Daran war noch vor wenigen Monaten nicht zu denken. Nach einer Handgelenksoperation verpasste Bernd Wiesberger weite Teile der Saison 2018, in der Weltrangliste wurde er nur mehr als Nummer 378 geführt. Aktuell ist er an die 23. Stelle gereiht. Vor dem Abflug nach Schanghai sprach Bernd Wiesberger in seinem Heimat-Club in Bad Tatzmannsdorf mit dem KURIER über ...
... seine Gefühlslage vor zwölf Monaten: Die Vorfreude damals, wieder wettbewerbsfähig zu sein, war enorm. Ich war immer überzeugt, stark zurückzukommen. Dass 365 Tage später drei große Trophäen vor mir auf dem Tisch stehen, ist natürlich eine andere Geschichte.
... das Siegergen: An den Sieg zu glauben, ist das eine, ihn aber tatsächlich auch über die Ziellinie zu bringen, ist das andere. Im Golf bringen einem nur Siege die Selbstverständlichkeit zurück.
... Zweifel während der Verletzungspause: Es wäre vermessen zu sagen, dass die Zwangspause ein Glück war. Aber es hat sich auch nie als Schlussstrich angefühlt. Ich konnte zurückblicken, welche Fehler ich davor gemacht habe. Dafür bleibt ja während einer Saison kaum Zeit. Die Verletzung war jedoch nie ein Drama, ich habe die Situation bald als Chance begriffen. Heute hat sich meine Perspektive auf den Sport verändert. Ich weiß die guten Tage noch mehr zu schätzen.
... den Ryder Cup 2020, den prestigeträchtigen Kontinentalwettstreit zwischen Europa und den USA: Bis zum Bewerb Ende September ist noch viel Golf zu spielen. Ich bin jedenfalls gut in die Qualifikation gestartet. Der Ryder Cup ist eine zusätzliche Motivation, aber nicht das einzige Ziel in den nächsten zwölf Monaten. Es bringt nichts, mich von dieser Chance verrückt machen zu lassen.
... die lange und fordernde Saison: Anfang Dezember wird es bestimmt ein paar Tage geben, an denen ich den Golfschläger nicht zur Hand nehme. Aber diese Gedanken sind im jetzigen Moment noch sehr weit weg, denn derzeit ist meine Vorfreude auf das Saisonfinale einfach enorm.
... den Status, die Nummer eins der Saisonwertung zu sein: Ich muss sagen, es schläft sich als Führender irrsinnig gut. Und was ich zuletzt bei den Turnieren bemerkt habe: Je besser man spielt, desto geringer sind die Spesen. Nett, aber nicht alles. Denn: Wenn ich an das Finalturnier in Dubai und an das Atlantis-Hotel mit seinen 1.500 Zimmern denke, muss ich gestehen: So gigantisch und hektisch ist auf Dauer nichts für mich. Da ist es mir hier in Bad Tatzmannsdorf schon lieber (lacht).
... die gestiegene Wertschätzung in Österreich: Ich nehme sie noch nicht so wahr. Aus der Golf-Community bekomme ich wahnsinnig viel Rückmeldungen. Ob es aber die breite Masse wahrnimmt, kann ich nicht wirklich beurteilen. Gefreut hat mich unlängst, wie viele Jugendliche beim Nachwuchsturnier in Bad Tatzmannsdorf mitgespielt haben. Wenn ich dazu einen Beitrag leisten kann, dann passt es.
... die bevorstehende Sportlerwahl in Österreich: Ich sehe es schon einmal als großes Ehre, in einem Land, das vom Skifahren und Fußball geprägt ist, als Golfer unter den Top 5 zu stehen. Diese Art der Anerkennung tut gut. Die Leistungen meiner vier Mitbewerber sind jedoch großartig – ein gutes Zeichen für ein kleines Sportland wie Österreich.
... die Konkurrenz zwischen European und PGA-Tour: Nüchtern betrachtet ist die European Tour der US-Tour in einigen Punkten unterlegen. Siehe Preisgeld, Weltranglistenpunkte oder Medieninteresse. Der Charme der European Tour ist ein anderer: Du spielst eine Woche in einer Millionenmetropole wie in Schanghai und vier Tage später im Nationalpark von Südafrika. Ich weiß auch dieses Privileg zu schätzen. Mittlerweile ist die Chance, mir eine fixe PGA-Tourkarte zu erspielen, wieder da. Ich bin der European Tour sehr verbunden, aber prinzipiell lässt sich mit guter Planung auch beides vereinbaren.
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