WM-Sensation: Was Sie über Semifinalist Marokko wissen sollten

WM-Sensation: Was Sie über Semifinalist Marokko wissen sollten
Selten wird der Fokus auf das nordafrikanische Land gelegt. Die KURIER-Redaktion nimmt die WM zum Anlass, Marokko vorzustellen.

Eine Fußball-WM bildet den Zuseher - auch über die sportlichen Ereignisse hinaus. Nicht nur in Sachen Vergabepolitik, Menschenrechte und Korruption hat der aufmerksame Fußball-Fan in den vergangenen Wochen viel gelernt, auch über die teilnehmenden Länder. Etwa, was im Iran derzeit passiert oder warum serbische Fußballer im Nationalteam der Schweiz ein paar Erzfeinde zu finden glauben.

Neben Argentinien, Kroatien und Frankreich ist diesmal ein Land unter den Semifinalisten, das bei den Fußball-Weltmeisterschaften normal nicht so viel Aufmerksamkeit erhält. Der KURIER nutzt die Chance, um das Land – abseits von seinem Nationalteam – ein wenig vorzustellen.

  • So "arabisch" ist Marokko gar nicht

Marokko ist das westlichste Land Nordafrikas. Und das nicht im übertragenen Sinne. Im Westen des Landes ist der Atlantische Ozean, im Osten Algerien. Den nördlichen Nachbarn Spanien, der von Marokko nur durch die Straße von Gibraltar getrennt ist, hat das Team von Walid Regragui bereits im Viertelfinale nachhause geschickt.

Südlich von Marokko liegt die Westsahara, ein Gebiet, das seit 1976 um seine Unabhängigkeit kämpft, aber von der marokkanischen Regierung in Rabat beansprucht wird. Die Staatsform Marokkos ist eine konstitutionelle Erbmonarchie, der heute 59-jährige Mohammed VI ist seit 1999 König.

Die Hauptstadt des Landes ist Rabat, wo knapp 580.000 Menschen leben. Die größte Stadt ist Casablanca mit 3,4 Millionen der 37 Millionen Einwohner Marokkos. Am bekanntesten ist wohl die Stadt Marrakesch (knapp 1 Million Einwohner).

Zwar wird Marokko als erstes arabisches Land im Halbfinale einer Fußball-WM gefeiert, dass aber die Mehrheit der Marokkaner Berber sind und nur rund ein Drittel der Bevölkerung Araber, wird dabei oft ausgelassen. Die Amtssprachen sind die Berbersprache Tamazight, Arabisch und Französisch.

  • Schwierige Beziehung zu Spanien und Frankreich

Spanien im Viertelfinale und Frankreich im Semifinale - doch die beiden sind mehr als nur WM-Gegner für Marokko. Beide Länder haben hier Anfang des 20. Jahrhunderts Kolonien errichtet. Die Unabhängigkeit erlangte Marokko 1956. Dabei wurde die oben erwähnte Westsahara, die zuvor von Spanien verwaltet worden war, zwischen Marokko und Mauretanien aufgeteilt. Deren Status ist immer noch umstritten.

Ebenfalls aus der Kolonialzeit übrig sind die spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Marokko, die von der einzigen Landgrenze zwischen EU und Afrika umringt sind. Man kennt die Bilder aus den Medien, auf denen Migranten zu sehen sind, die versuchen, die Zäune zu den spanischen Städtchen zu überwinden und so eine Chance auf Asyl in Europa zu bekommen.

Seit der Unabhängigkeit Marokkos bemüht sich die Regierung um die Marokkanisierung der beiden Städte. Bisher ohne Erfolg. Im Vorjahr sagte der marokkanische Ministerpräsident Saadeddine Othmani, Ceuta und Melilla seien "so marokkanisch wie die Westsahara".

  • Vier Millionen Marokkaner leben im Ausland

Knapp vier Millionen Marokkaner leben im Ausland. 85 Prozent davon innerhalb der EU - insbesondere in Frankreich, Spanien, Italien und Belgien. Wegen des hohen Bedarfs an ausländischen Arbeitskräften haben Frankreich, Deutschland, Belgien und die Niederlande in den 1960er Jahren bilaterale Anwerbeabkommen mit Marokko geschlossen. Die Landwirtschaft, insbesondere von Spanien, hat von marokkanischen Saisonarbeitern stark profitiert. Auch in Frankreich galten junge  Marokkaner lange als gefragte Fachkräfte, etwa in der IT.

Auch in den USA, im frankophonen Kanada, in arabischen Golfstaaten und in Subsahara-Afrika, vor allem im Senegal, der Elfenbeinküste und Gabun, wachsen die marokkanischen Gemeinden.

14 der 26 WM-Spieler der marokkanischen Nationalmannschaft sind nicht in Marokko geboren - viele von ihnen in Belgien, Spanien, den Niederlanden oder Frankreich. Die Diaspora ist aber nicht nur für das Nationalteam wichtig, sondern auch als Geldquelle. Jährlich werden rund 6,5 Milliarden Euro vom Ausland privat nach Marokko überwiesen, dreimal mehr als die offizielle Entwicklungshilfe. Die Rücküberweisungen werden von den Familienangehörigen zumeist für Konsum, Bildung und Gesundheit ausgegeben, was zusätzlich die lokale Wirtschaft ankurbelt.

  • Im Arabischen Frühling mit blauem Auge davongekommen

Im so genannten "Arabischen Frühling", der ab Ende 2010 die Staatschefs von Tunesien, Ägypten, Libyen und Jemen stürzte und in vielen anderen Ländern zu Protesten und/oder Krieg führte, kam Marokkos König mit einem blauen Auge davon. Es war zu großen Demonstrationen und Zusammenstößen mit mehreren Toten gekommen, der Monarch reagierte – offenbar rechtzeitig – mit Verfassungsänderungen, durch die er Macht verlor.

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