Sein Wort hat Gewicht im Motorsport. Als Streckendesigner, Fahrsicherheitsexperte und Vorsitzender der Formel-1-Fahrergewerkschaft ist der niederösterreichische Ex-Pilot Alexander Wurz, 46, maßgebend daran beteiligt, ob und wie die Königsklasse ihre Saison starten kann.
KURIER:Herr Wurz, wie realistisch ist ein Auftakt am 5. Juli?
Alexander Wurz: Die unterschiedliche zeitliche Verbreitung sowie die unterschiedliche Handhabung des Virus machen es komplex. Die Formel 1 ist zudem von den politischen Richtlinien in den jeweiligen Ländern abhängig. Was ich sagen kann, ist: Alles, was in den direkten Entscheidungsbereich der Rennserie fällt, wurde bisher sorgfältig abgearbeitet.
Wie lückenlos kann ein Rennen organisiert werden, um Infektionsketten zu minimieren?
Die Formel 1 stellt gerade ihren gesamten Grand-Prix-Ablauf auf den Kopf. Es geht um Details, aber darin ist der Motorsport gut. Die Teams dürfen etwa nicht gleichzeitig zur Rennstrecke kommen, sondern gestaffelt. Es geht aber auch um viel banalere Dinge.
Ein Beispiel, bitte!
Manche Piloten bekommen den Sicherheitsgurt vom Mechaniker angelegt. Da reden wir von ein paar Zentimetern Abstand zwischen zwei Personen. Das geht künftig eben nur, wenn der Mechaniker einen Gesichtsschutz trägt und der Pilot schon mit dem Helm einsteigt. Es wird viele Protokolle geben, an die sich alle Beteiligten halten müssen. Aber diese Checklisten ist man in der Formel 1 gewöhnt. Intern ist alles zu lösen. Ein bisschen anders sieht es bei den Reisetätigkeiten aus. Entscheidend wird sein, ob der gesamte Tross ohne Konsequenzen ein- und wieder ausreisen darf. Aber auch eine Quarantäne vorab für alle beteiligten Personen wäre machbar. Das würde nur die Anzahl der Saisonrennen deutlich reduzieren.
Der Rennfahrer
Der Niederösterreicher (*15. 2. 1974) ist der Sohn des Rallyecross-Europameisters Franz Wurz. Bevor er sich ganz dem Motorsport verschrieb, feierte Alex Wurz den WM-Titel auf dem BMX-Rad. Zwischen 1997 und 2007 bestritt er 69 Grands Prix für Benetton, McLaren und Williams. Drei Mal wurde er Dritter. Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans gewann Wurz zwei Mal (1996 als jüngster Sieger der Geschichte; 2009).
Der Geschäftsmann
Wurz ist tätig als Streckendesigner, Fahrsicherheitsexperte, Vorsitzender der Fahrergewerkschaft der Formel 1 und Co-Kommentator im ORF. 2014 erhielt er die KURIER-ROMY. Der leidenschaftliche Radfahrer lebt mit Frau und den drei Söhnen (der Älteste fährt Rallyecross, die beiden Jüngeren Kart) in Monaco.
Was sagen die Piloten zu den Planungen?
Jeder ist sich bewusst, dass es sich gerade um ein Ereignis handelt, das hoffentlich einmalig ist und das größer ist als der Sport. Rennfahren ist erstmals für viele sekundär. Gleichzeitig ist den Piloten bewusst, dass die Formel 1 eine Industrie ist mit Dutzenden Firmen und Tausenden Mitarbeitern. Um diese Industrie muss man sich kümmern. Und dabei zeigt sich gerade eines.
Was denn?
Die Piloten sind vernünftige Menschen. Nicht jeder ist superreich, einige müssen Geld an Förderer zurückzahlen, aber keiner muss sich Sorgen machen, wie er Essen für seine Familie auf den Tisch bekommt. Daher könnten einige sagen: „Ich mach’ das alles nicht mit!‘ Das tun sie aber nicht. Weil sie wissen, dass es für Hunderte Mitarbeiter in ihren Teams ums Überleben geht.
Einige Teams fürchten die Insolvenz, sollte die Saison nicht zustande kommen. Ist es wirklich so dramatisch?
Da kann ich nur eine allgemeine Aussage treffen. Die Konsequenzen kann noch niemand verstehen, weil wir das menschliche Verhalten in der Nach-Krisen-Zeit kaum kalkulieren können. Ich habe Freunde in China, die sagen: Wir dürfen wieder ins Kino gehen, nur tut das keiner. Weil die Angst zu groß ist. Die entscheidende Frage wird sein: Wie lange lähmt uns diese Angst? Wir befinden uns ohnehin in einer herausfordernden Zeit für die Mobilität. Es wird jedenfalls ernste Konsequenzen für den Motorsport haben. Ohne Budgetgrenzen in allen Rennsportkategorien wird es nicht gehen.
Video: Alexander Wurz rast mit Brad Pitt durch Le Mans
Wie verlockend ist es, als erster globaler Sport sagen zu können: Wir haben den Betrieb wieder erfolgreich aufgenommen?
Natürlich ist das ein Zusatzantrieb für eine Sportart, die sich über die Vorreiterrolle mitdefiniert. Man muss aber festhalten, dass seit dem verheerenden Wochenende in Imola 1994 (Ayrton Senna und Roland Ratzenberger starben im Rennauto, Anmerkung) bei jeder Entscheidung der Sicherheits- und Gesundheitsaspekt eine zentrale Rolle spielt. Das ist seither eine Stärke der Formel 1 und davon profitiert sie auch in der aktuellen Lage. Die Sicherheit muss auch mit weniger Personal an der Rennstrecke gewährleistet sein. Es wäre fatal, wenn vielleicht die Radaufhängung nicht mehr kontrolliert werden kann. Die Auswirkungen auf die Performance der Rennwagen werden hingegen minimal sein. Der Zuseher wird keinen Unterschied merken.
In Ihrer Wahlheimat Monaco waren die Ausgangsbeschränkungen rigoros. Wie ging es Ihnen damit?
Ich war in den vergangenen Jahren selten länger als eine Woche durchgehend daheim. So gesehen habe ich diese Zeit persönlich durchaus genossen. Ich weiß das als absolutes Privileg zu schätzen, weil ich wirtschaftlich und gesundheitlich auf der sicheren Seite bin. Wir haben rund ums Haus viel Sport gemacht und sind dadurch in der Familie alle fitter geworden. Aber auch geduldiger im Umgang miteinander.
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