Tschertschessow: "Ich spreche nicht über Probleme"

Respektsperson: Der Teamchef ist ein Mann klarer Worte.
Warum der russische Fußball-Teamchef nicht an die Heim-WM denken will, seine Mannschaft aktuell als Außenseiter sieht und nichts von Torhüter-Klischees hält.

Am meisten genießt Stanislaw Tschertschessow in Tirol das Autofahren. Hier kann er noch schalten und walten, wie er will. Durch das Verkehrschaos in Moskau bewegt sich Tschertschessow mittlerweile nur noch mit Chauffeur. Das ist das Privileg des Teamchefs der Sbornaja – ein Amt, das 13 Monate vor der Fußball-WM in Russland so wichtig ist, dass Stanislaw Tschertschessow gleich drei Handys benötigt. "Ich könnte daheim gar nicht Auto fahren, weil ich unterwegs immer nur am Telefonieren bin", erzählt der 53-Jährige.

Wann immer es die Zeit und sein Job zulassen, kommt Tschertschessow nach Tirol. Noch immer nennen ihn die Leute hier "unseren Stani", weil der Publikumsliebling drei Mal mit dem FC Tirol den Meistertitel gewinnen konnte. Die Familie Tschertschessow ist in Rinn bei Innsbruck heimisch geworden, die Kinder des russischen Teamchefs sind hier aufgewachsen und sprechen felsigsten Tiroler Dialekt. Sohn Stani junior ist zweiter Tormann bei Dynamo Moskau, Tochter Madina vollendet gerade in Innsbruck ihr Architektur-Studium.

Ihr Papa beschäftigt sich derweil als Baumeister und Erfinder. Nach der Enttäuschung bei der EM in Frankreich (Aus in der Vorrunde) muss Tschertschessow irgendwie ein russisches Nationalteam aus dem Hut zaubern, das sich 2018 bei der Heim-WM nicht blamiert.

KURIER: Herr Tschertschessow, muss man Sie bedauern?

Stanislaw Tschertschessow: Warum bedauern? Zeigen Sie mir bitte einen Trainerjob, der einfach ist. Nicht einmal der Jogi hat es leicht. Jeder Trainer hat seine Aufgaben und Ziele. Bei den einen ist es der WM-Titel, bei mir geht es gerade darum, eine Mannschaft für die WM zu formen.

Viel Zeit bleibt Ihnen aber nicht.

Stimmt, wir hätten bei uns im Team schon viel früher einen Generationswechsel machen müssen. Den hab’ ich jetzt gemacht. Das ist so knapp vor der WM sicher nicht ideal, aber das war ein notwendiger Schritt.

Eine große Aufgabe.

Vor allem ein großer Spagat. Einerseits muss ich viele Sachen probieren, andererseits muss ich Ergebnisse liefern. Ich habe inzwischen den Begriff Problem aus meinem Wortschatz gestrichen, ich spreche nicht mehr von Problemen, sondern nur noch von Fragen.

Wie ist es denn aktuell in Russland um die Fußballbegeisterung bestellt? Die EM in Frankreich war ja in vielerlei Hinsicht eine Blamage. Das Aus in der Vorrunde, dazu die Eskapaden russischer Hooligans.

Nicht nur wir haben dort sehr schlecht abgeschnitten. Da fallen mir noch genug andere Mannschaften ein. Und solche Sachen mit den Fans gibt es in anderen Ländern auch. Schauen Sie einmal, was jetzt erst bei Lyon gegen Besiktas passiert ist.

Ihr Land steht aber im Fokus und in der Kritik. Stichwort: Staatsdoping.

Das ist jetzt eine politische Frage. Damit will ich nichts zu tun haben. Können wir bitte wieder über Fußball reden?

Gerne, wie sieht’s jetzt also ausmit der Stimmung in Russland?

Unsere Partien sind alle ausverkauft. Das war in der Vergangenheit nicht immer so, und das ist für mich ein Zeichen, dass wir Sympathien zurückgewinnen. Die Leute sehen, dass wir etwas verändern wollen.

Warum ist es in den letzten Jahren mit dem russischen Fußball so bergab gegangen?

Es ist immer abhängig von einer Generation. Das war ja bei euch in Österreich nicht anders. Nach Prohaska und Krankl war ein Loch, dann kamen Polster und Herzog, danach hat es wieder gedauert. Es gibt wenige Länder, bei denen ständig starke Spieler nachkommen.

Aber wir reden von einem Land mit fast 150 Millionen Einwohnern und einer langen Fußballtradition.

Die Größe eines Landes hat überhaupt nichts zu sagen. Sonst müssten nämlich China und Indien alles gewinnen. Jede Nation hat eben ihre Stärken: In Österreich ist es das Skifahren, da hat der Hermann aufgehört und dann war mit dem Marcel gleich der nächste Star da. Wir Russen sind zum Beispiel im Eishockey seit Ewigkeiten Weltspitze. Jeder steht da, wo er hingehört.

Wo gehört für Sie denn Russland hin, oder anders gefragt: Welche Vorgaben und Ziele gibt es für die WM 2018?

Das ist eine blöde Frage.

Inwiefern?

Wie kann man zu diesem Zeitpunkt sagen, was 2018 das Ziel sein wird? Das ist unseriös. Wir wissen heute noch nicht einmal, welche Mannschaften nächstes Jahr dabei sein werden, geschweige denn, wie unsere Gruppe ausschauen wird. Auch wenn Sie es mir vielleicht nicht glauben: Ich denke im Moment noch überhaupt nicht an die WM. Das ist weit weg. Ich muss schauen, dass ich eine Mannschaft finde, bevor ich mir die nächsten Schritte überlege. Nach dem Confederations Cup bin ich sicher etwas klüger. Wir sind dort der absolute Außenseiter unter allen acht Teams.

Spüren Sie Druck und Kritik?

Das ist doch normal. Ich sage immer: Wenn dich niemand kritisiert, dann bedeutet das, dass es kein Schwein interessiert, was du machst.

War das immer schon ein Karriereziel von Ihnen, Teamchef in Russland zu werden?

Wenn ich im Fußball etwas gelernt habe, dann dass man am besten nicht zu weit in die Zukunft blickt und nicht zu viele Pläne haben soll. Ein Hürdenläufer denkt am Start ja auch nicht über die letzte Hürde nach. Was ich aber schon sagen kann: Ich wollte immer schon Trainer werden.

Wobei es nur wenige Torhüter gibt, die eine Trainerkarriere eingeschlagen haben. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Aus wie vielen Spielern besteht ein Fußballteam?

Normalerweise aus elf.

Und nur einer davon ist Tormann. Da ist es ja ganz logisch und mathematisch erklärbar, warum mehr Feldspieler Trainer werden.

Es gibt da noch eine andere Theorie.

Was meinen Sie?

Man sagt Torhütern ja gerne auch nach, dass sie ein wenig, nun ja, eigenwillig seien. Sie haben einmal in Innsbruck aus Protest während des Spiels Ihr Tor verlassen und sind zur Seitenlinie marschiert.

Eine alte Story. Ganz ehrlich, ich höre solche Sachen nicht. Da könnte ich genauso gut sagen, dass es genug Leute gibt, die behaupten, Journalisten seien Idioten. Von mir werden Sie so was nie hören. Also lassen wir das bitte: Ich sage nur eines: Wenn du nicht blind bist, dann siehst und lernst du hinten als Tormann extrem viel vom Spiel.

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