Sturm-Sportchef Schicker: "Die steirische Politik ist sehr langsam"

Von 0 auf 100 geht für Sturm das Fußballjahr los: Am Freitag wartet auf die Grazer das Cup-Viertelfinale in Salzburg (20.45 Uhr). Sportchef Andreas Schicker, 36, hat den Blick für die nächsten Herausforderungen, aber auch über den Tellerrand hinaus.
KURIER: Ein gescheiter Mann hat gemeint, dass die größten Fehler im Erfolg passieren. Sehen Sie diese Gefahr?
Andreas Schicker: Ja, definitiv. Diese Gefahr besteht. Wir müssen extrem aufpassen, weil man im Erfolg leicht oberflächlich und gemütlich wird. Deswegen führen wir Veränderung herbei, gehen konsequent unseren Weg. Außerdem wollen wir weiter gesund wirtschaften. Fußball darf nie gemütlich werden. Es ist viel schwieriger, oben zu bleiben als nach oben zu kommen. Und die Fortschritte werden kleiner werden.
Das Europacup-Aus war bitter – war es dennoch die größte Steigerung im Vergleich zur Vorsaison?
Von zwei zu acht Punkten in der Gruppe war sehr gut – noch positiver war, wie viele Sonntagsspiele nach den Europacupschlachten gewonnen wurden. Das war einerseits das Resultat der Erfahrung aus dem Vorjahr, andererseits aus der erhöhten Qualität im breiteren Kader.
Wo würden Sie persönlich die größte Veränderung in den drei Jahren verorten?
Im Sommer bin ich Papa geworden, das verschiebt einiges. Ansonsten bin ich hoffentlich privat der Gleiche geblieben, auch wenn ich die Verantwortung schon spüre. Beruflich waren die Lehrjahre in Wr. Neustadt und dann die eineinhalb Jahre hinter Günter Kreissl Gold wert.
Warum?
Weil ich erkennen konnte, für welchen Fußball Sturm stehen soll. Bei so einem emotionalen Verein sollte das ein leidenschaftlicher, offensiver, proaktiv gegen den Ball angelegter Stil sein. Deswegen haben wir mit Christian Ilzer damals eine absolut richtige Trainer-Entscheidung getroffen.

Ist der Auftakt in Salzburg undankbar oder die beste Chance für eine Kampfansage?
Die Erfahrung zeigt, dass du auch im Cup irgendwann Salzburg schlagen musst, um den Titel holen zu können. Deswegen lieber gleich, ich freu’ mich sehr. Nach so einem Spiel weißt du zu 100 Prozent, wo du stehst.
Ein Erfolgsmodell von Sturm ist das Scouting. Was wurde im Detail verändert?
Wir spielen ab der U-15 mit denselben Prinzipien, alle im Verein verfolgen dieselbe Spielidee. Weil wir so genau wissen, was wir spielen, fallen im großen Spieler-Meer sehr viele Kandidaten vorab weg. Die anderen beobachten wir mit unseren drei hauptberuflichen Scouts umso genauer. Transfers auf Zurufe von Managern sind mittlerweile die Ausnahme.
Sturm ist aus dem Österreicher-Topf mit der Beschränkung auf sechs Legionäre ausgestiegen. Es gibt Fans, die sich Sorgen machen, dass eine seelenlose Legionärstruppe entstehen wird.
Davor habe ich keine Angst. Den perfekten Sturm-Spieler zeichnet nicht die Herkunft aus, sondern das Profil und wie er sich gibt. Da sind unsere Legionäre leidenschaftliche Vorbilder. Mit dem Ö-Topf wären wir in der Entwicklung angestanden. Das möchte ich an einem Beispiel erklären.
Bitte darum.
Wir wollten Dominik Baumgartner kaufen. WAC-Präsident Riegler hat mir erklärt, dass er ihn nicht an uns abgeben kann, weil sie keinen leistbaren Österreicher mit ähnlicher Qualität als Ersatz bekommen würden. Bei einem Legionär hätte es anders ausgesehen. Da haben wir erkannt, dass es sich mit der aktuellen Dotation des Topfes und überteuerten Österreichern nicht mehr auszahlt. Die Entscheidung war auch im Rückblick richtig.
Überall geht es bergauf – das Stadion bleibt aber eine natürliche Bremse, oder?
Beim Stadion und bei der Infrastruktur der Akademie stehen anderen Vereine deutlich besser da. Wir kämpfen um Verbesserungen, aber ich muss leider sagen: Die steirische Politik ist sehr langsam.
Graz ist nach der Ära Nagl beinahe pleite. Da wird die KPÖ als neue Bürgermeisterpartei kaum ein neues Stadion finanzieren.
Liebenau ist okay, es muss kein Neubau her. Aber wir wollen Pächter, nicht Mieter sein. Dann hätten wir ein besseres Branding im Stadion, schwarz-weiße Sitze, ein paar Logen, einen größeren VIP-Bereich – es wäre als Sturm-Stadion ein echtes Zuhause.

Erfolgsduo: Ilzer und Schicker
Wird Christian Ilzer mit mehr als 50 % Wahrscheinlichkeit für die kommende Saison zu halten sein?
Chris wird mit seinem Team sicher eine große Karriere machen. Aber er weiß auch sehr gut, was er an Sturm hat. Es wäre für ihn sicher reizvoll, wenn wir wieder die Hymne der Champions League hören könnten. Aber das sind Träume. Wann der nächste Schritt erfolgt, ist kaum abzuschätzen.
Auf der Suche nach einer Schwäche von Ilzer fällt der fehlende Einbau von Eigenbauspielern auf. Oder ist der Nachwuchs aus der Sturm-Akademie zu schwach?
Gefinkelte Frage (lacht). Die Spielerentwicklung ist sicher eine Stärke von Ilzer, das sieht man bei sehr vielen jungen Spielern. Beim Eigenbau war es auch Pech: Trummer und Geyrhofer haben wir sehr hoch eingestuft, sie hatten dann schwere Verletzungen. Es hilft, dass Sturm II in die 2. Liga aufgestiegen ist: Wir sehen Talente, die es schaffen könnten. Wenn ein Junger Talent und große Willenskraft mitbringt, wird er es am Ende schaffen. Der Einbau von jungen Spielern ist aber immer auch ein schmaler Grat.
Wie meinen Sie das?
Die vielen Rapid-Talente wurden im Frühjahr gehypt, am Ende standen die Fans mit dem Rücken zum Spielfeld. Der Wunsch der Fans ist es oft, dass die eigenen Jungen spielen „müssen“, gleichzeitig darf der Erfolg nicht leiden. Am liebsten sollten wir mit lauter jungen Steirern in der Champions League spielen. Das ist aber ein Thema für Romantiker. Es muss alles mit Maß und Ziel geschehen.
Rapid hat um Sie geworben, Sie haben auch lange nicht abgesagt. Wie knapp war ein Wechsel entfernt?
Ich habe gesagt, dass ich mich vor dem Ende der Herbstsaison nur mit Sturm beschäftigen will. Sturm hat mir dann mitgeteilt, dass sie meinen Vertrag verlängern wollen. Einen Tag nach Saisonschluss haben wir das fixiert. Das war erste Priorität für mich. Also war das Thema für mich nicht so groß.
Andreas Schicker
wurde am 6. 7. 1986 geboren, wuchs in Oberaich auf und kam über Bruck und Kapfenberg als linker Verteidiger zur Austria.
Die meisten Einsätze hatte der 17-fache U-21-Teamspieler für Ried und Wiener Neustadt
Arm-Prothese
Im November 2014 musste Schicker nach einem Pyrotechnik-Unfall die linke Hand amputiert werden. Er schaffte mit seiner Prothese noch ein Comeback
33 Monate
ist Schicker als Sportchef von Sturm im Amt. Nach Graz gekommen ist der Familienvater als Chefscout im Herbst 2018
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