Von WM-Versagern, Feiglingen und Jubelberichten bei Boykottspielen

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Was die deutschen Fußballer bei der WM in Katar und eine österreichische Olympiasiegerin gemeinsam haben.

Versager, Feiglinge. Seit Tagen werden die deutschen Nationalspieler in Riesenlettern auf den Einser-Seiten des deutschen Boulevards abgewatscht. Weil Manuel Neuer, sich dem FIFA-Diktat beugend, doch nicht die One-Love-Kapitänsbinde trug. Und weil er danach noch zwei Bummerln gegen Japan kassierte.

In Anbetracht des medialen Dauerfeuers ist man, obwohl einem Spaniens junge Ballgenies Gavi (18) und Pedri (20) mehr imponieren, als Neutraler geneigt, den Sündenböcken die Daumen zu drücken. Allein schon, um mitzuerleben, wie den deutschen Hardcore-Kritikern bei einem deutschen Sieg ein Salto rückwärts gelingt.

Würde der größte Supermarkt-Konzern, der zeitgleich mit der Auftaktschlappe gegen Japan dem deutschen Fußballbund die Unterstützung aufkündigte, dann doch weiterhin mit dem DFB kooperieren? Würden im Falle eines WM-Triumphes von Joshua Kimmich und Co. immer noch 46 Prozent der Deutschen in Umfragen der Meinung sein, dass ihre Nationalelf nicht hätte nach Katar reisen dürfen?

So ein Boykott hat 1980 nichts gebracht. Damals durften Westdeutsche, Nordamerikaner und Briten auf Befehl ihrer Politiker wegen des sowjetischen Einmarsches in Afghanistan bei Olympia in Moskau nicht starten, während wir Österreicher im Moskauer Medienzentrum Jubelberichte über die Goldene der Linzer Dressurreiterin Sissy Theurer verfassten. Auf elektrischen Schreibmaschinen „Made in Germany“. Nachdem wir bei den Moskauer Sicherheitskontrollen die Scanner „Made in USA“ passiert hatten.

Anders als damals noch still und leise werden heute mit einem umstrittenen Land offiziell Geschäfte gemacht. So errichtete ein österreichischer Baukonzern das Al-Janoub-WM-Stadion in Doha. Auch ist Katar wichtiger Abnehmer von Schweizer Kriegsmaterial.

Warum, heißt es im Zürcher Tagesanzeiger, sollen Fußballer Ausrufezeichen setzen, die weder von Politik noch Wirtschaft kommen? Warum, wird im Schweizer Blatt gefragt, störte es niemand, als Roger Federer 2021 Doha als Schauplatz seines Comebacks wählte? Warum war die Empörung über den lockeren Umgang mit Menschenrechten vergleichsweise gering, als Katar Rad-, Tischtennis- und Handball-WM veranstaltete?

Die Antwort wird dem eitlen FIFA-Präsidenten Gianni Infantino, 52, gefallen: Weil kein anderer Sport ein so großes weltweites Echo wie der Fußball auslöst. Infantino sollte den iranischen WM-Spielern wegen ihres stillen Protests während Irans Hymne Tapferkeitsmedaillen überreichen. Er wird es nicht tun, obwohl er es sich leisten könnte. Zumal seine Wiederwahl für weitere sechs Jahre so gut wie fix ist. Weiß er doch nahezu alle nicht-europäischen Länder hinter sich, denen zuliebe die WM 2026 auf 48 Teilnehmer aufgebläht wird.

Mehr Starter bedeuten mehr Spiele, mehr TV-Millionen, mehr Plätze für Exoten und somit mehr Stimmen für Schlitzohr Infantino. Zu Hans Krankls Córdoba-Zeiten hatte die WM-Endrunde 1978 noch aus 16 Startern bestanden.

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