
Patrick Konrad: Eigentlich freue ich mich drauf, dass es endlich losgeht, weil man sich auch sehr lange und gezielt darauf vorbereitet hat. Angst habe ich nicht. Aber man macht sich über alle möglichen Szenarien Gedanken.
Welche Szenarien fürchten Sie am meisten? Sind es die Sitzprobleme, über die so viele Radprofis berichten? Oder Corona?
Ich fürchte Dinge, die ich nicht in der Hand habe. Etwa ein Sturz, für den man nichts kann. Oder man bekommt Corona. Wenn ich aufgeben muss, weil die Leistung nicht da ist, wo sie sein soll, dann ist es an mir gelegen und ich kann sagen: Ich habe mein Bestes gegeben und es war nicht mehr drinnen. Aber wenn man sich super fühlt und plötzlich ist man draußen wegen Corona oder eines Sturzes – das wäre bitter.
Ihr Ziel ist auch heuer wieder ein Etappensieg?
Natürlich. Wenn alles gut geht und alles zusammenpasst, kann das wieder möglich sein. Mit diesem Ziel gehe ich rein.
Wie groß ist ein Rad-Team wie Bora-hansgrohe inklusive aller Betreuer bei der Tour?
Wir sind acht Fahrer, dazu kommen auf jeden Fahrer circa drei Betreuer. Das fängt an mit drei Sportlichen Leitern, zwei sitzen im ersten Auto und geben uns die Streckeninfos. Der dritte Sportliche Leiter sitzt im zweiten Rennauto für das Gruppetto, oder wenn einer in der Spitzengruppe ist. Dann sind ein bis zwei PR-Leute dabei und vier bis fünf Mechaniker. Dann haben wir einen Busfahrer, sechs Physiotherapeuten, Osteopathen oder Masseure. Die machen auch die Trinkflaschen und stehen beim Feeding, und bei denen liege ich nach dem Rennen eineinhalb Stunden auf der Massagebank. Dann haben wir einen Mannschaftsarzt dabei und den Kitchen-Truck, mit dem Fahrer und dem Koch. Auch ein Trainer ist immer dabei. Zusätzlich kommt manchmal noch der Teammanager oder Performance-Manager. Inklusive Fahrer sind wir also 30 bis 40 Leute.
Welchen Kalorienbedarf haben Sie etwa pro Tag?
Das ist unterschiedlich. Aber so rund um die 4.000.
Und Sie essen deshalb jeden Tag bergeweise Spaghetti?
Nein, gar nicht. Ein halbes Kilo Nudeln könnte der Körper gar nicht aufnehmen. Wir können nicht essen, was wir wollen. Wir zählen schon sehr die Kalorien und stehen auch jeden Tag auf der Waage. Denn man kann bei der Tour de France theoretisch auch zunehmen. Die Ernährung ist sehr wissenschaftlich und geht sehr ins Detail. Wir brauchen ja im richtigen Moment das Richtige, da unterstützt und kontrolliert auch ein Ernährungsexperte. Wir essen natürlich kohlenhydratelastig aber auch viel Eiweiß und wenig Fett. In erster Linie sind es Pasta, Reis, Kartoffeln, Gemüse, natürlich auch Fleisch, aber eher Hühnerfleisch.
Und das reicht?
Das, was man während des Rennens verbraucht, versucht man schon auch während des Rennens zu decken. Wir nehmen jede Stunde über Reiskuchen, Gels und Getränke extrem viele Kohlenhydrate zu uns. In einer Flasche sind zwischen 20 und 80 Gramm Kohlenhydrate drinnen. 80 Gramm ... das ist schon süßer als ein Cola. Und dazu trinken wir auch normales Wasser.
Stimmt es, dass viele Radprofis in der dritten Woche der Rundfahrt nicht mehr gut schlafen können, weil der Körper schon so kaputt ist?
Nein. Aber jeder hat einmal eine Nacht, wo man nicht gut schlafen kann. Wenn es im Zimmer heiß ist, und wenn man keine Klimaanlage hat, wird es schwer. Dann hat man noch schlechte Betten ...
Sie übernachten auch in schlechten Hotels?
Wenn man in einem schönen Skigebiet ist, schlafen wir manchmal auch in tollen Häusern. Aber wir übernachten auch in alten Autobahnstationen und manchmal auch in richtig schlechten Hotels. Manche Teams haben sogar eigene Matratzen und Bettzeug mit. Ich mache das mittlerweile auch so. Auch das Hotel-Essen ist manchmal eine Katastrophe. Darum haben wir eben immer den eigenen Koch um uns.
Wegen der Hotels wird man also nicht Radprofi?
Nein, auf keinen Fall.
Wird man es wegen des Geldes? Was verdient man als Radprofi?
Das ist eine Sache, die man sich individuell mit seinem Team ausmacht. Aber es gibt Mindestgehälter, die vom Weltverband UCI vorgeschrieben sind (ca. 60.000 €/Jahr. Die Verträge sind geheim, Tour-de-France-Helfer verdienen angeblich zwischen 160.000 und 450.000 €/Jahr. Top-Stars deutlich mehr; Anm.).
Wie läuft ein typischer Tag bei der Tour de France ab?
Wir haben einen durchgetakteten Zeitplan. In der Früh geht es manchmal vom Frühstück direkt in den Bus, dann gibt es eine Stunde Transfer zum Start, eine Stunde vor dem Rennen ist Meeting, dann zieht man sich um und fährt vier oder fünf Stunden lang das Rennen. Danach kann es sein, dass es wieder eineinhalb Stunden dauert, bis man von dort wegkommt und dass man zwei Stunden ins Hotel braucht. Dann kommt eine Stunde Massage, dann das Abendessen. Und dann ist es 21.30 Uhr und der Tag ist wieder vorbei.
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