Trotz UEFA-Verfahren: Türkische Teamspieler salutierten erneut

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Auch nach dem EM-Qualifikationsspiel gegen Frankreich war der Militärgruß zu sehen. Der Torschütze verweigerte ihn aber.

Erst am Montagvormittag gab die UEFA bekannt, dass nach dem Militärgruß der türkischen Teamspieler in der EM-Quali-Partie gegen Albanien Ermittlungen einleitet werden. Am Montagabend zeigte sich eine Gruppe türkischer Spieler auch nach dem Match gegen Frankreich davon unbeeindruckt und salutierte mit der Hand an der Stirn.

Auf den Bilder aus dem Pariser Stade de France ist zu sehen, wie einige Spieler um Verteidiger Merih Demiral vom italienischen Spitzenklub Juventus vor der Tribüne in einer Reihe stehen und die flache Hand an die Schläfe halten. Bereits beim Ausgleichstreffer von Kaan Ayhan hatte Demiral den Militärgruß gezeigt. Offenbar anders als Ayhan, der in Deutschland geboren ist und für Fortuna Düsseldorf spielt: Auf Fernsehbildern ist zu sehen, wie Ayhan lediglich in Richtung der Fans jubelt und dann abdreht.

Trotz UEFA-Verfahren: Türkische Teamspieler salutierten erneut

Kaan Ayhan (re.) verzichtete auf einen Militärgruß. 

Verweigerer

Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, habe es nach der politischen Geste einen kurzen Disput zwischen Demiral und Ayhan gegeben. Demiral soll den Torschützen dazu animiert haben, ebenfalls zu salutieren. Dieser habe aber seinen Weg zurück aufs Feld fortgesetzt, was Fotos aus dem Stadion belegen. Auch sein Düsseldorfer Teamkollege Kenan Karaman soll sich nicht an dem militärischen Jubel beteiligt haben.

Bereits nach einem ähnlichen Militärgruß nach dem 1:0-Sieg der Türken am Freitag gegen Albanien hatte die UEFA angekündigt, ein Verfahren gegen den türkischen Verband einzuleiten. Das Regelwerk des europäischen Verbandes verbietet politische Äußerungen in Stadien. Die Türkei-Profis hatten direkt nach dem Siegtreffer und später auch in der Kabine mit der Hand an der Stirn salutiert. Unter ihnen waren dort auch die beiden Düsseldorf-Profis Ayhan und Karaman.

Distanzierung

Fortunas Sportvorstand Lutz Pfannenstiel hatte danach umgehend das Gespräch mit beiden Spielern gesucht. Beide Akteure versicherten, dass es sich lediglich um eine Solidaritätsbekundung für Soldaten und ihre Angehörigen handelte, verbunden mit dem Wunsch, dass sie wieder gesund zu ihren Familien zurückkehren können. „Wir sind davon überzeugt, dass ihnen nichts ferner lag, als ein politisches Statement abzugeben“, erklärte Pfannenstiel. Die Fortuna distanziere sich „in aller Deutlichkeit von jeglicher vermeintlich politisch motivierter Handlung, die gegen die Werte des Vereins verstößt.“

Die zuständige Kontroll-, Ethik- und Disziplinarkammer der UEFA soll sich nach dpa-Informationen am Donnerstag mit der Problematik befassen. Ob dann schon mögliche Sanktionen verhängt werden, die von einer Ermahnung über Geldstrafen bis hin zu Platzsperren und Punktabzügen reichen können, ist aber fraglich.

St. Pauli bewies Mut

Einzig der deutsche Kult-Klub FC St. Pauli zog schon Konsequenzen. Cenk Sahin darf nicht mehr für den Zweitligisten spielen. Der 25-jährige Deutsch-Türke hatte auf Twitter Solidarität mit den salutierenden Kickern bekundet. "Wir sind an der Seite unseres heldenhaften Militärs und der Armeen. Unsere Gebete sind mit euch!", hieß es in seinem Post. Daraufhin hatten die Fans des FC St. Pauli den Verein aufgefordert, sich sofort vom Spieler zu trennen.

"Nach zahlreichen Gesprächen „mit Fans, Mitgliedern und Freund*innen, deren Wurzeln in der Türkei liegen" sei der Vereinsführung bewusst geworden, "dass wir differenzierte Wahrnehmungen und Haltungen aus anderen Kulturkreisen nicht bis ins Detail beurteilen können und sollten", heißt es in der Mitteilung. "Ohne jegliche Diskussion und ohne jeglichen Zweifel lehnen wir dagegen kriegerische Handlungen ab. Diese und deren Solidarisierung widersprechen grundsätzlich den Werten des Vereins."

Internationale Pressestimmen zu den Vorfällen in Sofia und Paris: 

ENGLAND

The Guardian: „Willkommen in der neuen Welt. Wir haben ein Fußballspiel erwartet. Was wir bekommen haben, war ein miserables Ereignis in einer miserablen Nacht in einem miserablen Stadion (...) vor einem miserablen Hintergrund von Beschuldigungen und bösem Blut. Am Ende hat sich das kein bisschen wie ein Sportereignis angefühlt. Es fühlte sich an wie eine offene Wunde, ein Angriff auf die grundlegende Idee von Nationen, die zusammenkommen.“

Daily Mirror: „Das Traurige daran ist, dass niemand sich an den Fußball erinnern wird. Niemand wird sich an den klaren Sieg erinnern, Ross Barkleys Auftritt als bester Mann des Spiels, Marcus Rashfords fantastischen Treffer oder Raheem Sterlings genialen Doppeltreffer. Alle werden sich an eine Nacht erinnern, die eine Schande für den Fußball war.“

The Sun: „Eine Umgebung wie diese, eine giftige Mischung aus schändlichen und beschämenden Beschimpfungen und Gesängen, ist nicht das, woran man sich bei einem Fußballspiel erinnern sollte. So sieht die Zukunft für den Sport in vielen Austragungsorten aus - mit Unterbrechungen, Verzögerungen und Beobachtern im Publikum, die die vierten Offiziellen informieren.“

Telegraph: England hat Bulgarien mit drei Punkten, sechs Toren und einer deutlich gezogenen Linie verlassen. Diese Qualifikation für die Euro 2020 muss ein Wendepunkt sein, ein entscheidender Moment, in dem dieser “abscheuliche rassistische Missbrauch„, wie ihn der Fußballverband in seiner Erklärung sofort und unmissverständlich genannt und eine Untersuchung der UEFA gefordert hat, aufhören muss.“

The Independent: „Es war ein Abend mit hässlichen, beispiellosen Szenen in Sofia, der so viele aktuelle Probleme im Fußball und in der Gesellschaft zur Schau gestellte hat, der sich jedoch als Meilenstein für die Zukunft erweisen könnte.“

BBC Sport: „Man kann nur erwarten, dass dem bulgarischen Verband (BFU) die schwerwiegendsten Sanktionen drohen, nachdem ein weiterer schwerwiegender Vorfall von Rassismus ein Euro-2020-Spiel überschattet hat. (...) Es ist nun an der Uefa zu handeln, sobald der Bericht des Schiedsrichters und der Beobachter vorliegt.“

SPANIEN

Marca: „Das Beste für England war der Sieg, der die Niederlage gegen Tschechien am Freitag korrigiert hat. Die Manschaft von (Gareth) Southgate kann trotz der vergeblichen rassistischen Versuche eines Teils des Publikums lächeln.“

El Mundo: „Aus irgendeinem Grund war die Uefa der Ansicht, dass die Schließung von Teilen des Vasil-Levski-Nationalstadions in Sofia für zwei Spiele wegen rassistischer Parolen der bulgarischen Fans gegen Tschechien genug Strafe sei. Und dass das Platzieren einiger Plakate mit dem Motto “Respekt„ verhindern würde, dass es sich wiederholt. “Überraschenderweise„ hat es nicht funktioniert und England hat Bulgarien unter rassistischen Gesängen 0:6 besiegt.“

ITALIEN

La Stampa: „Sie haben es wieder getan, aber in Paris und ins Gesicht Europas ist das - nach allem, was geschehen ist - schlimmer als eine Kriegserklärung. Die türkischen Spieler haben erneut mit dem militärischen Gruß gejubelt, gestern Abend beim 1:1 von Kaan gegen Weltmeister Frankreich, zur Freude der 30 000 in Saint-Denis anwesenden Fans und zur Zufriedenheit Erdogans. Der Sultan-Präsident hat die Unterstützung des türkischen Sports erbeten, wie einen patriotischen Spot, nachdem er in Syrien einmarschiert war, und der Kraftprobe seiner Fußballspieler dürfte ihn erfreut haben.“

La Repubblica: „Die (türkische) Frage hat auch den italienischen Fußball ins Herz getroffen. Die Fans der Roma (AS Rom) haben einen ihrer Spieler, Cengiz Ünder, gesehen, wie er denselben militärischen Gruß über die sozialen Medien verbreitete, aber im gelb-roten Trikot. Ein Geschrei, in das die Roma nicht einstimmen wollte oder konnte, um nicht noch die Spannungen anzuheizen mit Blick auf das Auswärtsspiel der Mannschaft in Istanbul Ende November, gegen Basaksehir, die Präsident Erdogan nahe stehende Mannschaft. Gleiche Rede bei der Juve, die es vorgezogen hat, einen Post des Verteidigers Merih Demiral zur Unterstützung des Angriffs auf die Kurden zu ignorieren. Der einige europäische Club, der da anders reagiert, ist St. Pauli.“

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