WSG Tirol: Der Aufstand der Abgeschriebenen und Aussortierten
Einen "Sauhaufen" nannte Thomas Silberberger nach dem 2:1-Erfolg gegen den LASK im Europacup-Play-off seine Mannschaft. Und das war vom Langzeit-Trainer des Sensationsteams aus Wattens durchaus liebevoll gemeint. "Wir haben uns im Laufe der Saison von einem Sauhaufen zu einer Mannschaft entwickelt."
Eine Mannschaft, die nun sogar von der Europacup-Teilnahme träumen darf. Am Donnerstag und am Sonntag geht's im Finale gegen Rapid. Und es besteht kein Zweifel, wer in diesem Duell Tiroler David gegen Wiener Goliath zum Siegen verdammt ist. "Der psychologische Rucksack steht in Hütteldorf", sagt Thomas Silberberger mit einem Grinser.
Rein von der Papierform ist die Ausgangslage klar. Da der Rekordmeister, der die Europacup-Teilnahme fix eingeplant hat, dort ein Klub, der vor wenigen Jahren noch in der Regionalliga herumdümpelte. Auf der einen Seite ein Team, dessen Kader auf www.transfermarkt.at mit 36 Millionen Euro taxiert wird, auf der anderen die WSG, deren Marktwert gerade einmal die 10-Millionen-Euro-Marke übersteigt.
Aber auf Marktwerte und Namen haben WSG-Coach Thomas Silberberger und Sportchef Stefan Köck noch nie etwas gegeben. Seit fast einem Jahrzehnt bilden die beiden das sportliche Gespann bei den Wattenern und dabei haben sie ein Händchen für geschickte Transfers und kluge Manöver bewiesen.
Notgedrungen freilich. Weil die WSG finanziell mit der Konkurrenz nicht Schritt halten kann, müssen innovative Lösungen her. "Wir kriegen nur Spieler, die irgendeinen Makel oder irgendeine Vorgeschichte haben. Aus welchem Grund auch immer", sagt Thomas Silberberger.
Und so formierten die beiden auch in dieser Saison wieder ein Team der Aussortierten und Abgeschriebenen. Beim 2:1 gegen den LASK standen etliche Spieler in der Start-Elf, die bei anderen Klubs für zu schlecht befunden wurden, keine Rolle spielten oder überhaupt arbeitslos waren.
So erhielt etwa Raffael Behounek im Sommer 2020 bei Zweitligist Wacker Innsbruck keinen neuen Vertrag. 17 Kilometer weiter östlich wurde der Verteidiger mit Handkuss genommen. Mittlerweile ist der 25-jährige Abwehrchef eine der größten Transferaktien der WSG. Im Herbst war Behounek sogar von Scouts von Befica Lissabon beobachtet worden.
An der Seite von Behounek hat sich mittlerweile Dominik Stumberger in der Innenverteidigung etabliert. Noch so ein Abwehrspieler, der völlig in der Versenkung war. In der Saison 2020/'21 hatte Stumberger wegen einer Kreuzbandverletzung nur eine Partie für Zweitligist Lustenau bestritten. Im Trikot der WSG überzeugt der 23-Jährige nun als umsichtiger und unaufgeregter Innenverteidiger.
Am linken Flügel agierte beim 2:1 gegen den LASK Kofi Schulz. Silberberger und Köck engagierten den Routinier im Winter, nachdem Schulz monatelang keinen Verein hatte. Mittlerweile ist der Linksfuß aus dem Team nicht mehr weg zu denken, gegen den LASK bereitete der frühere SKN-Profi mit seiner Flanke das 1:0 durch Giacomo Vrioni vor.
Ähnlich liest sich die Geschichte von Mittelfeldmann Julias Ertlthaler. Auch der frühere Profi von Mattersburg und Hartberg war im Herbst 2021 noch arbeitslos, bei der WSG hat sich der quirlige 25-Jährige mittlerweile genauso einen Stammplatz im Mittelfeld erkämpft wie Valentino Müller, der im vergangenen Sommer vom LASK nach Wattens kam.
Bei den Linzern war der 23-Jährige in der Saison 2020/'21 nur in der Zweiermannschaft zum Einsatz gekommen. Thomas Silberberger sah das Potenzial im Vorarlberger und holte ihn in sein Team. Müller ist nicht der einzige LASK-Spieler, der bei der WSG sein Glück fand: Thomas Sabitzer spielte in der Saison 2020/'21 ganze 27 Minuten für den LASK in der Bundesliga und war auch im Zweierteam kein Stammspieler.
Bei den Wattenern gelang der Leihgabe des LASK nun der Durchbruch und der Sprung ins Unter-21-Nationalteam. Sabitzer erzielte am Montag mit seinem neunten Saisontor das 2:0 gegen die Linzer und war der "stärkste LASK-Stürmer" auf dem Platz.
Von Behounek bis Sabitzer, von Stumberger bis Ertlthaler - die WSG Tirol fährt mit dieser Strategie nicht nur sportlich gut, der Verein hat für sich ein Geschäftsmodell entdeckt und entwickelt: Junge Fußballer, die anderswo keine Rolle spielen zum Nulltarif holen, ihnen Spielpraxis und eine Bühne in der Bundesliga geben, und sie dann im Idealfall gewinnbringend verkaufen.
So kam in den vergangenen 18 Monaten viel Geld in die Vereinskassa. Die Verkäufe von Kelvin Yeboah (Sturm/Genua), Nemanja Celic (Darmstadt) und Leon Klassen (Spartak Moskau), drei Spielern, die zuvor kaum jemand kannte, waren dafür verantwortlich, dass die WSG nun 2,5 Millionen Euro auf der hohen Kante liegen hat.
Mehr noch als diese Verkäufe hilft der WSG aber der Doppelpass mit Juventus Turin. In der Saison 2020/'21 hatte der italienische Rekordmeister den jungen Dänen Nikolai Baden-Frederiksen zu den Tirolern entsandt. 18 Saisontore ließen den Marktwert des Angreifers nach oben schnellen, nach der Saison bei der WSG verkaufte Juve Frederiksen um einige Millionen an Vitesse Arnheim.
Sein Nachfolger schreibt eine ähnliche Erfolgsgeschichte. Als No-Name war Giacomo Vrioni im vergangenen Sommer von Juventus Turin zur WSG gekommen. Mittlerweile hält der albanische Stürmer bei 18 Treffern und kann sogar noch österreichischer Torschützenkönig werden.
Wie viele andere hat Vrioni die Chance genützt und WSG Tirol als Sprungbrett verwendet. Er wird nicht der letzte Spieler gewesen sein, der von Turin nach Wattens kommt. Thomas Silberberger und Stefan Köck verhandeln bereits über die nächste Leihgabe von Juventus Turin.
Die Verhandlungsposition ist heute eine ganz andere als zu Beginn der Kooperation. Weil auch der Status der WSG Tirol mittlerweile ein ganz anderer ist. Wie meinte Thomas Silberberger doch gleich. "Wir werden als Verein heute ganz anders wahrgenommen."
Kommentare