"Muhammad Ali verwandelte Brutalität in Poesie"

Eine Hommage an den berühmtesten Boxer der Geschichte – und einen besonderen Menschen. Von Sportreporter-Legende Sigi Bergmann.

Muhammad Ali war sicherlich mein größtes Sportidol. Nicht ganz 40 Kämpfe habe ich von ihm übertragen dürfen und musste dabei teuflisch aufpassen, einigermaßen objektiv zu bleiben. Denn jeder Gegner, der ihn hart traf, war sofort mein Feind.

Der zweifache Pulitzerpreis-Träger Norman Mailer nannte ihn einmal "die schnellfüßigste Verkörperung menschlicher Intelligenz". Ali bewegte sich so elegant, wie es sonst nur Tanz-Giganten wie Nurejew oder Baryshnikov zustande bringen.

Der Künstler

Kein Boxer in der tausende Jahre langen Geschichte des Faustkampfes war so berühmt wie Muhammad Ali. Er war schon als 18-Jähriger Olympiasieger und wurde später dreifacher Schwergewichts-Weltmeister, obwohl es viele Boxer gab, die härter schlagen konnten als er und ungeschlagen abtraten, wie etwa Rocky Marciano.

"Muhammad Ali verwandelte Brutalität in Poesie"
Aber was machte dann Alis Einmaligkeit aus? Zunächst war er in diesem blutigen Handwerk ein Künstler. Mit seinem fast lyrisch-tänzerischen Boxstil mit zwei Sidesteps, einem eleganten Vor- und Zurückspringen – dem Ali-Shuffle – und einer schnell geschlagenen Hakenserie verwandelte er Brutalität in Poesie und machte Gegner des Boxsports zu Box-Fanatikern. Aber nicht nur im Ring war er der weltbekannteste Sportler, auch als Kämpfer für die Farbigen und Verteidiger aller Underdogs wurde der anfangs Vielgehasste zum großen Liebling. Wenn ihn einer nach seinem Geburtsnamen Cassius Clay nannte, war er sein Todfeind. Immer wieder betonte er: "Das war mein Sklavenname!" Er war der Enkel eines Sklaven in Kentucky.

Der Pazifist

Als Ali es wagte, den Vietnam-Krieg zu verteufeln, nahm man ihm den Titel weg und steckte ihn ins Gefängnis. "Lieber ein Gefängnisbrot, als in Vietnam und tot", nannte der Pazifist als Credo. Mehr als zwei Jahre durfte er nicht mehr boxen, an seine früheren Leistungen kam er danach nicht mehr heran.

In der Schlussphase seines Lebens wurde er auf der ganzen Welt geliebt, Monarchen und Staatsoberhäupter empfingen ihn, etwa Queen Elizabeth, einige amerikanische Präsidenten und Papst Johannes Paul II.

Ich selbst konnte ihn fünf Mal interviewen, und jedes Gespräch mit ihm war das reinste Vergnügen. Einmal, das war in München, tanzte er um mich und die Kamera herum, schlug mit der Faust in Richtung Kamera und schrie: "Helft mir Leute, mein morgiger Gegner Richard Dunn will mich umbringen. Das darf nicht passieren." Dann klopfte er mir freundlich auf die Schulter und fragte: "Okay, my friend?" Als ich dankbar nickte, ging er ins Hotelzimmer zurück. Wenn man ihn und sein Auftreten mit heutigen großen Schwergewichtsboxern vergleicht, wäre das ungefähr so, als würde man das Burgtheater mit den Pradler Ritterspielen in einem Atemzug nennen.

Der Kämpfer

Die letzte große Ehrung seines Lebens wurde am 17. November 1999 in der Wiener Staatsoper gefeiert, wo er den World Sports Award gewann. Das war auch meine letzte Begegnung mit ihm. Im Schwind-Foyer saß der am ganzen Körper wegen seiner Parkinson-Krankheit zitternde Ali, nachdem er als bester Athlet des 20. Jahrhundert ausgezeichnet worden war. Er musste wie ein Kleinkind mit einem Löffel gefüttert werden. Es war gar nicht einfach, an ihn heranzukommen, denn er wurde von Securities streng abgesichert. Als ich aber zu ihm kam, um ihm zu gratulieren, wurden seine Wächter zum Essen gerufen, und ich stand vor ihm, machte eine tiefe Verbeugung und erzählte ihm, dass ich bei vielen seiner Fights live dabei war und sie fürs österreichische Fernsehen übertragen hatte. Und dass sich jetzt viele Österreicher mit ihm freuen. Da stand der zitternde Riese auf, legte seinen schweißnassen Kopf an meine Wange und sagte: "Allah, bless you!"

Für mich war dieser Segen wie ein Ritterschlag.

Bei uns können Sie ab Montag eine Serie von Sigi Bergmann über Ali lesen.

Dieses Interview fand im Dezember 2001 anlässlich der Premiere des Michael Mann-Films "ALI" mit Will Smith statt. Der Champ litt zu diesem Zeitpunkt schon über 15 Jahre an Parkinson. Die Antworten kamen langsam und stockend, waren aber nicht weniger pointiert.

Was halten sie von Will Smith als Muhammed Ali in diesem Film?

Muhammad Ali: Er ist okay. Er hat ganz gut boxen gelernt. Für den Film reicht es auf alle Fälle. Er hat nur ein Problem: er ist einfach nicht so hübsch wie ich.

Sie beschreiben Ihren Kampfstil als 'Tanze wie ein Schmetterling, stich zu wie eine Biene' (dance like a butterfly, sting like a bee). Was genau meinen Sie damit?

Ich habe den Kampf immer als Tanz betrachtet. Meine Füße waren immer schneller als die meiner Gegner. Ich habe sie damit abgelenkt und im richtigen Moment zugeschlagen. Das war mein Stil. Ich war im Ring wie Elvis. Er hatte seinen Elvis-Hüftschwung, ich hatte meinen Ali-Shuffle.

Sie sagten einmal, dass Sport und Showbusiness dasselbe sei. Wieviel Showbusiness ist im Boxkampf?

Ich hab immer gesagt, dass ich ein Entertainer bin, aber die meisten Boxer geben das nicht zu. Was im Ring passiert ist in meinem Fall immer 60% Showbusiness und 40% Boxen gewesen. Ich war immer einzigartig.

Sie haben 1979 einen Film mit Kris Kristofferson gedreht, FREEDOM ROAD. Hat Sie die Schauspielerei danach nie wieder gereizt?

Ich wollte ein Filmstar werden. Aber ich sage Ihnen was: es gab damals eine Verschwörung, Schwarze aus Filmen fernzuhalten. Schwarze und hübsche schwarze Mädchen. Nein, nein, ich sage das jetzt, auch wenn es vielleicht eine Kontroverse auslöst. Als ich jung war, gab es weiße Restaurants und schwarze Restaurants, Toiletten für Weiße und Toiletten für Schwarze. Wir Schwarze mussten im Bus hinten sitzen, wenn wir überhaupt mitfahren durften. Im Boxsport bin ich der Größte. Ich war betrunken vom Erfolg, ich wollte Erfolg, und wo auch immer ich war, ich wollte der Beste sein. Das hätte ich im Film nie erreicht. Die Segregation ist heute vielleicht vorbei, aber wir Schwarze sind immer noch in der Küche, was Hollywood betrifft. Als ich diesen Film machte, gab es natürlich schwarze Filme. Schwarze Filme für ein schwarzes Publikum. Wenn ein Schwarzer in einem weißen Film mitgespielt hat, dann war er immer der Kriminelle, der Sklave, der Drogendealer und auf jeden Fall hässlich. Ihr hattet Robert Redford, Paul Newman, Charlton Heston, Kris Kristofferson. Alles sehr fesche Männer. Bei uns Schwarzen wurde immer nur der Hässlichste engagiert. Es wird jetzt besser. Dass Will Smith mich spielt – auch wenn er nicht so hübsch ist wie ich – ist ein Schritt nach vorn. Aber es ist immer noch ein weiter Weg.

Sie haben sich nie ein Blatt vor den Mund genommen. Die Presse nannte Sie die Louisville-Lippe [Anm.: nach seinem Geburtsort Louisville, Kentucky]. Aber als Sie den Militärdienst verweigerten, hatten Sie da keine Angst vor den Folgen?

Ich war damals schon zu berühmt, um den Mund zu halten. Ich wusste, die können mir meinen Pass wegnehmen. Ich wusste, ich setze meine Karriere aufs Spiel – und sie haben mir für drei Jahre meine Lizenz weggenommen und meinen Titel - aber ich wusste auch, dass ich sicher nicht in ein anderes Land, nach Vietnam gehen und dort dieselben armen Trottel abknallen würde, zu denen meine Rasse im eigenen Land gehört. Es sind immer die Ärmsten, die draufzahlen. Und die Ärmsten in Amerika sind immer noch die Schwarzen. Ich habe früher immer in den schwarzen Teilen der Stadt trainiert, bin dort gejoggt, wo meine Leute waren. Einmal hielt mich die Polizei auf: ‘Mister Ali, Sie sollten hier nicht laufen.’ Warum? Weil die Polizei einen schwarzen Mann, der rennt, entweder in Haft nimmt oder abknallt.

Wie gehen Sie heute mit Ihrem Ruhm um im Gegensatz zu früher?

Ich bin immer noch der einzige Amerikaner, den sogar die Russen lieben. Ich habe mehr als 30 Weltpolitiker kennengelernt, wurde mitten im Kalten Krieg von Brezhniev im Kreml empfangen. Heute ist mir am wichtigsten, dass ich jungen Menschen helfe, dass ich sie inspiriere, ihren Träumen und Zielen zu folgen, so wie ich das getan habe.

von Elisabeth Sereda

"Die Menschen begreifen nicht, was sie hatten, bis es weg ist. Wie Präsident Kennedy. Es gab niemanden wie ihn. Wie die Beatles. Es wird nie wieder etwas geben wie sie. Wie mein Elvis Presley. Ich war der Elvis des Boxens."

Jetzt ist auch Muhammad Ali weg. Der Olympiasieger und dreifache ehemalige Schwergewichtsweltmeister litt seit 32 Jahren an der Parkinsonschen Krankheit. Das Zittern wurde immer schlimmer. Der Gleichgewichtssinn kam ihm völlig abhanden. In einem Krankenhaus bei Phönix, wohin Muhammad Ali am Donnerstag gebracht worden war, konnte sich der 74-Jährige von Atemproblemen nicht mehr erholen.

Von Barack Obama bis Donald Trump; von David Cameron bis zum spanischen Ministerpräsident Rajoy, von Madonna bis Ringo Starr; von Formel-Champion Lewis Hamilton bis zu den Klitschko-Brüdern und Boris Becker – Promis aus unterschiedlichsten Lagern melden sich betroffen zu Wort.

Muhammad Ali: Sein Leben in Bildern

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Cassius Clay (later Muhammad Ali) reads the newsp
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US boxer Muhammad Ali (formerly Cassius Clay) is
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File photo of WBC and WIBA super middleweight cham
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File photo of U.S. boxing great Muhammad Ali posin

Gesperrt

Das weltweite Echo zwingt allerdings auch zur Feststellung, dass Ali nicht immer so gewürdigt wurde; dass er, vor allem nachdem er den Kriegsdienst in Vietnam verweigert und sich dem Islam zugewandt hatte, gesperrt und speziell für Rassisten in den US-Südstaaten zum Feindbild wurde; und dass es auch in Europa massive Vorbehalte gegenüber Ali gab, zumal der nicht nur ein großartiger Boxer, sondern auch ein Großmaul war.

Wenn Ali um die WM boxte und Sigi Bergmann vom Hietzinger ORF-Studio aus das Ringgeschehen in Übersee kommentierte, hockten in Österreich bis zu zwei Millionen Menschen in verrauchten Wirtsstuben vor Schwarz-Fernsehapparaten. Und das, obwohl die TV-Übertragungen bedingt durch die Zeitverschiebung erst um drei früh begannen.

Selbst in der Sowjetunion, wo das Profi-Boxen in den Zeiten des kalten Krieges verboten war, wurde der US-Amerikaner zum Idol.

Ali glich der personifizierte Ästhetik. Er sah konträr zu manch Fettsäcken in der höchsten Gewichtsklasse blendend aus. Kein Gramm Fett. Keine durch Anabolika aufgeblähte Muskelkraft. Keine deformierte Nase. Dabei hatte er, als er mit 18 in Rom Olympiasieger wurde, laut Bergmann schon 170 Amateurkämpfe bestritten.

Ali schien sich mit seinem jeweiligen Gegner zu spielen. Die Fäuste erst gar nicht schützend vor sein Gesicht gehalten, tänzelte er lässig vor ihm herum. Allein schon seine Top-Kondition schien Ali unverwundbar zu machen. Trotzdem soll er laut US-Studien in seiner Karriere zwischen 30.000 und 35.000 Kopftreffer kassiert haben. Sie seien – so Mediziner – der Hauptgrund gewesen, weshalb die Parkinsonsche Krankheit beim Modellathleten schon im 43. Lebensjahr ausbrach.

Den spektakulärsten Kampf zeigte Ali am 1.Oktober 1975 beim "Thrilla von Manila" gegen Joe Frazier. 28.000 drängten bei 32 Grad an den Ring. Die Klimaanlagen waren ausgefallen. Als Joe Fraziers Betreuer in der 12. Runde das Handtuch warf, sackte auch Sieger Ali in seiner Ecke zusammen. Im Vorfeld des Kampfes hatte Ali vor dem Mikrofon Kühnheit bewiesen, als er dem Gastgeber und damaligem philippinischen Diktator Marcos zurief. "Ich habe deine Frau gesehen. Du bist nicht so dumm, wie du aussiehst."

Die folgenschwerste Niederlage erlitt Ali am 2. Oktober 1980 gegen Larry Holmes. Alis Leibarzt trat daraufhin zurück, weil dessen Aufforderung zum Rücktritt ignoriert wurde.

Gezwungen

Nicht nur falscher Ehrgeiz, sondern auch finanzielle Gründe veranlassten den neunfachen Vater nach fünf Scheidungen zum verhängnisvollen Weiterboxen. Darüber hinaus sollen ihn die Black Muslims, denen er sich ideologisch überzeugt angeschlossen hatte, unter Druck gesetzt haben.

Auch wenn’s nie schwarz auf weiß bestätigt wurde: Der Wunderboxer ist auch ein Opfer der amerikanischen Spannungen zwischen Weiß und Schwarz gewesen. Ali wird in seiner Heimatstadt Louisville begraben werden.

Der öffentliche Trauerzug endet den Angaben zufolge am Friedhof Cave Hill, wo Ali beigesetzt wir. Der frühere US-Präsident Bill Clinton, der Schauspieler Billy Crystal und der Sportjournalist Bryant Gumbel sollen Trauerreden halten.

Die nahen Verwandten des Verstorbenen - seine Kinder, Enkelkinder, Cousins und sein Bruder - nehmen den Angaben zufolge bereits am Donnerstag in einer privaten Zeremonie Abschied. Am Freitag in der Früh werde die Familie erneut zusammenkommen, ein Imam werde am Sarg des Verstorbenen Gebete sprechen. Anschließend beginne die öffentliche Trauerprozession. Ali habe vieles von dem, was geplant sei, noch selbst bestimmt, sagte Gunnell.

Septischer Schock

Der legendäre Schwergewichts-Boxer war am Freitag im Alter von 74 Jahren in Scottsdale (US-Staat Arizona) nach einem langen Kampf gegen die Parkinson-Krankheit gestorben. Laut seinem Sprecher war die offizielle Todesursache ein "septischer Schock aus nicht spezifizierten natürlichen Gründen".

Der Sprecher stellte klar, dass Ali bereits am Montag ins Krankenhaus eingeliefert worden sei - und nicht erst am Donnerstag, wie die Familie zunächst mitgeteilt hatte. "Wir hatten noch viel Hoffnung, dass es eine Wende gibt", sagte Gunnell. Dann habe sich aber herausgestellt, dass sich Alis Zustand verschlechterte.

Letzte Stunden

Seine letzten Stunden habe Ali im engsten Familienkreis verbracht. "Er hat nicht gelitten", fügte Gunnell hinzu. Der Leichnam sollte bis spätestens Montag nach Louisville überführt werden. Die Flaggen in der Geburtsstadt der Box-Legende wehten am Samstag auf Halbmast. Trauernde legten an dem Museum, das Muhammad Ali gewidmet ist, Blumen nieder. Viele suchten das Haus auf, in dem Ali als Cassius Clay seine Kindheit verbrachte. Auch am Krankenhaus in Scottsdale, wo Ali gestorben war, versammelten sich Trauernde.

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