20 Kilometer sind es ins Zentrum von Paris. Hier im Süden des Speckgürtels rund um die französische Hauptstadt liegt Corbeil-Essonnes, eine Stadt mit rund 50.000 Einwohnern. Eine Industriestadt, mit Arbeitersiedlungen und hohem Migrantenanteil. Hier wuchs der Sohn marokkanischer Einwanderer in einem Problemviertel in ärmlichen Verhältnissen auf, der jetzt in Katar zu Weltruhm gelangt ist. Walid Regragui ist der Teamchef von Marokko, der schon jetzt Fußballgeschichte geschrieben hat mit dem Einzug der ersten afrikanischen Mannschaft in ein WM-Semifinale.
„Als ich 18 und er 20 war, gingen wir zum Friseur und danach in eine Bäckerei. Dort gab es Gebäck und Orangensaft für zehn Francs. Das war ein günstiges Angebot, aber keiner von uns hatte noch zehn Francs“, erinnerte sich ein ehemaliger Mannschaftskollege von Regragui zuletzt bei RMC Sport. Also habe man zusammengelegt und geteilt.
Regragui, der im September 47 Jahre alt wurde, studierte zu dieser Zeit Wirtschaftswissenschaften, spielte bei Hobbyturnieren mit, wie auch beim Sechstligisten AS Corbeil-Essonnes – dort aber nicht einmal in der ersten Mannschaft. Dort wurde Mitte der Neunzigerjahre ein ehemaliger Spieler Trainer. Rudi Garcia hatte seine bescheidene Profikarriere beendet und übernahm mit 32 Jahren den Sechstligisten. Seine Trainerkarriere war weit erfolgreicher, führte ihn über Lille nach Rom, Marseille und Lyon.
Rudi Garcia erinnerte sich an seine Anfänge beim AS Corbeil-Essonnes. „Eines Tages ging ich zufällig zur dritten Mannschaft, und dort sah ich diesen langbeinigen, schnellen, geschickten und temperamentvollen Spieler. Ich fragte mich, was er in dieser Mannschaft zu suchen hatte.“ Er nahm ihn in die erste Mannschaft, wo er zwei Jahre blieb. Der Rechtsverteidiger Regragui ging in die vierte Liga, in die zweite, in die erste. Und spielte schließlich 52 Mal für Marokko.
Als Trainer führte Regraguis Weg über Rabat und Casablanca ein wenig schneller nach oben. Dass er jetzt im Rampenlicht stehen darf, dafür bedurfte es auch Zufall. Denn nicht Regragui hat Marokko zur WM geführt, sondern Vahid Halilhodzic. Der 70-jährige Bosnier hat aber einen Machtkampf mit den Stars Mazraoui und Ziyech verloren. Nur zweieinhalb Monate vor der WM übernahm Regragui. Er schaffte es in dieser kurzen Zeit, aus guten Fußballern eine Einheit zu formen, ein schlagkräftiges Kollektiv. Und er impfte ihnen ein, „europäisch zu spielen, also effektiv“.
Zur Pressekonferenz am Tag vor dem Spiel gegen Portugal war er mit Kapuze auf dem Kopf erschienen. Er sah aus wie ein Boxer. Einen Tag später wirkte es wie die Vorbereitung einer Pointe. „Wir sind der Rocky Balboa dieser WM“, sagte er.
Regragui kämpfte sich von ganz unten nach oben. Für sein Gegenüber ist das Rampenlicht schon seit drei Jahrzehnten die Heimat. Didier Deschamps gewann als Spieler zwei Mal die Champions League und wurde 1998 mit Frankreich Weltmeister. Vor vier Jahren führte er die Grande Nation zum ersten WM-Titel seit 1998. Der 54-Jährige ist damit nach Mario Zagallo und Franz Beckenbauer erst der Dritte, der als Spieler und Trainer Weltmeister wurde.
Der Vertrag von Deschamps, der aus dem Süden des Landes kommt, aus Bayonne bei Biaritz, läuft mit Ende des Jahres aus. Doch Verbandspräsident Noël Le Graët will unbedingt verlängern. Berichten zufolge hofft der frühere Real-Madrid-Coach Zinédine Zidane schon länger auf das Amt. Doch Le Graët betonte zuletzt: „Ich habe Zidane im Gegensatz zu dem, was manche behaupten, noch nie in meinem Leben angerufen.“
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