77.768 im Wembley: England entdeckt das Potenzial der Frauen

77.768 im Wembley: England entdeckt das Potenzial der Frauen
Prächtige Kulissen, neue Sponsoren und viele Experimente – Warum das Fußball-Mutterland vieles richtig macht.

Fußball-England erschüttert nichts so leicht. Aber an diesem Wochenende herrscht doch wieder einmal Ausnahmezustand. Das liegt an zwei Spielen. Das eine findet in Liverpool statt, wo der PremierLeague-Tabellenführer am Sonntag den Verfolger Manchester City empfängt (17.30 Uhr). Glaubt man den Fußballkennern auf der Insel, wird in diesem Spiel bereits die englische Meisterschaft (vor)entschieden.

Jedenfalls dann, wenn Liverpool erneut nicht verliert. Das kam zuletzt nicht allzu oft vor für Jürgen Klopp und seine Männer. In den letzten 50 Ligaspielen gab es nur eine Niederlage, die aber ausgerechnet gegen Manchester City. Jedoch auswärts. In Anfield konnte City zuletzt Anfang des Jahrtausends gewinnen.

So viel zum Sonntag.

Bereits am Tag davor ging es um das Allerheiligste im englischen Fußball: das Wembley Stadion. 77.768 Besucher kamen zum Freundschaftsspiel zwischen den Damen-Nationalteams von England und Deutschland. Sie sahen ein packendes Spiel zweier Topteams. Bei Dauerregen bewiesen die Gastgeberinnen vor allem Leidenschaft, die deutschen Damen jedoch Klasse. In der 90. Minute erzielten sie den Treffer zum 2:1-Sieg.

77.768 im Wembley: England entdeckt das Potenzial der Frauen

An diese Kulisse war vor sieben Jahren noch zu denken. Damals zählte der englische Verband bei einem Länderspiel der Damen 6.000 Besucher. Still und heimlich hat England in den letzten Monaten den Frauen-Fußball entdeckt. Einen medialen Boost hat im Sommer die WM in Frankreich geliefert. Das Viertelfinal-Out der Engländerinnen gegen den späteren Weltmeister USA ist die meistgesehene Übertragung des britischen TV-Jahres. "Es ist eine entscheidende Zeit. Wenn wir jetzt nachlassen und nicht das offene Fenster nutzen, verpassen wir eine Chance", sagt Englands Teamspielerin Millie Bright.

Ihr Geld verdient die Verteidigerin beim FC Chelsea und sie muss dafür nicht – wie bei vielen anderen europäischen Klubs üblich – nach dem Training in der Geschäftsstelle im Vereinsbüro aushelfen. Die Women’s Super League (WSL) ist mittlerweile ein Vollprofi-Betrieb.

Ein gutes Geschäft

Neun der aktuell zwölf WSL-Klubs sind auch in der Premier League der Herren am Ball. Die zu Weltmarken herangewachsenen Klubs wie Liverpool, Arsenal oder Manchester United betreiben das nicht nur aus gutem Willen, sondern sie sehen im Damen-Fußball ein Geschäft. In einer Umfrage der UEFA gaben Mädchen aus jedem zweiten Mitgliedsland an, dass Fußball ihr Lieblingssport sei.

Noch ist es auch in England eine Wette auf die Zukunft. In der Vorsaison kamen zu einem WSL-Spiel im Schnitt weniger als 1.000 Zuschauer. Doch die Klubs und der Verband, der 2021 die EM ausrichtet, experimentieren gerade mit dem gestiegenen Interesse. Mehr als 31.000 zahlende Fans sahen das erste Manchester-Derby der Frauen zwischen United und City zum Ligaauftakt.

Chelsea ging einen anderen Weg und verschenkte Tickets für ein WSL-Spiel an der Stamford Bridge. Nicht ohne Hintergedanken. Wer zu dem Spiel wollte, musste sich online registrieren. Anhand der gewonnen Daten sah der Klub, wer sich für Damen-Fußball interessiert.

Auch in Wien ist der Sport derzeit Gesprächsthema. Als die Ticketpreise für das Champions-League-Finale in der Generali-Arena bekannt gegeben wurden, gab es hitzige Diskussionen. Die ausgerufenen zwölf Euro sahen einige als Geringschätzung.

Wohltuend ist da der Blick nach England, wo Damen-Fußball seinen Platz gefunden hat. "Es geht darum, dass wir die Leute zu den Spielen bekommen", sagt Teamspielerin Millie Bright und fügt an: "Sie sollen sehen, wie gut der Fußball ist und dass es ein anderes Spiel ist als jenes der Männer."

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