Der andere Geschlechter-Kampf

Dutee Chand.
Wer ist männlich, wer weiblich? Die Geschichte einer Sprinterin sprengt die biologischen Grenzen.

Ihr langes, dunkles Haar hat Dutee Chand zu einem dichten Zopf zusammengebunden, unter ihrem Shirt lassen sich die Muskelpartien erkennen. Die 20-Jährige sieht topfit aus, genau so wie ihre Gegnerinnen im olympischen 100-Meter-Vorlauf von Rio de Janeiro. Mit 11,24 Sekunden hatte sich die Inderin komfortabel für die Sommerspiele qualifiziert.

Und doch gleicht ihr gestriges Antreten einer kleinen Sensation. Es war im Sommer 2014, kurz vor ihrem Start bei den Commonwealth Games, als es plötzlich hieß, Dutee Chand sei keine Frau mehr.

Der internationale Leichtathletik-Verband hatte das bestimmt. Es klingt wie ein schlechter, böser Scherz.

Erniedrigendes Aus

Doch die Realität sah anders aus. Chand wurde für alle nationalen und internationalen Wettkämpfe gesperrt. Athletinnen, Trainer und Funktionäre hätte Zweifel an ihrem Geschlecht, ein – biologisch nicht unumstrittener – Test sollte dies bestätigt.

Gemessen wurde der Testosteronspiegel. Bei beiden Geschlechtern kommt das Geschlechtshormon vor, jedoch haben Frauen im Regelfall zehn Mal weniger davon im Körper als Männer. Dutee Chand hatte etwas mehr.

Zu dem vom Leichtathletik-Verband vorgeschriebenen Hormontest kamen noch andere fragwürdige Untersuchungen, die seit 2011 eigentlich keine Rolle mehr spielen dürften. Doch die Verbände wollten Klarheit.

Vermessen wurde bei der damals erst 18-jährigen Sportlerin daher die Größe der Vagina, Klitoris oder der Brüste – dazu kam eine Bestimmung ihres Schamhaarwuchses. "Beschämend und erniedrigend" fand sie das.

Der Beschluss stand bald fest. Dutee Chand war laut Regulativ des Leichtathletik-Verbandes keine Frau, der Rat der Funktionäre lautete: Wolle sie weiterhin an Damen-Wettkämpfen teilnehmen, solle sie sich einem chirurgischen Eingriff samt Hormontherapie unterziehen. "Ich empfinde es als falsch, meinen Körper zu verändern, um beim Sport teilnehmen zu dürfen", sagte sie und zog vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS). Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte der Fall die Weltöffentlichkeit erreicht. Chand fand Unterstützer, rasch war die Website letduteerun.org online.

Großer Sieg

2015, ein Jahr vor Olympia, gab ihr der CAS recht. Es gebe keinen medizinischen Beweis, dass der natürliche Testosteronspiegel Auswirkungen auf die Leistung hat. Anders verhält es sich freilich beim künstlich hergestelltem Testosteron, etwa bei Steroiden. Nach dem CAS-Urteil durfte Dutee Chand nicht nur wieder wettkämpfen, der Leichtathletik-Verband muss innerhalb von zwei Jahren das Gegenteil nachweisen oder andernfalls sein Regulativ umschreiben.

In der Geschichte der Leichtathletik haben immer wieder Männer an Frauen-Bewerben teilgenommen – teils aus Unwissenheit über die eigene Intersexualität, teils mit Absicht, um einen Leistungsvorteil im Kampf um Medaillen zu erhalten.

Deshalb versuchen die Leichtathletik-Funktionäre seit Jahrzehnten, eine klare Trennlinie zwischen Mann und Frau zu ziehen. Doch diese Trennlinie ist laut neuesten Forschungen immer schwieriger zu finden. "Sie wird immer willkürlich sein", sagt Bruce Kidd. Der Ex-Langstreckenläufer aus Kanada ist ein bekannter Kämpfer für Gleichstellung im Sport: "Es gibt die Auffassung im modernen Sport, dass etwas falsch sein muss mit starken Frauen. Das gleicht biologischem Rassismus."

Und zum Thema Fairness sagt er: "Es gibt so viele unfaire Vorteile, die einige Olympia-Starter haben, beginnend damit, wer deine Eltern sind." Das Geschlecht sei ein geringerer Faktor.

Kommentare