Messi auf Rädern: Warum Österreichs Radballer Weltklasse sind
Wenn Patrick Schnetzer am Ball ist, dann machen viele große Augen. Diese enge und elegante Ballführung; diese Pässe übers halbe Feld, die punktgenau und einschussbereit beim Teamkollegen landen; dieses geniale Spielverständnis, das den Vorarlberger auszeichnet; nicht zuletzt seine harten Schüsse, die zielsicher im Kreuzeck landen – Patrick Schnetzer macht Sachen, die viele Fußballer gerne können würden.
Und dabei rührt er keinen Fuß. Dem 28-Jährigen reicht der Vorderreifen seines Spezialfahrrades, damit drückt er seine Spielfreude aus und offenbart sein beeindruckendes Ballgefühl. „Fußball spielen kann praktisch jeder, aber wir Radballer können etwas Besonderes. Wir gehören nicht zum Mainstream.“
Der Ursprung
Der US-Kunstradfahrer Nick Kaufmann bugsierte Ende des 19. Jahrhunderts einen kleinen Hund, der ihm vors Rad gelaufen war, sanft mit dem Vorderreifen zur Seite – laut Überlieferung die Geburtsstunde des Radballs
Das Spiel
Im Zweier-Radball duellieren sich zwei Teams mit jeweils zwei Spielern. Das Spielfeld ist 11 x 14 Meter groß, das Tor ist 2 Meter hoch und 2 Meter breit. Ein Match dauert 2 mal 7 Minuten
Der Ball
600 Gramm wiegt der Ball, mit dem die Radballer ihre Kunststücke aufführen. Das Rosshaar im Inneren sorgt dafür, dass der Ball kaum springt. Die besten Schützen beschleunigen den Ball mit ihrem Vorderrad auf bis zu 80 km/h
Die Regeln
Die Radballer dürfen mit den Füßen nicht den Boden berühren. Passiert das trotzdem, muss der betroffene Sportler zurück zum eigenen Tor radeln und die Toroutlinie überqueren. Der Tormann darf im Strafraum den Ball mit der Hand abwehren, schwere Fouls werden mit einem 4-Meter-Strafstoß geahndet
Das Rad
3.000 Euro kosten die Spezialräder. Je nach Bauart ist der Rahmen aus Stahl oder Aluminium.
Ein Radball-Rad hat nur einen Gang und keine Bremse
Die Top-Nationen
Deutschland, Österreich, Tschechien und die Schweiz sind tonangebend und stellten bisher immer das Weltmeisterteam
Hochburg Vorarlberg
Patrick Schnetzer ist so etwas wie Lionel Messi, Cristiano Ronaldo und Kylian Mbappe in einer Person. Der Vorarlberger fährt im Radball seit Jahren die großen Erfolge ein und sammelt Titel und Trophäen. Sieben Mal holte er bereits den WM-Titel, an diesem Samstag kämpft er an der Seite von Stefan Feurstein in Budapest um seinen siebenten Triumph bei der EM.
Wer es im Radball einmal so weit bringen möchte wie Schnetzer, der braucht einerseits viel Übung und großen Idealismus, vor allem sollte er in Vorarlberg leben. Denn das Ländle ist hierzulande traditionell die Hochburg der Radballer, Patrick Schnetzer konnte noch nicht einmal richtig Radfahren, da hatte er schon umgesattelt und die ersten Runden auf dem Spezialrad gedreht, das jeden Ottonormalbiker wie einen Drahtesel aussehen lässt.
Pedal-Techniker
„Es ist etwas komplett anderes als das normale Radfahren“, erzählt der siebenfache Champion, der im Alter von sieben Jahren seine ersten Rollversuche machte. „Man kann sich nicht einfach draufsetzen und herumfahren. Es dauert schon zwei, drei Jahre, bis man das Rad im Griff hat und mit dem Ball etwas anfangen kann.“
Patrick Schnetzer gilt als echtes Radballgenie. Er hat den strammen Schlagschuss genauso im Repertoire wie den gefinkelten Schlenzer, er erzielt Volley-Tore mit dem Hinterrad und bugsiert in seiner Funktion als Tormann den Ball in hohem Bogen über die Gegner ins Tor.
200 Euro Preisgeld
Wie gut die Athleten das Rad und den Ball beherrschen, zeigte vor einigen Jahren ein Kräftemessen an der Torwand. Als die Radballer gegen die deutschen Fußballweltmeister von 1990 antraten, setzte es eine deutliche Niederlage – für die Kicker.
Trotzdem werden Radballer wie Patrick Schnetzer mitunter immer noch belächelt und als Exoten oder Spinner abgetan. „Wenn ich sage, dass ich Radballer bin, dann wird es meistens still. Dann musst du erklären, was das genau ist“, erzählt der 28-Jährige.
Patrick Schnetzer wäre bisher noch nie auf die Idee gekommen, den Radball ins Out zu schießen. Dafür ist die Leidenschaft zu groß, dafür genießt er auch zu viel Rückendeckung von der Familie. Mit seiner Frau, einer Weltmeisterin im Kunstradfahren, bildet er ein perfektes Tandem. Dass er für einen Weltcupsieg läppische 200 Euro kassiert – geschenkt. „Zum Geld verdienen musst du nicht Radballer werden“, sagt der Marketing-Angestellte.
Auf dem Weg zur Arbeit nimmt Patrick Schnetzer ein herkömmliches Fahrrad. Ab und an kommt unterwegs der Radballer in ihm durch. „Wenn ich einen Stein sehe, der auf der Straße liegt, kicke ich ihn mit dem Vorderrad weg. Damit die anderen Radfahrer freie Fahrt haben.“
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