Red Bulls Rangnick: Entscheidende 8 Sekunden

Red Bulls Rangnick: Entscheidende 8 Sekunden
Mit Ralf Rangnick beginnt bei den Red-Bull-Klubs in Europa eine neue Ära. Der Deutsche steht für innovativen Fußball.

Das vergangene Wochenende war für die Fußball-Welt von Red Bull ein ganz besonderes. Weil Dietrich Mateschitz am Sonntag beim bedeutungslosen Salzburger Testspiel gegen Anderlecht im Salzburger EM-Stadion und nicht beim prestigeträchtigen Formel-1-GP im englischen Silverstone war.

Aber auch, weil es rund um das Spiel ein ganz besonderes Meeting gab. Ralf Rangnick hatte alle Trainer versammelt, für die er verantwortlich ist. Aus Salzburg und Leipzig, aber auch aus Pasching und Liefering, den Partnerklubs in den Regionalligen. Die Sitzung war nicht nur zum Kennenlernen da. Es wurden stundenlang die Kader durchleuchtet. Und offenbar wurde entschieden, welche Spieler zu Rangnicks Fußball-Philosophie passen und welche nicht.

Umwälzungen

In Leipzig gab es jedenfalls unmittelbare personelle Konsequenzen: Am Dienstag wurden fünf Spieler aussortiert. Darunter war auch der Pole Adrian Mrowiec, der erst vor drei Wochen verpflichtet worden war. Da war Rangnick aber noch nicht im Amt.

Mit dem neuen Sportdirektor weht ein neuer Wind durch die Fußball-Welt von Red Bull. Kein Lüftchen, sondern ein kräftiger Luftzug. Nichts ist sakrosankt. Keine Arbeits­sekunde wird verschenkt. "Wir haben sehr wenig Zeit", hatte Rangnick schon bei seiner Präsentation in Salzburg Ende Juni gemeint.

"Fußball-Professor" – diese Bezeichnung bekam der heute 53-Jährige schon vor 15 Jahren verpasst. Damals hatte Rangnick im ZDF-Sportstudio als noch namenloser Trainer den Deutschen auf einer Taktiktafel seine Fußballphilosophie erklärt.

Musterschüler

Seine berufliche Karriere verlief sowieso ungewöhnlich: Er begann nach der Matura ein Lehramtsstudium für Sport und Englisch an der Uni Stuttgart, absolvierte ein Studienjahr in Brighton. Parallel dazu spielte er nicht nur Fußball, sondern machte auch die Trainerausbildung an der Sporthochschule Köln. Als Mittzwanziger beendete Rangnick diese – als Lehrgangsbester. Ohne Reputation als Fußballer konnte er sich nach oben arbeiten – bis in die Deutsche Bundesliga, bis ins Champions-League-Semifinale mit Schalke 04.

Rangnick steht für eine ganz bestimmte Art von Fußball, den er in 15 Jahren als Profitrainer immer weiterentwickelt hat. Und die sich doch radikal unterscheidet von der Art von Fußball, die zuletzt in Salzburg und Leipzig gehegt und gepflegt worden ist.

Die Grundlage seiner Philosophie lässt sich mit einer wissenschaftlichen Untersuchung erklären, die Rangnick selbst gerne zitiert: Ein Großteil der Tore fallen in den ersten acht Sekunden nach der Balleroberung. Danach nimmt die Wahrscheinlichkeit deutlich ab, dass ein Tor fällt.

Zeitfrage

Acht Sekunden sind in einer komplexen Sportart wie Fußball extrem wenig. Um diese optimal ausnützen zu können, braucht man bestimmte Spielertypen. Sie müssen schnell sein, im Kopf und in den Beinen. Aber sie müssen auch eines beachten: Der Ball ist immer schneller, als sie mit ihm laufen können.

Nach einer Balleroberung quer zu spielen, bedeutet, entscheidende Sekunden zu verplempern. In die Tiefe spielen ist das Credo – und das bei jeder Gelegenheit.

Das alleine wäre zu wenig. Die Balleroberung kann immer nur im Kollektiv erfolgen, alleine attackieren bringt nichts. Und dazu müssen die nicht involvierten Mitspieler immer räumlich mitdenken, also nicht stehen und zuschauen, sondern ohne Ball agieren.

Rangnicks Spielweise ist kräfteraubend, weil sie mit extremer Laufarbeit verbunden ist. Dafür ist eine perfekte Fitness die Grundlage. Aber nicht nur das: Die Spieler müssen schnell nach den hohen Belastungen regenerieren können. Da ist es kein Wunder, dass Rangnick, egal, wo er gearbeitet hat, immer die Kader verjüngt hat. Das in Leipzig aussortierte Quintett ist übrigens um die 30 Jahre alt.

Trainerscouting

Für seine Philosophie braucht der neue starke Mann aber auch Trainer, die so denken wie er. Peter Pacult musste Leipzig verlassen, weil er dies nicht tut. Um dies diagnostizieren zu können, musste Rangnick nicht einmal mit dem Ex-Rapid-Meistercoach persönlich sprechen.

Für viele war Rangnicks Trainerauswahl überraschend. Er holte Roger Schmidt für Salzburg und Alexander Zorniger für Leipzig. Beide haben keine großen Namen, waren keine großen Fußballer. Das zählt für Rangnick nichts. Über Jahre hat er ihre Arbeit als Trainer verfolgt und große Ähnlichkeiten in der Fußball-Philosophie festgestellt.

Die Trainerauswahl war übrigens eine Premiere in der Ära Red Bull: Erstmals durfte ein Sportchef den Salzburger Trainerposten besetzen. Bisher hatte das Dietrich Mateschitz immer selbst gemacht. Das alleine beweist das hohe Standing von Rangnick bei seinem Chef. Bleibt nur die Frage, wie viel Zeit Rangnick von seinem Boss bekommt. Ein so radikaler Philosophie-Wechsel, wie er gerade vollzogen wurde, braucht vor allem eines: Zeit.

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