Torfrau über Depressionen: "War in der Klinik das Mädchen mit dem Ball"
"Mir passiert doch so etwas nicht!" Carina Schlüter kämpfte sich gerade nach einer Knieverletzung zurück ins Team vom FC Bayern, als die Schlafstörungen kamen. Dass es Depressionen sind, die dahinter steckten, daran dachte sie zunächst nicht einmal im Ansatz. "Ich glaube, jeder Mensch kennt das, dass man mal ein paar Tage schlecht schläft. Aber bei mir ging das wirklich über Monate – zweieinhalb, drei Stunden – jede Nacht", erzählt Schlüter.
Die 26-jährige Torfrau, die mittlerweile beim österreichischen Meister SKN St. Pölten spielt, spürte bald die Folgen des Schlafmangels: Erschöpfung, Antriebs- und Energielosigkeit, keine Lust mehr auf Reha und Training. Es ging nur noch um "funktionieren" und "durchschleppen", sagt sie.
Vielleicht wäre sie schneller dahinter gekommen, dass es Depressionen waren, die sie am Schlaf hinderten, wenn sie im Mannschaftstraining gewesen wäre. "Aber weil ich Einzeltraining hatte, waren es halt immer nur eine Handvoll Leute, denen ich etwas vorspielen musste."
Ich wollte nie zeigen, dass es mir schlecht geht. Für mich war das eine Form von Schwäche.
Wenn man Depressionen als "Schwäche" einordnet
Das sei rückblickend das Belastendste an der Krankheit gewesen: "Ich hatte immer das Gefühl, ich muss mich verstecken. Musste immer einen auf heile Welt machen. Dadurch lag eine noch größere Last auf meinen Schultern, als ich ohnehin schon hatte. Ich wollte nie zeigen, dass es mir schlecht geht. Für mich war das eine Form von Schwäche."
Die Sportpsychologin Andrea Engleder arbeitet viel mit Athleten. Sie weiß, dass viele Leistungssportler Angst haben, psychische Probleme anzusprechen – aus Angst, Schwäche zu zeigen und im Endeffekt gar aus dem Kader zu fliegen. Es sei wichtig, zu betonen: "Mentale Gesundheit ist nicht gleich mentale Stärke!" Dabei wäre das möglichst frühe Eingeständnis einer Depression wichtig für die schnellere Heilung. "Man muss das gar nicht dramatisieren. Ich vergleiche das mit einem Seitenbandriss. Wie das Seitenband muss auch die Psyche wieder belastbar werden", sagt Engleder.
Diese Aussagen zeigen nur, wie wenig verbreitet das Wissen über Depressionen ist und wie unsicher die meisten Menschen im Umgang damit sind.
Es war gar nicht so, dass sich Carina Schlüter die Depressionen nicht eingestehen wollte. Es kam ihr nicht einmal in den Sinn, dass sie daran leiden könnte. "Ich hatte ja selbst all diese Vorurteile", sagt sie heute. "Ich dachte immer, diese Leute stellen sich nur so an, jammern rum!"
Auch sie hörte "gut gemeinte" Ratschläge wie, dass sie "mal wieder lächeln" solle. "Diese Aussagen sind nie böse gemeint. Sie zeigen nur, wie wenig verbreitet das Wissen über Depressionen ist und wie unsicher die meisten Menschen im Umgang damit sind."
Auch wenn es für sie persönlich belastend war – dennoch sei es verhältnismäßig leicht gewesen, den Menschen etwas vorzuspielen. "Natürlich fragen die Leute: ‘Wie geht's?‘, aber die Frage nimmt man ja nur unterbewusst wahr. Und die Antwort kommt oft automatisch. ’Alles gut, und selbst?’, das ist so eine Höflichkeit. Aber will das wirklich ernsthaft jemand wissen?"
Als aber eines Tages ein Physiotherapeut das Gespräch mit Carina Schlüter suchte, nahm das Versteckspiel langsam ein Ende: "Er meinte, irgendwas passt da nicht und ob man vielleicht etwas in die Wege leiten solle", erinnert sich die Fußballerin im KURIER-Gespräch. Den Begriff "Depressionen" wollte sie lange nicht hören. Und selbst, als sie bereits in Therapie war, bekam sie die Diagnose auch erst Monate später zu hören.
Die psychische Krankheit annehmen ist der erste Schritt
"Zunächst musste ich es ja selbst einmal akzeptieren oder eigentlich verstehen", sagt Schlüter. Verstehen, dass es so etwas wie psychische Erkrankungen tatsächlich gibt – und dass sie selbst an einer leide. "Dann war es ein riesiger Schritt für mich, zu einem Therapeuten oder zu einer Therapeutin zu gehen. Und dann der Schritt, in eine Klinik zu gehen, noch mal eine Nummer größer."
Ich hatte Angst davor, verurteilt zu werden, Angst davor, in eine Schublade gesteckt zu werden, Angst davor, nicht mehr ernst genommen zu werden.
Die große Last von den Schultern nahm sich die Sportlerin schließlich dadurch, dass sie ihre Depressionen öffentlich machte: "Seit über einem Jahr leide ich unter depressiven Episoden", schrieb Schlüter auf Instagram. Sie befinde sich zur Behandlung in einer psychosomatischen Klinik. "Warum ich nie etwas gesagt habe? Weil ich Angst hatte. Angst davor, verurteilt zu werden, Angst davor, in eine Schublade gesteckt zu werden, Angst davor, nicht mehr ernst genommen zu werden."
Doch das Gegenteil sei der Fall gewesen. Endlich konnte Carina Schlüter vor Freunden, Familie und auch vor Fremden wieder authentisch sein.
"Sport ist eines der wichtigsten Antidepressiva"
Die Akzeptanz, das Annehmen von Hilfe und das An-die-Öffentlichkeit-Gehen waren die ersten Schritte heraus aus der Depression. Auch der Fußball selbst half ihr: "In der Klinik war ich immer das Mädchen mit dem Ball, das zwischen den Therapiesitzungen draußen auf der Straße mit dem Ball gekickt hat, stundenlang. Für mich war es die beste Medizin."
Das deckt sich auch mit den Erfahrungen von Sportpsychologin Engleder: "Sport ist abseits von Medikamenten eines der wichtigsten Antidepressiva." Der Körper und das Immunsystem werden angeregt, man merke die Selbstwirksamkeit, etwa weil man besser wird, je öfter man trainiere. Und „das Mädchen mit dem Ball“ habe sich in der Zeit der Therapie wohl unbewusst auf etwas zurückbesinnt, das der Fußball ihm bedeutete. "Es ist schön, wieder zu spüren, worum es einem ursprünglich ging. Dann kann man das bei der Rückkehr in den Leistungssport wieder besser einordnen."
Die Rückkehr ist Carina Schlüter gelungen und das gibt anderen Hoffnung, die in einer ähnlichen Situation sind. Sie spielt heute mit dem österreichischen Tabellenführer SKN St. Pölten gegen Lustenau und steht vor dem Champions-League-Play-off-Rückspiel am Mittwoch gegen Valur mit einem Fuß in der Königsklasse.
Das Hinspiel in Reykjavik gewann der SKN am Dienstag mit 4:0. (Hier geht's zum Spielbericht.)
➤ Hintergrund: Der Frauensport und seine Hauptstadt St. Pölten
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