Einige Dänen sehen im dominanten Jubelchor der gegnerischen Fans eine weitere Stärke der Engländer neben der starken Abwehr der „Three Lions“. Auch Dänemarks Außenminister Jeppe Kofod konnte bei seinem britischen Amtskollegen Dominic Raab keine Einreisebewilligung durchsetzen. Ausnahmen gelten für VIPs wie die dänische königliche Familie, die in London anwesend sein wird. Regierungsmitglieder aus Kopenhagen haben auf dieses Privileg verzichtet.
Eingeladen hat die UEFA zudem sechs dänische Helfer, die Christian Eriksen nach seinem Herzstillstand reanimiert haben. Dänemarks Torjäger war während des Spiels gegen Finnland zusammengebrochen. Kurz vor dem Anpfiff am Mittwoch will auch die englische Elf den ehemaligen Tottenham-Spieler ehren.
„Er ist Teil des Mannschaftsgeistes und unserer Spielweise“ sagte Nationaltrainer Kasper Hjulmand über Christian Eriksen. Zum Geist seiner Elf gehört auch die dänische Eigenschaft der Bescheidenheit. Hjulmand betonte auf einer Pressekonferenz, dass die Spieler die „Bodenhaftung“ nicht verloren hätten. Bis auf die EM 1992 in Schweden waren die „Rot-Weißen“ noch nie in das Halbfinale gekommen. Nun soll sich der Finalsieg vor 29 Jahren wiederholen.
Ein Vorteil für Dänemark könnte der enorme Druck sein, der auf der englischen Nationalmannschaft lastet, die noch keinen EM-Titel gewonnen hat: die Erwartung, dass der Fußball nach „Hause kommt“, eine Anspielung auf England als Ursprung des beliebtesten Ballsports.
Als Hoffnungsträger, der die englische Abwehr knacken könnte, gilt der 23-jährige Kasper Dolberg von OGC Nizza, der in den letzten beiden Spielen drei Mal getroffen hat. „Wenn man Tore schießt, gibt es etwas Selbstvertrauen und es kann auch ein besseres Gefühl vor dem nächsten Spiel geben“, äußert sich der Stürmer typisch bescheiden. Auch Yussuf Poulsen (RB Leipzig), der bis zum Viertelfinale wegen einer Oberschenkelverletzung ausfiel, gilt als jemand, der die englischen Fans „zum Schweigen bringen kann“.
Die im Land verblieben Fans werden sich mit den Bildschirmen begnügen müssen. Die bekannteste Großleinwand steht im Vergnügungspark Tivoli, hier sind 2.000 Zuschauer erlaubt. Bei den Wettbüros setzen 82 Prozent der Dänen auf den Sieg ihrer Mannschaft. Doch nicht alle 5,8 Millionen Einwohner des Landes, wo Gleichberechtigung großgeschrieben wird, sind enthusiastisch.
Protest gibt es von der Genderbewegung: „Es ist ein Privileg für weiße, heterosexuelle Männer, Grenzen überschreiten zu dürfen, die der Rest von uns niemals darf“, sagt Louise Kjölsen, Dänemarks bekannteste Transsexuelle. Die feministische Theoretikerin stört sich an dem Herumwerfen mit Bier in Plastikbechern und dem Gebrüll der männlichen Fans, sowie deren Schlachtruf „Pussy, Pussy, Schmeichel ist eine Wand.“ Gemeint ist der dänische Torwart Kasper Schmeichel. Doch vermutlich muss die gesellschaftliche Debatte warten, bis das Halbfinale oder Finale vorbei ist.
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