Raheem Sterling: Der umstrittene EM-Held von Viertelfinalist England
Eigentlich hätte das so ja alles gar nicht passieren dürfen. Das erste Tor von Raheem Sterling im ersten Gruppenspiel gegen Kroatien, dann sein zweites gegen die Tschechen und schließlich das dritte im Achtelfinale gegen Deutschland. Natürlich hätten die englischen Fans die Tore mit Handkuss genommen, aber, bitteschön, doch nicht von Raheem Sterling.
Genauso dachte man bis vor Kurzem noch im Mutterland des Fußballs über den jetzigen Vater des Erfolges. Er habe in dieser englischen Nationalmannschaft nichts verloren, er verstelle den Supertalenten um Jadon Sancho, Phil Foden und wie sie alle heißen nur den Platz.
Großer Kämpfer
Das war immer schon das Dilemma von Raheem Sterling: Der 26-Jährige konnte kaum einmal den Ansprüchen der Öffentlichkeit genügen. Lief es für das Nationalteam schlecht, dann war er einer der Hauptverantwortlichen, feierten die Engländer Siege, dann wurde er gerne links liegen gelassen.
Bei dieser Endrunde ist es nun allerdings schier unmöglich, Raheem Sterling ins Abseits zu stellen und ihm nicht zu huldigen. Der schnelle Angreifer ist der Mann der Stunde und trägt mit seinen drei Treffern den Löwenanteil, dass die Three Lions im Viertelfinale stehen und vom ersten Titel seit 1966 träumen dürfen.
Vor dem Duell mit der Ukraine in Rom (21 Uhr) erhält der umstrittene Spieler nun endlich jene Anerkennung, die ihm so lange verwehrt geblieben ist. Die Times widmete ihm zuletzt eine Doppelseite, und Teamchef Gareth Southgate hielt ein Plädoyer für seinen Stürmer. „Er ist ein Kämpfer“, sagte der 50-Jährige nach dem Einzug ins EM-Viertelfinale. „Er hat eine unglaubliche Widerstandskraft und Ehrgeiz.“
Harter Weg
Denn wenn jemand weiß, was es heißt, sich behaupten zu müssen und gegen Widerstände anzukämpfen, dann ist das Raheem Sterling, der 1994 in Kingston auf die Welt kam. Bereits in jungen Jahren musste er Schicksalsschläge meistern: Sein Vater wurde ermordet, die Mutter floh nach England und ließ den kleinen Raheem und seine Schwester in Jamaika zurück. Erst mit fünf Jahren vereinigte sich die Familie wieder im Vereinigten Königreich, wo Sterling unweit des Wembley-Stadions aufwuchs.
Sterling war ein verhaltensorigineller Schüler, der immer wieder negativ auffiel. Medien zitieren gerne einen früheren Nachhilfelehrer des Stürmers, der ihm prophezeit haben soll: „Wenn du diesen Weg weitergehst, spielst du mit 17 entweder für England – oder du landest im Knast.“
Raheem Sterling hat den richtigen Weg eingeschlagen, seit er im März 2012 sein Profidebüt für den FC Liverpool gab. Mittlerweile steht er bei Manchester City unter Vertrag, hat aber eine durchwachsene Saison hinter sich. Auch deshalb sahen ihn viele bei der EM nur als Joker.
Doch Raheem Sterling hat längst alle Kritiker und Skeptiker Lügen gestraft. Er ist für Teamchef Gareth Southgate, der ihm in den letzten Jahren immer das Vertrauen schenkte, unverzichtbar geworden. „Bitte stellt ihn weiter in Zweifel“, richtete Southgate der Öffentlichkeit mit einem Augenzwinkern aus. Das würde Raheem Sterling nur motivieren und zu weiteren Höchstleistungen antreiben.
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