Toto Wolff: „Du brauchst in der Formel 1 eine gewisse Distanz“

Erfolgsduo: Teamchef Toto Wolff mit Weltmeister Lewis Hamilton
Der Wiener führte Mercedes zu fünf WM-Titeln in Serie. Ein Gespräch über die Gier nach Erfolg und die Gefahr des Ruhms.

Am eindrucksvollsten zeigt sich die Dominanz von Mercedes in der Formel 1 in einem Abstellraum in der Teamzentrale. Die Trophäenschänke sind zu klein geworden, zahlreiche Pokale lagern hier im Verborgenen. Daran war nicht zu denken, als Toto Wolff 2013 den Teamchef-Posten beim damaligen WM-Fünften antrat.

„Als ich das erste Mal hierher kam, lagen im Foyer eine uralte Daily Mail und zwei leere Kaffeebecher vom Vortag. Mein Ansatz war, dass ein erfolgreiches Formel-1-Team Perfektion an jedem Tag und in jedem Bereich zeigen muss“, erinnert sich der Wiener, der vor dem letzten Rennen in Abu Dhabi am Sonntag (14.10 Uhr MEZ/ live ORF eins, RTL) den KURIER in der Mercedes-Teamzentrale in England empfing.

KURIER: Herr Wolff, war der Einstieg beim Formel-1-Team von Mercedes die beste Investition Ihres Lebens?

Toto Wolff: Rein finanziell betrachtet war es das nicht.

Auch nicht aus emotionaler Sicht? Immerhin ist der Rennsport Ihre Leidenschaft.

In der Kombination aus wirtschaftlichem Erfolg und emotionaler Zufriedenheit schon. Sagen wir so: Es ist das Investment, das mir langfristig die meiste Freude bereitet. Aber es gab und gibt auch andere Investitionen, die mir Spaß machen, die aber nicht so in der medialen Auslage stehen wie die Formel 1.

Macht nur das Gewinnen Spaß?

Das Gewinnen macht die ganzen Mühen, die wir in einer Saison durchleben, wett. Das tiefe Gefühl der Zufriedenheit, das wir seit dem Gewinn beider Weltmeisterschaften heuer haben, ist einzigartig.

War das Investment für Sie risikoreicher, weil der Rennsport Ihre Leidenschaft ist?

Rennsport war immer mein Hobby, stimmt. Aber zum Geschäft geworden ist es schon vor dem Einstieg bei Mercedes, als ich 2006 die ersten Beteiligungen im Motorsportsektor abgeschlossen habe. Da haben diese zwei Welten erstmals zueinandergefunden: die Leidenschaft für den Sport und das wirtschaftliche Interesse.

Es gibt Menschen, die sagen, wenn ein Hobby zum Beruf wird, verliert man sein Hobby. Stimmen Sie zu?

Wenn ich in der Früh ins Büro fahre, habe ich nicht das Gefühl, zur Arbeit zu gehen. Dafür bin ich schon dankbar. Ich hatte das Glück, zu wissen, wie ich meine Stärken mit meiner Passion verbinden kann. Was aber auch nicht heißt, dass ich nur gute Tage hier habe oder nicht erledigt bin, wenn ich nach Hause komme.

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Je fünf WM-Titel nacheinander bei Fahrern und Konstrukteuren gab es erst einmal bei Ferrari mit Michael Schumacher von 2000 bis 2004. Was bedeutet Ihnen das persönlich?

Ich schaue ungern auf Statistiken und in die Rekordbücher. Mir geht es eher um die Gegenwart und darum, was morgen sein wird. Ich schaue mir meine Statistiken an, wenn das Kapitel hier bei Mercedes für mich geschlossen wird. Gleichzeitig bedeutet dieser fünfte Doppeltitel dem gesamten Team viel mehr, als ich erwartet habe.

Was meinen Sie damit?

Erstens war es eine sehr schwierige Saison gegen Ferrari. Zweitens ist die Einstellung des Ferrari-Rekords schon speziell, weil es für mich jene Ära war, die die dominanteste in der Geschichte der Formel 1 repräsentiert. Das Ausmaß der Zufriedenheit und die Ausgelassenheit in der Fabrik nach dem fünften Titel habe ich in den sechs Jahren hier als Teamchef noch nicht erlebt.

Besteht die Gefahr, deshalb künftig vielleicht ein bisschen nachzulassen?

Ich glaube nicht, weil wir von unserer Herangehensweise demütig und dankbar sind. Die Werte in diesem Team stimmen. Wenn ich mir manchen Mitbewerber ansehe, scheinen einige manchmal zu vergessen, dass es nur Sport ist, den wir hier machen, keine Weltpolitik. Und dass es über unseren Mikrokosmos hinaus Dinge gibt, die viel wichtiger sind. Du brauchst in der Formel 1 eine gewisse Distanz.

Rund um den GP der USA haben Sie an der New Yorker Börse einen Vortrag gehalten. Was wollten die von Ihnen hören?

Lewis und ich haben an der NASDAQ eine Konferenz abgehalten mit allen CEOs unserer Sponsoren und Partnerunternehmen. Grob gesagt ging es um High-Performance.

Was kann ein Vorstandsvorsitzender eines börsennotierten Unternehmens von einer Sportmannschaft lernen?

Es gibt viele Parallelen. Wir sind nur so gut wie das letzte Rennen, und ein börsennotiertes Unternehmen ist nur so gut wie der letzte Quartalsbericht. Mir ging es um die Frage: Wie kannst du diesen Druck der Kurzfristigkeit einerseits akzeptieren und dich gleichzeitig davon lösen, um das Unternehmen langfristig zu entwickeln? Ich denke, dass da ein Formel-1-Team viele interessante Anhaltspunkte liefern kann.

Wo sind die Egos größer, Börse oder Formel 1?

Überall, wo die Kamera auf einen Menschen gerichtet wird, besteht immer auch die Gefahr, dass du Opfer deines Egos oder Narzissmus wirst. Das gibt es sicherlich in beiden Welten. Ich repräsentiere natürlich das Unternehmen nach außen, gleichzeitig ist mir bewusst, dass diese Öffentlichkeit mit der Rolle zusammenhängt und nicht mit meiner Person.

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Ruhm ist verführerisch. Welche Werkzeuge haben Sie, um dem nicht zu verfallen?

Es gibt ja genügend Beispiele, die daran gescheitert sind. Das sind schon einmal gute warnende Beispiele. Mir ist wichtig, ein Umfeld zu haben, das mir ehrliche Kritik gibt.

Es gab 2018 einige kritische Momente, etwa das Rennen in Spa, wo Ferrari stärker als Mercedes aus der Sommerpause zurückgekehrt ist. Wie geht man mit solchen Rückschlägen um?

Der Tiefpunkt war der Doppel-Ausfall beim Österreich-Rennen in Spielberg. Die Tage, an denen wir verlieren, sind auf lange Sicht die wichtigsten. Das Gefühl des Schmerzes und die Reflexion über die Niederlagen bedeuten Fortschritt, persönlich und auch technisch.

Wir sitzen hier in Mittelengland. Wie sehr ist der Brexit ein Thema im Unternehmen?

Wir sind stark betroffen vom Brexit. Wir haben europäische Lieferanten, viele EU-Bürger, die hier leben und arbeiten. Wir rüsten uns für den Ernstfall und haben genügend Material vorbestellt, um Engpässe zu vermeiden.

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Toto Wolff mit Ehefrau Susie

Der Brexit zielt auf Abschottung ab, eine Tendenz, die man auch in anderen Erdteilen spürt. Wie sehen Sie als Chef eines internationalen Unternehmens und als Teil einer globalen Serie diese Entwicklungen?

Der Sport sollte dazu beitragen, die Menschen zu unterhalten und zu vereinen. Nur eines zur Weltpolitik: Wir sollten uns schon über den europäischen Gedanken bewusst sein – und darüber, dass wir gemeinsam stärker sind.

Auch Ihre Familie betrifft der Brexit massiv, immerhin ist Ihre Frau Susie Wolff Schottin. Ist das ein Thema?

Klar. Sie ist im Herzen Schottin, ich bin im Herzen Österreicher und unser Hauptwohnsitz ist mittlerweile England. Wir beobachten die Lage genau. Vielleicht ist das, was gerade politisch passiert, notwendig. Vielleicht muss es zuerst schlechter werden, damit es irgendwann wieder besser wird.

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