Vienna: Frisch verliebt mit 120 Jahren

Kult: Obwohl nur noch in der dritten Liga, wollen Viennas junge Fans auf der Naturarena Hohe Warte die Traditionen des ältesten Fußball-Klubs Österreichs aufleben lassen.
Österreichs ältester Fußballklub feiert Geburtstag beim Derby of Love.

Freitagabend in einer Bruchbude von Wien-Hernals: 7112 fröhliche Menschen feierten das 1:4 des Sportklubs in einer Exhibition gegen den millionenschweren AS Roma. In Worten: Siebentausendeinhundertzwölf. Am kommenden Freitag werden es bei einem anderen Sportklub-Spiel kaum weniger sein. Denn an diesem 22. August wird Sportklubs Gegner Vienna 120 Jahre alt.

Anders als beim Wiener Derby Austria – Rapid am nächsten Sonntag in Favoriten, wo für die Polizei Alarmstufe 1 herrscht, sollte sich der Einsatz der Exekutive 45 Stunden zuvor beim kleinen Derby auf die Regelung des Verkehrs beschränken.

Abseits der Bundesliga ist eine neue Fankultur entstanden. Frei von Aggression, Vorurteil und Fremdenhass.

Geburtstagsgreis Vienna und der Sportklub haben in Absprache ihr Treffen zum "Derby of Love" erklärt. Obwohl es in der dritten Leistungsstufe (=Regionalliga Ost) auch um Punkte geht. Und obwohl beide (von der Stadtpolitik nie wirklich geliebten) Klubs davon träumen, irgendwann an einstige Traditionen anzuschließen. Als sich Döblinger und Hernalser um die Plätze 1 und 2 im Oberhaus matchten.

Schauplatz des Liebes-Derbys ist die Hohe Warte, um die sich – und das ist keine Übertreibung – mehr Geschichten ranken als um jede andere Sportstätte.

In der Kaiserzeit, als die Vienna in finanzielle Turbulenzen (= ihr Dauerschicksal) geraten war, wurde das komplette Sportplatzinventar öffentlich versteigert.

Vienna: Frisch verliebt mit 120 Jahren
In der Zwischenkriegszeit aber entstand auf der Hohen Warte die größte Arena des Kontinents, die am 15.April 1923 beim Ländermatch gegen Italien sogar 90.000 Menschen stürmten, worauf es zu einem Hangrutsch mit glimpflichem Ausgang (nur Leichtverletzte) kam.

1944 wurde auf der Hohen Warte nur noch von der Flak geschossen. Als dort am 6. 5. 1945 abgemagerte Spieler von Vienna und Sportklub zwischen Schutt und Bombentrichtern zum ersten Match nach Kriegsende einliefen, war das Resultat (3:2) auf dem Nebenfeld Nebensache. Das Hauptfeld war der US-Besatzung für Baseball reserviert, ehe die Vienna 1954 zurück auf den großen Platz übersiedeln durfte. Idealisten, darunter Wunderteamspieler Fritz Gschweidl, hatten für die Wiederöffnung mit Hacke und Schaufel selbst Hand angelegt. Aus heutiger Sicht undenkbar. Oder können sie sich vorstellen, dass sich Hans Krankl und Toni Polster für einen Sportplatzbau wochenlang hinter eine Schubkarre spannen lassen?

Für 32.000 war die Hohe Warte kommissioniert. So viele kamen zumindest anfänglich zu Rapid-Spielen,welche die Vienna vor allem dank Hans Buzek wiederholt klar gewann. 1973 erhielten 2200 Besucher auch ein Dach über den Kopf.

Bombengefahr

Im Zuge des Tribünenbaus wurde die Kabinen-Baracke abgerissen und dort, wo viele Jahre Freund und Feind gemeinsam im einzigen Duschraum gestanden waren, eine Fliegerbombe entdeckt.

Die Stimmung auf Viennas Funktionärsebene blieb bis heute explosiv.

Unter dem deutschen Rank-Xerox-General Heinz Werner Krause, der sich als 50-jähriger Präsident selbst einen Spielerpass ausstellen ließ, wurde Krankl vom FC Barcelona zu einem sensationellen Kurzgastspiel für die Vienna geholt. Unter Foto-Zampano Walter Nettig war die Vienna (mit Weltmeister Mario Kempes) und Ausnahmetalenten wie Peter Stöger und Andreas Herzog kurz auch international im Bilde.

Im neuen Jahrtausend wurden in der Ära von Nationalbankpräsident Adolf Wala (SPÖ) die Vienna-Parkplätze verbaut – was laut VP-Bezirksvorsteher Adolf Tiller die Rettung des Klubs, laut der Bürgeriniative "Pro Heiligenstadt" indes ein Verrat an Vienna war.

Inzwischen gerät Wala ins Fadenkreuz der Justiz, weil er mit dem kasachischen Ex-Botschafter und Fußballpräsidenten Rakhat Aliyev kooperiert hatte. Aliyev wird Geldwäsche vorgeworfen. In seiner Heimat steht er unter Mordverdacht.

Auch der Name von Walas Vienna-Nachfolger, gegen den Frenkie Schinkels einen Prozess gewann, wird künftig eher in Gerichtssaal-Reportagen als auf Sportseiten auftauchen: Herbert Dvoracek trat vor einer Woche als Vienna-Präsident zurück.

Interimsboss Richard Kristek entdeckt zwar täglich unbezahlte Rechnungen. Dank des neuen (von Kristek vermittelten) Sponsors Care Energy aber sei die Vienna schuldenfrei. Behauptet Sportdirektor Kurt Garger. Oder ist das nur ein frommer Geburtagswunsch?

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