Ein Paar Takte Musik genügen, und schon ist es um Jakob Schubert geschehen. Dann bricht der 31-jährige Tiroler zu einer emotionalen Reise in die Vergangenheit auf und ist mit den Gedanken wieder in Tokio. Der Song, den er am 5. August 2021 bei seiner Medaillenparty gehört hat, zaubert dem Kletterer noch heute ein zufriedenes Lächeln auf die Lippen. „Diese Erinnerungen werde ich mein ganzes Leben mit mir herumtragen“, sagt der Olympia-Dritte von Tokio.
KURIER: Was hat diese Bronzemedaille mit und aus Ihnen gemacht?
Jakob Schubert: Mein Leben war schon vor dieser Medaille super. Tokio war eine tolle Erfahrung, weil Olympia einfach eine Dimension hat, die wir Kletterer nicht gekannt hatten. Man hat diese olympischen Vibes gespürt und gemerkt, dass das etwas Besonderes ist. Deshalb war für mich nach Tokio auch sofort eines klar: Ich möchte das 2024 in Paris unbedingt noch einmal erleben.
Wie wichtig war die Bühne Olympia für Sie und den gesamten Klettersport?
Klettern ist schon seit einigen Jahren im Aufwind, aber Olympia hat uns noch einmal einen richtigen Push gegeben. Viele Menschen haben erst durch die Spiele in Tokio gesehen, was Sportklettern wirklich ist. Die Aufmerksamkeit für unseren Sport ist heute definitiv viel größer. Olympia hatte viele positive Auswirkungen.
Zum Beispiel wird’s 2024 in Paris bereits zwei Medaillenentscheidungen geben. Im Speed und in der Kombination aus Lead und Bouldern.
Das ist einmal der nächste Schritt in die richtige Richtung. Aber unser Ziel und Wunsch ist, dass es in allen drei Disziplinen Medaillen gibt. Weil mit dieser Kombination aus Lead und Bouldern sind wir Kletterer noch immer nicht ganz happy. Ich finde, dass die Kombination nicht funktioniert.
Für Sie könnte sich 2024 in Paris der Kreis schließen. 2012 wurden Sie dort zum ersten Mal Weltmeister. Klettern Sie heute anders als damals?
Das will ich doch hoffen, dass ich mich in den letzten Jahren weiterentwickelt habe. Ich bin mit Sicherheit ein viel besserer Kletterer geworden. Vielleicht nicht unbedingt, was die Physis betrifft, aber allein schon wegen der Erfahrung, die ich jetzt habe. Ich klettere heute sicher intelligenter.
Ist Sportklettern also auch Kopfsache?
Klettern ist auf jeden Fall eine sehr komplexe und vielfältige Sportart. Das macht auch den großen Reiz aus, es wird nie fad. Ich könnte mir nicht vorstellen, einen Sport zu betreiben, wo immer das Gleiche zu tun ist. Ich bin nicht so der Läufer und Radfahrer. Das Klettern ist auch deshalb so besonders, weil ich jeden Tag das Gefühl habe, etwas Neues machen und dazulernen zu können.
Apropos lernen: Sie sind vierfacher Weltmeister. Wie gelingt es Ihnen, immer am Tag X Ihre Leistung abzurufen? Kann man das lernen?
Ich weiß ehrlicherweise selbst nicht ganz genau, warum das so ist. Vermutlich habe ich schon auch ein bisschen Talent dafür. Ich profitiere heute sicher davon, dass ich bei den ersten Weltmeisterschaften gleich erfolgreich war und gelernt habe, mit dem ganzen Druck umzugehen. Da geht’s gar nicht um das Klettern an sich. Wenn du einmal in der Wand drinnen ist, bist du eh total konzentriert und im Tunnel. Aber in den Tagen und Stunden vor einem großen Wettkampf hilft es enorm, wenn man weiß, dass man in der Vergangenheit schon öfter mentale Stärke bewiesen hat. Also wird man es wieder schaffen. Und mir geht in diesen Situationen auch noch immer eines durch den Kopf.
Nämlich?
Ich sage mir immer: Hey, mir geht es so gut, ich führe ein so glückliches Leben – es wäre also nie eine Tragödie, wenn es im Wettkampf vielleicht nicht gut laufen würde.
Klettert es sich denn leichter, weil Sie schon so viele Trophäen und Medaillen gewonnen haben, oder erhöht das die Erwartungshaltung?
Man kann das so oder so sehen. Nehmen wir zum Beispiel Olympia in Tokio. Einer, der da eher überraschend ins Finale gekommen ist und nicht als Medaillenkandidat gilt, hat es sicher einfacher als ich, von dem sich alle erwartet haben, dass ich eine Medaille heimbringe. Die Erfolge von früher können also auch ein Nachteil sein. Zugleich habe ich über die Jahre gelernt, wie man sich in solchen Stresssituationen am besten verhält, während andere vielleicht daran zerbrechen. Ich finde es toll, mich dieser Herausforderung zu stellen.
Sie werden heuer 32 und sind damit einer der ältesten Sportkletterer. Was glauben Sie, wie lange können Sie noch konkurrenzfähig sein?
Das ist schwer vorherzusehen, weil es bisher kaum Kletterer gegeben hat, die älter waren als ich. Es ist schon der Ansporn, das Alter nach oben zu schrauben. Ich bin der Überzeugung, dass man gerade im Vorstieg noch länger konkurrenzfähig sein kann, weil in dieser Disziplin die Erfahrung so eine große Rolle spielt. Ich habe das Gefühl, dass ich noch einige Jahre im Tank habe.
Sie sind heute Kletterprofi und haben viele Werbeverträge. Hätten Sie als junger Sportler gedacht, dass Klettern einmal Ihr Beruf werden könnte?
Es war auf jeden Fall nicht mein Plan, ich hatte nie im Kopf, dass ich Profikletterer werde. Als ich angefangen habe, gab es vielleicht eine Handvoll Kletterer, die davon leben konnten. Ich profitiere davon, dass ich schon früh erfolgreich war und gute Sponsoren an meiner Seite habe. Ich schätze es, dass ich dieses Leben führen darf. Jeder wünscht sich, dass er das, was er am liebsten tut, zu seinem Beruf machen kann.
Kommentare