Was man über den FIFA-Kongress wissen muss
Das überstrahlende Thema beim außerordentlichen FIFA-Kongress ist die Wahl eines Nachfolgers von Joseph Blatter. Doch neben der Präsidenten-Kür steht auch eine weitere wichtige Abstimmung auf der Agenda. Die entscheidenden Fragen vor der Versammlung des Fußball-Weltverbands am Freitag in Zürich:
Wie kam es zu der außerordentlichen Versammlung am Freitag?
Der Fußball-Weltverband FIFA wird seit langem von einer Korruptionsaffäre erschüttert. Zentrale Figuren sind dabei FIFA-Chef Joseph Blatter und UEFA-Präsident Michel Platini. Zwei Tage vor der Wiederwahl Blatters nahm die Schweizer Polizei am 27. Mai 2015 mehrere Funktionäre fest. Die USA berichteten von Ermittlungen gegen ehemalige Spitzenfunktionäre und Geschäftsleute. Die Schweizer Staatsanwaltschaft eröffnete ein Strafverfahren wegen der umstrittenen WM-Vergaben 2018 und 2022. Blatter, der zunächst an seinem Amt festhielt, kündigte am 2. Juni seinen Abschied als FIFA-Präsident an. Sein Nachfolger soll auf dem außerordentlichen FIFA-Kongress am 26. Februar gewählt werden.
Warum tritt Michel Platini nicht an?
Am 29. Juli 2015 erklärte UEFA-Präsident Platini seine Kandidatur für das Amt des FIFA-Präsidenten. Allerdings eröffnete die Schweizer Justiz im September ein Strafverfahren gegen Sepp Blatter wegen einer fragwürdigen Honorarzahlung an Platini aus dem Jahr 2011. Die Ethikkommission sperrte beide vorläufig für 90 Tage. Am 23. November eröffnete die FIFA-Ethikkommission offiziell ein Verfahren, das kurz vor Weihnachten in FIFA-Sperren von acht Jahren gegen Blatter und Platini mündete. Beide sind damit von sämtlichen Aktivitäten im Fußball ausgeschlossen. Die Berufungskommission senkte die Sperren am vergangenen Mittwoch, 24. Februar, jeweils um zwei auf sechs Jahre und korrigierte damit das Urteil nur leicht. Blatters Reaktion: "Ich bin tief enttäuscht. Selbstverständlich ziehe ich den Fall ans CAS (Internationaler Sportgerichtshof, Anm.) weiter." Auch Platini hatte diesen Schritt zuvor angekündigt. Beim FIFA-Kongress sind die beiden jedenfalls nicht zugelassen.
Wer geht jetzt als Favorit in die Wahl?
Lange Zeit galt der asiatische Konföderationspräsident und FIFA-Vize Scheich Salman bin Ibrahim al Chalifa als absoluter Top-Kandidat. Mit einer Werbetour rund um die Welt hat sich allerdings auch UEFA-Generalsekretär Gianni Infantino im Endspurt eine gute Position verschafft. Deshalb hat al Chalifa im Finale den Ton verschärft und Infantino bei dessen Wahlversprechungen mangelnde finanzielle Verantwortung vorgeworfen.
Wer ist stimmberechtigt?
207 Mitgliedsverbände sind stimmberechtigt, nicht aber die Verbände aus Kuwait und Indonesien. Eine Entscheidung über die Aufhebung der Sperren gegen beide Nationen solle erst beim ordentlichen Kongress im Mai in Mexiko-Stadt erfolgen, empfahl das Exekutivkomitee des Fußball-Weltverbandes am Mittwoch. Bestätigt werden muss dies allerdings am Freitag.
Wo entscheidet sich die Wahl?
Al Chalifa darf fest mit dem Großteil der Unterstützung aus seinem Heimat-Dachverband rechnen. Sollten die Sperren von Kuwait und Indonesien erwartungsgemäß nicht aufgehoben werden, nehmen 44 asiatische FIFA-Mitgliedsverbände an der Wahl teil. Infantino setzt auf Stimmen aus Europa (53) und Südamerika (10). Dazu kommen bei der Wahl noch Vertreter aus Nord-, Mittelamerika und der Karibik (35), Ozeanien (11) - und vor allem Afrika (54). Sowohl al Chalifa als auch Infantino nehmen für sich in Anspruch, die Mehrheit dieses größten Stimmblocks sicher zu haben, so dass Afrika wie schon so oft als Königsmacher gilt. Im ersten Wahlgang braucht der Sieger eine Zwei-Drittel-Mehrheit, in weiteren Durchläufen reichen mehr als 50 Prozent.
Werden am Freitag wirklich fünf Kandidaten zur Wahl antreten?
Der bisher unauffällige Tokyo Sexwale aus Südafrika deutete diese Woche bereits einen möglichen Rückzug an und erklärte, er sei offen für "Allianzen". Der Franzose Jerome Champagne ist ohne die Unterstützung eines Kontinentalverbandes chancenlos.
Kann die Wahl überhaupt stattfinden?
Außenseiter Prinz Ali bin al-Hussein ist aus Sorge vor Wahl-Manipulation vor den Internationalen Sportgerichtshof (CAS) gezogen, um die Wahl zu verschieben. Dass das Gremium dem Antrag vollumfänglich folgt, wäre eine Überraschung. Womöglich kommen aber doch die vom Jordanier al-Hussein geforderten durchsichtigen Wahlkabinen zum Einsatz - der CAS will bis Donnerstagvormittag entscheiden.
Dreht sich beim Kongress alles nur um die Wahl des neuen Präsidenten?
Die noch wichtigere Entscheidung für die Zukunft der heftig angeschlagenen FIFA wird beim Kongress bereits am Vormittag fallen. Die Mitgliedsverbände stimmen über ein umfassendes Reformpaket ab - sollte keine Drei-Viertel-Mehrheit zustande kommen, hätte dies verheerende Konsequenzen für den Weltverband. Vor allem die US-Justiz dürfte ein Scheitern der Reformen als Signal nehmen, Maßnahmen gegen die FIFA einzuleiten.
Worum geht es bei den Reformen im Detail?
Kern der Neuordnung ist, die Macht des neuen Präsidenten und des bisherigen Exekutivkomitees zu beschneiden. Kommen sollen sogenannte "Good Governance"-Kriterien: Aufsplittung der politischen und ökonomischen Bereiche, Schaffung eines Councils mit 36 Mitgliedern (statt des Exekutivkomitees), Ausbau der Kompetenzen des Generalsekretärs, der zum eigentlichen Geschäftsführer aufsteigt. Die Amtszeitbeschränkung soll eingeführt werden: Der Präsident und Council-Repräsentanten sind nur noch maximal für drei Vierjahresperioden wählbar.
Was bedeutet "Good Governance"?
Die Geschäftsführung nach üblichem Standard der internationalen Wirtschaftsbranche ist ein zentraler Punkt der Umstrukturierung. Das Council beispielsweise beschließt keine TV- und Marketing-Deals mehr - die Business-Entscheidungen werden im Generalsekretariat unter Aufsicht eines Chief Compliance Officers gefällt. In der Finanz- und Rechtsabteilung sitzt in Zukunft eine Mindestanzahl von unabhängigen Spezialisten. Als Supervisor überwacht ein übergeordneter Auditor alle Geschäfte.
Wer bestimmt den Generalsekretär?
Vorgeschlagen wird der neue starke Mann vom künftigen Präsidenten, abgesegnet wird die Wahl durch das Council. Ad interim und bis zum Vorschlag eines Kandidaten ist seit den Turbulenzen im Herbst der gebürtige Deutsche Markus Kattner im Amt des Generalsekretärs. Der frühere Unternehmensberater trat bereits 2003 in die FIFA ein.
Prinz Ali bin al-Hussein (40/Jordanien): Im vergangenen Mai ist der Prinz gegen den langjährigen FIFA-Monarchen Blatter angetreten und war chancenlos. Die 77:133-Niederlage hält den früheren Vize-Präsidenten des Weltverbandes indes nicht von einer weiteren (aussichtslosen) Bewerbungskampagne ab. Auf Europas Support kann er nicht mehr zählen, in seiner eigenen AFC-Konföderation votiert die Mehrheit für Scheich Salman. Gleichwohl hält Ali, der vergeblich die Veröffentlichung des Garcia-Reports verlangt hat, sich selber "für den besten Kandidaten, weil ich für den Kulturwandel stehe". Der Spross aus der Königsfamilie ist berufsbedingt ein Konflikt-Stratege. In seiner Heimat leitet der Absolvent der britischen Militärakademie Sandhurst das Zentrum für Sicherheit und Krisenmanagement.
Jerome Champagne (57/Frankreich): Der Pariser Politik-Wissenschaftler ist ein Mann der eher leisen, aber fundierten Zwischentöne. 1983 trat er ins französische Ministerium für ausländische Angelegenheiten ein und kam während 14 Jahren als Diplomat auf drei verschiedenen Kontinenten zum Zug. Er kennt die globalen Zusammenhänge, und er kennt das System FIFA im Detail. Nach seinem Mandat für das OK der WM 1998 stieg Champagne im "Home of FIFA" bis zum stellvertretenden Generalsekretär auf. Jahrelang war er Blatters politischer Berater. Er gehört nicht zum Lager der Blatter-Kritiker: "In zehn, zwanzig Jahren wird man beurteilen, was Blatter aus der FIFA gemacht hat. Ich bin sicher, dass er viel besser bewertet wird als heute", sagte er in einem NZZ-Interview. So gut vernetzt er auch ist, so verschwindend klein sind seine Wahlchancen.
Gianni Infantino (45/Schweiz): Der Sohn italienischer Immigranten hat sich dank seiner Intelligenz und nicht erlahmendem Ehrgeiz einen Platz in der internationalen Beletage des Sportmanagements erarbeitet. Im Schatten des inzwischen abgesetzten UEFA-Präsidenten Michael Platini führte der vierfache Familienvater seit 2009 in Nyon die europäische Cashmaschine als Generalsekretär. Der Rechtsanwalt mit mehrjähriger Erfahrung in der Clublizenzierung gilt als überaus dossiersicher. Europas und Südamerikas Verbände halten ihn geschlossen für den perfekten Kandidaten zur sofortigen Umsetzung des Reformpakets. Die Akte des Wallisers ist unbefleckt, seine Wählbarkeit ist unumstritten. Der "Piccolino", ein familieninterner Übername aus seiner Kindheit, hat das große Bild vor Augen: "Die Verbände haben mit der Wahl die Kraft, ihr eigenes Schicksal und jenes der FIFA zu bestimmen."
Scheich Salman bin Ibrahim al Chalifa (50/Bahrain): In der 112-jährigen FIFA-Geschichte kamen die bisher acht Präsidenten zu 87,5 Prozent aus Europa; einzige Ausnahme war der Brasilianer Joao Havelange. Der Funktionär aus der Monarchie Bahrain will die bestehende Hegemonie durchbrechen. Er geht von einem 50-prozentigen Stimmenanteil zu seinen Gunsten aus. Zum Schlepptau des selbstbewussten Vorsitzenden der asiatischen Konföderation AFC zählen einflussreiche Befürworter - beispielsweise das Exko-Mitglied Scheich Ahmed al-Sabah. Der Strippenzieher aus Kuwait sitzt seit 1992 im IOC und wird von Insidern immer wieder als Königsmacher bezeichnet. Zum Verhängnis werden könnte der Allianz aus dem Nahen Osten aber die aufflammende Debatte, ob Salman 2011 während der blutigen Niederschlagung der "Arabellion" in Bahrain eine Rolle gespielt habe. Für mehrere Menschenrechts-Organisationen und europäische Politiker ist der Immobilien-Mogul nicht wählbar.
Tokyo Sexwale (62/Südafrika): Weil er schon früh realisiert hat, dass die Mehrheit der FIFA-Delegierten auf andere Präsidentschaftsanwärter setzen wird, bot Sexwale über verschiedene mediale Kanäle Deals an. Er sei für "Verhandlungen und Allianzen" zu haben, so der Südafrikaner. Ins Spiel gebracht wurde er im Herbst von einem gestürzten Männer-Bund: Sepp Blatter und Franz Beckenbauer positionierten sich hinter dem einstigen Kämpfer gegen die Apartheid, der wie Nelson Mandela auf Robben Island inhaftiert war. Der ehemals unterdrückte ANC-Aktivist aus dem Township Soweto ist inzwischen vermögend wie kaum ein anderer südafrikanischer Geschäftsmann. Detaillierte Zahlen aus seinem Handel mit Gold, Diamanten, Platin und Öl verschweigt er indessen. Ehemalige Mithäftlinge werfen ihm in einer ARD-Dokumentation Bereicherung im großen Stil vor. Über seinen Freund Blatter sagt er: "Blatters Arbeit ist ein Monument, das für sich selbst steht."
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