Selbstversuch in Imola: Wie fährt sich ein Rennwagen der Formel 3?
Prossima fermata: Imola. Ankunft mit dem Regionalzug an einem Sonntag um 7 Uhr in der Früh. Die Sonne geht schön langsam auf, es wird ein feiner Sommertag. Ein paar Jugendliche sind nach durchzechter Nacht auf dem Heimweg, haben für die morgendliche Idylle recht wenig übrig. Das Straßenschild weist den Weg: Autodromo.
Ein Fußmarsch von 25 Minuten als Aufwärmprogramm für das, was noch folgen soll. Dann steht man vor der Strecke Enzo e Dino Ferrari, beim Schalter von Veranstalter Puresport warten schon andere Benzinbrüder und -schwestern.
Imola 2
Die Angst der Vortage weicht schön langsam dem Wissen, jetzt ohnehin nicht mehr abbiegen zu können. Es geht nur noch geradeaus. Nach der Anmeldung holt man sich die Ausrüstung: Rennanzug, Schuhe, Handschuhe, Sturmhaube, Helm.
Erstmals fühle ich mich wie ein Rennfahrer. Dieses kurze Hochgefühl wird von Instructor Augusto beim Briefing gleich wieder ausgebremst. „Wenn ihr jetzt zum ersten Mal ein Monoposto fährt, wollt ihr danach in nichts anderes mehr einsteigen.“ Und wie soll das auf der Tangente gehen?
Wann kommt der Dreher?
Die Warnung folgt auf den Gasfuß. „Imola ist eine alte Rennstrecke, da sind die Mauern recht nahe. Wenn ihr abfliegt, dann werdet ihr zu 70 Prozent die Mauern berühren.“ Beruhigend. Augusto schaltet gleich in den nächsten Gang. „Die Frage ist nicht, ob man sich drehen wird, sondern wann.“ Er sollte Recht behalten...
Die Vormittagsession mit zehn Runden beginnt um 10 Uhr. Zehn Minuten davor setze ich mich in der vollen Montur ins Auto, werde von Mechaniker Davide festgegurtet. Schweißausbruch bei 30 Grad, Durstgefühl. Noch einmal raus, trinken, dann wieder in die liegende Sitzposition. Das Auto wird in die Pitlane geschoben und gestartet. Jetzt wird es ernst für mich als völliger Rookie. Noch nie war ich in einem ähnlichen Geschoß wie in diesem Formel 3-Dallara mit 255 PS gesessen. Es gibt kein Zurück.
Die schnellste Runde in Imola
Mittels Gaspedal schraubt man sich hoch auf 5000 Umdrehungen, die Kupplung gaaaanz langsam kommen lassen. Er fährt – nach 100 Metern sogar richtig rund. Ein erhebendes Gefühl, weil das erste Hindernis genommen ist. Die Ampel leuchtet grün, der sitzende Streckenposten nickt.
Gleich nach der Boxenstraße wird beschleunigt und einen Gang höher geschalten, Einlenken in die erste Schikane. Die Sonne scheint über Imola, mein Gesicht strahlt unter dem Helm. Durch die Curva Tamburello, ein kurzer Blick nach rechts, dorthin, wo Held Ayrton Senna 1994 sein Leben gelassen hatte.
Nach den ersten Runden machen sich gleich mehrere Gefühle breit. Einerseits verspüre ich die Sicherheit, alles unter Kontrolle zu haben. Andererseits fühlt sich das Fahren einfacher an als befürchtet. In zehn Runden werde ich ob meiner defensiven Fahrweise gleich sechs Mal überholt, einerlei, denn auch diese Manöver gehen ohne Komplikationen vonstatten.
Erstaunlich, wie gut man die Autos im Rückspiegel schon von Weitem sehen kann. Das Lenkrad-Display spricht auch mit einem, erzählt vom aktuellen Gang, der Drehzahl und zeigt die letzte Rundenzeit an.
Brav und langsam
Die Session ist vorüber, ein gewisser Stolz macht sich breit. Dann bittet Andrea zum Debriefing, startet das Video der Onboard-Kamera und pickt sich exemplarisch zwei Runden heraus. „Du fährst solide, da und dort eine schöne Linie und machst keine dummen Dinge.“ Noch nie habe ich eine schönere Umschreibung für Sonntags-Fahrer gehört.
Die beste Rundenzeit 2:16 Minuten, Topspeed auf der Geraden 180 km/h. Wer langsamer fährt, bekommt viel mehr von dieser tollen Landschaft in der Emilia Romagna mit. Die Strecke ist mit den Bergauf- und Bergab-Passagen tatsächlich ein wahrer Traum.
In Hinblick auf die zehn Runden am Nachmittag gibt Andrea noch gute, wahrscheinlich noch nie geäußerte Tipps mit auf die Reise: Das Gaspedal mehr durchtreten, später bremsen. Umgelegt auf den Fußball hieße das: Flach spielen, hoch gewinnen.
Und wer diese einfachen Dinge beherzigt, der erlebt sein wahres Imola-Wunder. 2:01,52! Mit 195 km/h rast man bergab Richtung Curva Rivazza. 70 Meter davor springt man in die Bremsen, schaltet gleichzeitig drei Gänge runter und schmeißt den Wagen in die Kurve. Und siehe da, die Räder picken am Boden, das Auto hält perfekt die Linie. Herrlich.
Und danach die Beschleunigung auf die Start-Ziel-Gerade, nicht zu früh schalten, den Motor richtig aufjaulen lassen, um Tempo aufzunehmen. 232 km/h wird die Telemetrie später anzeigen.
Dreher in Imola
Da ist der Dreher
Ich bin mir sicher, dass sich schon manches Formel-1-Team nach meiner Telefonnummer erkundigen wollte, wäre da nicht dieser saudumme, ach so ärgerliche Lapsus in der allerletzten Runde, vier Kurven vor dem Ende gewesen. Da war er, der Dreher.
Einmal noch um den Kurs, alles genießen, sich innerlich von Imola verabschieden. Ciao amore, schön war’s mit dir. Gemütlich in Richtung Box rollen.
Aber sagen Sie das einmal einem echten Racer!
Noch einmal Vollgas, runterschalten in der Curva Aque Minerale, beim Einlenken noch einmal vom dritten in den zweiten Gang, etwas zu spät, die Drehzahl schnalzt rauf, die Hinterachse beschleunigt, das Heck sagt Buon giorno und überholt mich links. Wie hat Heinz Prüller immer gesagt? „Da hat er geistesgegenwärtig die Kupplung getreten!“
Hilft auch nichts, der Motor ist abgestorben, der rechtzeitig abgefangene Wagen steht halb bergab, der Pilot Auge in Auge mit dem Streckenposten, der mit der roten Flagge herumfuchtelt. Die Session ist wegen mir abgebrochen. Gratulazione!
Nach einer Minute des Kopfschüttelns gelingt der Versuch, den Motor anzuwerfen, das Auto schräg bergauf wieder auf die Strecke zu bewegen. Stolz bahnt sich den Weg, eine Stresssituation erfolgreich gemeistert zu haben.
In der Box empfängt einen Augusto. „Sorry, ich hatte einen Dreher“, will man sich natürlich für die Dummheit entschuldigen. Die Antwort ist entwaffnend und erleichternd: „Alle vier Räder sind noch am Auto. Alles ist gut.“
Aug’ in Aug’ mit Ayrton
Die 20 Runden von Imola sind zu Ende, völlig durchgeschwitzt aber überglücklich geht man mit Andrea per Video noch die beste Runde durch, freilich muss auch der Dreher feinsäuberlich analysiert sein. „Der dritte Gang hätte eh gereicht.“ Tja, g’scheiter ist man meist im Nachhinein.
Ein letzter Weg steht noch bevor – jener zum Denkmal von Ayrton Senna in einem Park. Da sitzt er auf einem Stein mit gesenktem Haupt, eine Rose in Händen haltend. Irgendwer hat ihm das blaue Kapperl mit dem „Nacional“-Schriftzug aufgesetzt. Demütig steht man vor der Büste des Größten aller Zeiten. „Und, hast meine 2:01-Runde gesehen? Nicht so schlecht für einen blutigen Anfänger, oder?“
Prossima fermata: Monza.
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