Brasilianische Leidenschaft, die Leiden schafft

Buhrufe, Pfiffe und Beleidigungen – die brasilianischen Fans sorgten schon für einige Misstöne.

Als Rafael Nadal gegen Ende des Entscheidungssatzes im Semifinale gerade zum Aufschlag ausholt, wird er von einem Zwischenruf gestört. "Fora Temer" schreit eine Zuschauerin von der Tribüne, übersetzt: "Raus mit Temer."

Der spanische Tennisstar verliert dadurch die Konzentration und wenige Minuten später auch das Halbfinalmatch gegen Juan Martín del Potro, der nach Fehlschlägen selbst immer höhnischen Applaus erhält – nur weil er Argentinier ist.

Das Tennisstadion als Bühne des Protests gegen Interimspräsident Michel Temer, der nach Meinung der Anhänger den Sturz der suspendierten linken Präsidentin Dilma Rousseff orchestriert hat. Eines von vielen Beispielen für zwei Dinge: Brasilien ist polarisiert – und sucht zweitens in Zeiten der Krise nach Erfolgserlebnissen. Und das führt mitunter zu so bei Olympia lange nicht gesehenen Attacken.

Beleidigend

Das geht so weit, dass in den olympischen Arenen mitunter sogar Rufe wie "Du wirst sterben" zu vernehmen sind. In aller Munde war auch der Schrei "Zika, Olé, olé, olé" in Richtung der US-Torhüterin Hope Sole. Ein lautstarker Protest, weil die Fußballerin aus Sicht der Brasilianer vor den Spielen unnötig Panik vor Zika geschürt habe.

In Peking 2008 hatte eine gewisse sportliche Ahnungslosigkeit dominiert, in London 2012 gab es von Fairness geprägte Feierstimmung. In Rio de Janeiro ist die Atmosphäre nun hitziger, emotionaler – und auch patriotischer. Es gehört zur südamerikanischen Mentalität, egal bei welchem Sport, sehr parteiisch und laut mitzufiebern.

Im Übereifer wird dann freilich mitunter die Grenze der Fairness überschritten. So beklagten sich zum Beispiel die Golfer darüber, dass sie durch Pfiffe und Gemurmel bei ihren Schlägen aus der Konzentration gebracht wurden.

Inakzeptabel

Doch entgleist ist die Stimmung vor allem beim Stabhochsprung, als der Brasilianer Thiago Braz da Silva mit 6,03 Metern gewann – der französische Weltrekordhalter Renaud Lavillenie verglich die feindselige Stimmung gegen ihn mit der 1936 in Berlin gegen US-Sprinter Jesse Owens. Ein recht schiefer Vergleich, zumal der schwarze Owens zum Ärger der Nazis von vielen Fans gefeiert wurde.

Sicher spielte bei Lavillenie auch Enttäuschung über die Pleite mit. Als die brasilianische Nationalhymne erklang, liefen ihm Tränen übers Gesicht. Er selbst nahm mit versteinerter Miene seine Silbermedaille in Empfang. Von den Rängen gab es Buhrufe. IOC-Präsident Thomas Bach verurteilte das bei Twitter: "Schockierendes Verhalten der Zuschauer, Renaud Lavillenie auf dem Medaillenpodest auszubuhen. Inakzeptabel bei Olympia."

So richtig austoben werden sich die Brasilianer sicher am Samstag beim Fußball-Endspiel gegen Deutschland. Anders als so manche Olympia-Arena ist das Maracanã das seit Jahrzehnten gewohnt.

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