Gold-Jubel bei den Paralympics: "Wie ein Baby das Leben lernen"

Gold-Jubel bei den Paralympics: "Wie ein Baby das Leben lernen"
Fünf Österreicher haben bei den Paralympics in Tokio schon sechs Medaillen geholt. Fast alle vereint, dass in der Rehabilitation nach Unfällen durch den Sport Ziele für das neue Leben fanden.

"Es gibt immer einen Weg, aus einer schwierigen Situation das Maximum herauszuholen." Es klingt nach einem Lebensmotto, was Walter Ablinger am Dienstag in Tokio gesagt hat. Er habe es erst gar nicht glauben können, dass er beim Einzelzeitfahren mit dem Handbike der Schnellste in seiner Behindertenklasse H 3 war.

Walter Ablinger hat bei den Paralympics, den Olympischen Spielen für Behinderte, eine Goldmedaille gewonnen – wie schon 2012 in London im Straßenrennen. Der 52-jährige Oberösterreicher durfte am Fuße des höchsten japanischen Berges (3776 Meter) feiern, auf dem "Fuji Speedway" – wo vor einem Monat Anna Kiesenhofer Olympiasiegerin im olympischen Straßenrennen wurde.

Walter Ablinger aus Rainbach bei Schärding hat Zimmermann gelernt und ist seit einem Arbeitsunfall, bei dem er 1999 von einem Dach stürzte, querschnittgelähmt. "Danach musst du anfangen wie ein Baby, das Leben zu lernen. Da ist der Sport dann eine Stütze."

Er wurde aber mehr. Vor zwölf Jahren legte er sich ins Handbike. "Vier Jahre habe ich gebraucht, um mit den österreichischen Topathleten mitzuhalten", erinnert er sich. Am Dienstag konnte keiner mit ihm mithalten. "Sobald das Helmband zu ist, bin ich in einer anderen Welt. Dann bin ich wie ein Rennpferd, einfach nur Vollgas", sagte Ablinger.

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Sport als Reha

20 Minuten vor Ablinger hatten Thomas Frühwirth und Alexander Gritsch in der Klasse H4 die Plätze zwei und drei erreicht. "Die Strecke mit den vielen Höhenmetern und den technisch sehr anspruchsvoll zu fahrenden Kurven hat mir alles abverlangt", sagte der 41-jährige Steirer Frühwirth.

Gold-Jubel bei den Paralympics: "Wie ein Baby das Leben lernen"

Sie alle vereint, dass sie nach Unfällen in der Reha Sport betrieben haben und dieser dann zu einem Ziel im neuen Leben wurde. "Sport ist für viele eine Motivation, wieder ins Leben zurückzufinden", sagt Maria Rauch-Kallat. Die 72-jährige Ex-Ministerin ist Präsidentin des Österreichischen Paralympischen Committees (ÖPC) und in Tokio vor Ort. Sie erinnert sich auch an ihre blinde Tochter, die von einer Schulwoche mit dem Segelschein zurückkam: "Den hat sie stolz hergezeigt. Für eine pubertierende 15-Jährige war das ein gewaltiger Sprung nach vorne."

Für viele der Athleten in Tokio war der Sport der Weg zurück ins Leben. Ablinger: "Mir haben meine Werte geholfen, meine Familie, meine Freunde, meine Arbeit und nicht zuletzt der Sport." Florian Brungraber, der Silberne im Triathlon sagt: "Ich lernte in der Reha unterschiedliche Sportarten kennen, startete 2014 bei ersten Para-Handbike-Rennen und probierte Triathlon. Da erkannte ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Talent in mir."

Kein fauler Hund

Alexander Gritsch musste sich ebenfalls mit einem Leben im Rollstuhl anfreunden. Zwei Jahren nach dem schweren Verkehrsunfall meint sein Freund, dass er "kein fauler Hund sein soll und sich einen Sport auswählen" solle. Der Tiroler nahm das Handbike, und die Faszination Sport ließ ihn nicht mehr los. "Niemand kann garantieren, dass ich mein Ziel erreiche, aber wenn man nicht aufgibt, hat man sein Ziel nie verloren."

Tokyo 2020 Paralympic Games - Cycling Road

Josef "Pepo" Puch, zweifacher Silberner von Tokio, hingegen war immer schon begeisterter Reitsportler. Bei seinem schweren Reitunfall war seine Tochter sechs Monate alt. Er hatte eine inkomplette Querschnittlähmung. Das Ziel lautete: "Sie soll mich nicht im Rollstuhl sehen." Nach Monaten erreichte er, dass er wieder seine Hand bewegen konnte. Er schaffte es, eingeschränkt wieder gehen zu können. Und er setzte sich wieder aufs Pferd.

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