Zwischen Atlas und Sahara: Marokko, wie es nicht viele kennen
Wieder ändern sich die Steine. Am Anfang, auf der Fahrt über den Gebirgszug des Hohen Atlas, waren die Felsen scharfkantig, bildeten Grate. Sie waren grau, manchmal schimmerte grün durch, da und dort ein erdbrauner Lawinenkegel. Dann in den Zwischengebirgen waren die Steine rot und riesig, mal eher sandig und mal große, glatt geschliffene Brocken, aufeinandergetürmt wie Kinderspielzeug.
Im Anti-Atlas sind die Berge lieblich oder kunstvoll. Sie bieten das Klima für Obst- und Gemüseanbau, dann sind sie grün, oder sie werfen steinerne Falten wie Zeichnungen, regelmäßig und doch wild.
Die meisten erzählen nach einer Marokko-Reise von orientalischen Düften (was auch immer das sein soll) oder Farben (viel Ocker und Gelb, bisschen Grün und Orange, immer auch Indigoblau); von Basaren und engen Gassen. Vom wilden oder vom schönen Meer, die waren am Atlantik oder an der Mittelmeerküste. Von prächtigen Bauten und dem bunten Treiben, dann waren sie vor allem in den Königsstädten.
Ich erzähle vor allem von Steinen.
Aller Anfang ist Marrakesch
Eine Rundreise durch den Süden Marokkos ist anders als diese Klischees. Anfangs nicht, denn ein guter Start für eine solche Tour ist Marrakesch. Die „Rote Stadt“ wurde seit gut zehn Jahren zu einer Art Wochenend-Retreat für westliche Touristen mit Hang zur Exotik.
Wohnen im Riad (den kleinen, oft charmanten Boutiquehotels mitten in den verwinkelten Altstadtgässchen), Bummeln durch den Souk (Gewürze, Gewänder, Safran-Imitate) und irgendwas mit Wellness (Hamam, Massage, Gesichtsbehandlung). Freitag per Billigflug hin, zweimal Tajine essen (die markanten Ton-Geschirre, in denen unterschiedliche Gerichte gedämpft werden, die aber irgendwie immer gleich schmecken), einmal auf den berüchtigten Gauklerplatz Djamaa el-Fna gehen (und sich eine Enttäuschung abholen), Sonntag wieder heim.
2019 hatte Marrakesch drei Millionen Besucher, die alle eine wirklich fantastische Stadt erlebten – die man übrigens zumindest für einen Besuch auf der Safranfarm oder den Heller-Gärten (siehe Info) einmal verlassen sollte, beides in einem Ausflug machbar. Marrakesch ist toll, da gibt es gar nichts.
Aber all diese Touristen sahen die Steine nicht. Oder nur aus der Ferne. Bei gutem Wetter sieht man von Marrakesch aus die mächtigen Grate des sechzig Kilometer entfernten Hohen Atlas im Süden.
Und genau über die muss man drüber.
Süd- oder Mittelmarokko
Im Gegensatz zum Norden mit seinen Königsstädten ist der Süden Marokkos wesentlich weniger oft besucht. Eigentlich ist dieser Teil zwischen den Atlas-Bergen und der Sahara ja bestenfalls der mittlere Süden; wenn man das von Marokko annektierte Land Westsahara dazurechnet, ist es gerade mal die Mitte. Jedenfalls ist es aber ein Stück, in dem man noch auf Entdeckungsreise gehen kann, sogar als selbstfahrender Tourist.
Schon eine Stunde nach Marrakesch windet sich die (fast immer) gut asphaltierte Straße auf den Tizi n’Tichka-Pass (2.260 Meter). Hier ist noch Ausflugsziel, Fossilienhändler (ohne echte Fossilien) und der Ausblick auf die Südseite, wo Marokko nicht mehr ein Land am Meer ist, sondern ein Land am Rande der Wüste. Wo nicht die alten Königsstorys die Touristen anziehen, sondern Kultur und Geschichte der Berber. Die nennen sich selber Amazir, was sich von frei ableitet, und das ist schon feiner als die Ableitung von barbar.
Hier liegen die Tausenden Kasbahs, jene Siedlungen und Festungen aus Lehm, einst Schutz- und Wohnanlagen. Sie kommen einem hier ständig unter, wenn auch in Varianten. Jene Anlage auf dem Hügel von Aït-Ben-Haddou ist so prächtig, dass man dort Historienfilme wie Gladiator drehte (und die UNESCO es zum Weltkulturerbe ernannte). Apropos: In Quarzazate, der ersten echten Stadt hinter dem Hohen Atlas, gibt es ein tolles Filmmuseum. Andere Kasbahs sind verfallen(d)e Lehmburgen.
Die Steine sind hier eher sandgelb und schon viel weniger kantig.
So richtig zum Hauptdarsteller werden die Felsen in den beiden Schluchten Dades und Todra. Die Gegend rund ums Drâa-Tal ist Touristen gewöhnt, sie durchwandern alle die mächtigen Flussschneisen in den Bergen, nur wenige bleiben länger. Dabei wäre eine Woche hier fantastisch, es gibt Wanderwege in und über den Schluchten, Kunst zum Anschauen, gutes Essen und Hotels mit Pool und Liegen auf dem Dach (Empfehlung: chezichou.com).
Und Steine, die wie Affenpfoten aussehen, oder eigentlich: nach einer Sage so heißen.
Alnif, Zagora, Mhamid: Kleinod-Städte zum Verweilen
Richtung Sahara fährt man durch Ministädte wie Alnif (sehr rural, ein Ort zum Entdecken), Zagora (Dattelbusiness) und Mhamid, wo die Straße plötzlich endet und der Fluss versiegt. Ab jetzt ist Wüste. Hier wechseln die überraschend vielen Steine alle paar Kilometer von rot zu gelb zu schwarz und in manchen sind Fossilien eingeschlossen.
Wer so weit in den Mittelsüden kommt, möchte weiter hinein, nach zwei Stunden ist man mitten in der Erg Chegaga. Die Sanddünen hier sind perfekt und hoch. Die Wüstencamps für Touristen haben Zelte mit Duschen, Kamele zum Reiten und Personal mit Trommeln und Liedern auf den Lippen. Und wenn sich alle niedergelegt haben, stapft man am besten auf die Düne hinter dem Zelt. Setzt sich im mondweißen Licht in den Sand und schaut auf Tausende Kilometer Sahara. Mucksmäuschenstill ist es. Dieser Moment gehört nur dir allein. Es ist nichts zu sehen, auch kein Stein.
Was nach dieser Wüste folgt, ist fast zu viel Eindruck für nur eine Reise. Die untouristischen Städte wie Tata, wo man auf den Markt gehen und mit Einheimischen ins Gespräch kommen sollte. Oder der fantastische Anti-Atlas mit umwerfender Natur und Leben. Vor allem mit den Agadiren, dem Geheimtipp unter den Marokko-Highlights: In diesen Speicherburgen horteten die Amazir früher Waren und Wertsachen, ein Dorfwächter schaute darauf. Die schönste erhaltene ist die Agadir Ikounka, eine gute Stunde nach Tafraoute. Gebaut aus lehmroten Steinen.
Kamelreiter
Eine sehr beeindruckende Sahara-Erfahrung mit Übernachtung hat man in der Erg Chegaga zwischen Mhamid und Foum Zguid. Die Camps (Bivouacs) gibt es von eher einfach bis luxuriös. Neben einem Ausritt auf Kamelen und Dünenwandern bieten sie meist sehr gutes Essen und einen Abend am Lagerfeuer mit Folklore-Trommelei.
Momente
Hier bleiben fast alle Touristen nur eine Nacht, es würde sich aber lohnen, zwei zu bleiben: Zwischen der morgendlichen Abreise der alten und der Nachmittags-Ankunft der neuen Gäste hat man die Wüste für sich alleine und den vielleicht besten Ort, nichts zu tun. Wenn man immer schon einmal nur den Tag inhalieren wollte, dann hier.
Mensch und Tier
Auf den Wüstenpisten hier wurde früher auch die Rallye Paris–Dakar gefahren, aus dieser Zeit gibt es einige spannende Hostel-Ruinen und ständig einen Wüstenläufer oder -radler auf dem Weg. Zuletzt wegen der Pandemie aber kaum mehr, weshalb wieder mehr Tiere in der Wüste zu sehen sind: Gazellen, Wölfe und Säbelantilopen wagen sich gelegentlich bis zu den Camps.
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Beste Reisezeit Frühling und Herbst sind mit 24 bis 30 Grad am besten für Reisen ins Inland.
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