Verstappen vs. Hamilton, Ferrari vs. Ferrari: Die Formel-1-Duelle 2022
Selten war die Frage nach den Titelanwärtern so schwer zu beantworten wie in dieser Saison, die am Sonntag in Bahrain startet (16 Uhr MEZ). Ein neues Reglement hat bewirkt, was es bewirken sollte: Die alten Kräfteverhältnisse gelten nicht mehr.
Im Gegensatz zu den Vorjahren ist davon auszugehen, dass heuer mehrere Teams das Potenzial haben, um Rennsiege zu fahren. Doch es geht nicht nur um den Titel, sondern auch um interne oder verbale Rivalitäten. Der KURIER hat sich festgelegt, dass die Saison von fünf Duellen geprägt werden wird.
Verstappen vs. Hamilton: Die Ausnahmekönner
Spätestens seit dem hochdramatischen WM-Finale 2021 in Abu Dhabi zählt das Duell Max Verstappen gegen Lewis Hamilton zu den größten der Sportgeschichte und ist in der Formel 1 nur noch mit dem epischen Kampf zwischen Alain Prost und Ayrton Senna zu vergleichen.
Gute Freunde werden Verstappen und Hamilton keine mehr werden. Zu viel unterscheidet die beiden besten Piloten der Gegenwart, auch 13 Jahre trennen den 24-jährigen Niederländer vom 37-jährigen Briten.
Der junge Verstappen geht voll in seinem Job auf, Hamilton fühlt sich auch auf den roten Teppichen dieser Welt wohl; Verstappen zieht sich in den Tagen zwischen den Rennen zurück, Hamilton ist nicht nur auf Social Media aktiver; Verstappen gibt sich eher unpolitisch, Hamilton versucht, seine Popularität zu nutzen, um etwas zu bewegen.
So war der Brite einer der wichtigsten Unterstützer der Black-Lives-Matter-Bewegung und ging vor jedem Rennen auf die Knie, Verstappen blieb stehen und begründete, dass er lieber Taten als Gesten sprechen lassen wolle.
Groß und ehrlich gemeint ist allerdings die Anerkennung füreinander. So erzählte Verstappen, wie sehr es ihm imponiert habe, dass ihm Hamilton in Abu Dhabi zum Titel gratuliert hatte: „Das hat Lewis sicher wehgetan. Respekt dafür.“ Auf der anderen Seite lässt Hamilton keine Möglichkeit aus zu betonen, dass er Verstappen für einen würdigen Weltmeister hält.
„Wenn Lewis heuer mithalten will, muss er Max mit dessen eigenen Waffen schlagen“, sagt der ehemalige Formel-1-Fahrer und jetzige Sky-Experte Martin Brundle. „Wenn er den historischen achten Titel holen will, muss er die Ellenbogen ausfahren. Denn Max hat die WM durch seine aggressive Fahrweise gewonnen.“
Erstmals in seiner Karriere ist Verstappen der erklärte Titelfavorit, erstmals seit 2013 ist Lewis Hamilton nicht mehr der Gejagte, sondern der aggressive Jäger. Wird Verstappen, der Mann mit dem enormen Grundspeed, seine Fahrweise anpassen – und in entscheidenden Momenten vielleicht doch zurückziehen?
Leclerc vs. Sainz: Die Kollegen
Ferrari ist wieder da. Seit Kimi Räikkönen im Jahr 2007 hat die Scuderia keinen Weltmeister mehr gestellt. Doch heuer ist man optimistisch wie selten zuvor. Der F1-75 scheint den Ingenieuren geglückt zu sein, und mit Charles Leclerc und Carlos Sainz Jr. verfügt man über zwei hervorragende Piloten, die in etwa auf einem Niveau sind.
Doch genau diese Tatsache könnte für Ferrari zum Bumerang werden. Denn im Kampf um den Titel darf man sich intern keine Punkte wegnehmen, oft kommt der Moment, in dem ein Team klare Hierarchien benötigt. Es ist jener Moment, in dem der Nummer-2-Fahrer seinem Teamkollegen Platz macht. Für die Ferrari-Piloten gibt es jetzt nur eine Devise: Jeder muss versuchen, sich möglichst schnell den Status der Nummer 1 im Team zu erarbeiten.
Der 24-jährige Leclerc trägt noch immer den Stempel „Talent“. Nach nur einem Jahr bei Sauber wechselte er 2019 zu Ferrari, wo er den vierfachen Weltmeister
Sebastian Vettel nicht gut aussehen ließ. Ferrari verlängerte den Vertrag bis 2024 und gab ihm damit den längsten Kontrakt in der Geschichte des Rennstalls.
Carlos Sainz Jr., der Sohn der gleichnamigen Rallye-Legende, wurde hingegen lange Zeit unterschätzt. Doch im Vorjahr überraschte der 27-Jährige bei Ferrari. Vier Mal stand er auf dem Podest, kein einziges Mal fiel er aus. „Sainz hatte das Pech, im entscheidenden Moment seiner Karriere auf Verstappen zu treffen“, sagt Helmut Marko über Sainz’ Zeit bei Toro Rosso zwischen 2015 bis 2017. „Aber er zählt zu den Topleuten. In meinen Augen hat er Leclerc entzaubert.“ Vor allem in den Rennen. Über eine Runde zählt Leclerc, wie gestern in Bahrain, weiter zu den Allerbesten.
Norris vs. Russell: Der Hamilton-Erbe
Großbritannien gilt als Heimat des Motorsports. Nirgendwo ist die Formel 1 so wichtig wie auf der Insel: Von dort kamen bereits zehn Weltmeister, dort haben die meisten Teams ihre Fabriken. Noch steht man in Großbritannien voll auf und hinter Lewis Hamilton, der von Prinz Charles auf Schloss Windsor zum Ritter geschlagen wurde. Doch wer kommt nach ihm? Wer wird die nächste Nummer 1 auf der Insel?
Mit Lando Norris (22) und George Russell (24) stehen zwei hochtalentierte Rennfahrer bereit, denen in dieser Saison endgültig der Durchbruch zugetraut wird. Hamilton hat sich schon festgelegt: „Es wird der Punkt kommen, an dem ich in diesem Sport nicht weitermache. Mein Teamkollege wird der nächste Brite sein, den ich als Weltmeister sehen will.“
Russell steht vor einem entscheidenden Jahr in seiner Karriere, sein Können muss er in Zählbares umsetzen. Bei einem Top-Team wie Mercedes, gegen einen siebenfachen Weltmeister als Teamkollegen. Schon mehr auf der Haben-Seite stehen hat Lando Norris. Der stellt bei McLaren regelmäßig seinen erfahrenen Teamkollegen Daniel Ricciardo in den Schatten. Fünf Mal fuhr er schon auf das Podest. Doch jetzt reicht es ihm: „Podeste sind fad. Ich möchte Rennen gewinnen und um die Weltmeisterschaft fahren.“
Horner vs. Wolff: Die Super-Teamchefs
Sie sind für das große Drama abseits des Asphalts zuständig: Die Teamchefs von Red Bull und Mercedes, Christian Horner und Toto Wolff. Unvergessen ihre Emotionen während der letzten Runde von Abu Dhabi. Der Brite Horner jubelte mit geballten Fäusten wie ein Boxer nach dem K.-o.-Sieg, der Wiener Wolff raufte sich die Haare, die Verzweiflung ins Gesicht geschrieben.
Mit ihren emotionalen Ausbrüchen wurden Horner und Wolff zu Stars der neuen Netflix-Staffel von „Drive to Survive“. „Die Fahrer sind zurückhaltend geworden“, erklärt Rennexperte Marc Surer. „Den Kampf der Worte tragen die Teamchefs aus.“
Beide spielen perfekt mit den Medien und pflegen bewusst die Rivalität. Sie wissen, welche Aussagen beim Publikum gut ankommen. Über TV oder Print sticheln sie immer wieder, manchmal mit einem Augenzwinkern für die Show, manchmal ernster. Es ist ein Spiel mit allen Waffen der Kommunikation, das darauf abzielt, den Gegner zu destabilisieren. Einem Protest von der einen Seite folgt der Gegenprotest der anderen. Oder steckt doch viel weniger Kalkül hinter dem Psychokrieg, wie ein Kommentar von Christian Horner vermuten lässt? „Es macht einfach Spaß, Toto ein bisschen zu ärgern“, sagt der Brite.
Corona vs. alle: Der Spielverderber
Nach zwei Pandemie-Jahren mit extremen Sicherheitsvorkehrungen sind die verpflichtenden Tests für alle im Fahrerlager Geschichte, auch die Maskenpflicht ist gefallen. Einzig die Fahrer werden noch regelmäßig getestet. Gleich am ersten Wochenende erwischte es Sebastian Vettel. Unter den derzeitigen Umständen scheint die Chance einer Infektion in der Formel 1 so hoch wie nie zu sein, und ein positiver Test kann die Weltmeisterschaft entscheiden.
In Bahrain sprachen sich deshalb manche Fahrer dafür aus, dass auch Corona-positive Piloten starten dürfen sollen, etwa Sergio Pérez: „Wir sind früher auch angeschlagen ins Auto gestiegen.“
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