Polens Werbeauftritt mit Pfiff

Polens Werbeauftritt mit Pfiff
Reisebericht: EM-Gastgeber Polen präsentierte sich während des Turniers als modernes, boomendes Land auf der Überholspur

Aus. Vorbei. Schlusspfiff. In Polen sind die Flutlichter ausgegangen. Mit dem Semifinale am Donnerstag ist nur noch die Ukraine im EM-Spiel.

Wie immer bei Veranstaltungen in dieser Dimension wird eine Frage gestellt: Was blieb von der EM?

Da wären einmal die Socken von Iker Casillas. Der spanische Tormann hat sie im Hotel im polnischen Dort Gniewino vergessen. Sie sollen in eine Vitrine. Ob aus touristischen oder hygienischen Gründen ist nicht bekannt.

Da wäre auch der Fußballplatz, den der Deutsche Fußballbund beim Teamhotel errichten hat lassen. Der wurde der Stadt Danzig geschenkt, die ihn Schulen zur Verfügung stellen wird.

Scherz beiseite. Polen-Witze sind angeblich sogar schon in Deutschland out. Polen durfte sich als modernes europäisches Land präsentieren. Ein ehemaliges kommunistisches, agrarisches Land, das zu einem Vorzeigeprojekt in der EU wurde.

Baustelle

Polens Werbeauftritt mit Pfiff

Ein Beispiel ist das Stadion in Warschau. Auf diesem Platz war 1955 das Stadion zum zehnten Jahrestag errichtet worden. Im Zuge des Verfalls siedelte sich dort einer der größten Basare Osteuropas an. Statt Schmuggelzigaretten und Billig-T-Shirts sah man an diesem Platz in den letzten Wochen feiernde Fans und kickende Millionäre. Das alte Stadion war abgerissen worden, ein modernes Superstadion zeigt der Welt das neue Gesicht Polens.

Das Land gleicht einer riesigen Baustelle. Polen boomt. Polen hat 38 Millionen Einwohner und ist damit auf Platz 6 der 27 EU-Länder. Im Krisenjahr 2009 schrumpften sämtliche Volkswirtschaften Europas, nur Polen machte ein Plus. Zwar nur 1,7 Prozent, aber immerhin. Polen war einst die Kornkammer hinter dem eisernen Vorhang, jetzt entstehen landauf, landab Hightech-Zentren. Wenn man nach Krakau – zwar nicht EM-Austragungsort, aber Gastgeber von drei Teams – fährt, sieht man an der Peripherie vis-à-vis der Plattenbauten funkelnagelneue Firmengebäude.

200.000 Studenten, 23 Unis und Hochschulen gibt es in der Stadt, der ein UN-Bericht weltweit die besten Werte für Investitionen in innovative Bereiche bescheinigt. Straßen werden aufgerissen, Schlaglöcher geschlossen und geöffnet. Ist vielleicht Fürst Krak wieder am Werk? Der hat angeblich einen Drachen erschlagen und dort, wo dessen Höhle war, die Stadt gegründet.

Mit dem Gespür eines Drachen sind auch polnische Politiker seit dem Beitritt zur EU im Jahr 2004 aufgetreten. Seit 2007 ist Donald Tusk Präsident. Der Liberal-Konservative hat sein Land aus dem internationalen Schmuddeleck geholt, in das es chauvinistische Schreihälse geführt hatten.

Kurswechsel

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Spätestens 2015 sollen auch Zloty und Groszy nur noch Sammlerwert haben. Dann soll Polen endgültig Euro-Land sein und nicht nur für ein paar Wochen bei der Fußball-EM.
Das Land nutzte die EM als Werbebotschaft, als Sympathie-Offensive, um alte Vorurteile der Lüge zu strafen. Es ist noch nicht so lange her, dass die deutsche Bild-Zeitung titelte: „Kaum gestohlen, schon in Polen“. Unverhohlen wurden die Nachbarn dadurch als Land der Autodiebe vernadert.

Aber nicht mehr lange, dann stehlen die Polen den Deutschen ein bisschen die Show. In der EM-Stadt Posen herrscht fast Vollbeschäftigung. Poznan ist seit dem Mittelalter zu einem wichtigen Handelszentrum im Herzen Europas. Diese Rolle behielt Posen bis heute – ganz gleich, ob Polen, Preußen, Nazis oder Kommunisten in der Stadt das Sagen hatten. Heute sind an dem Messestandort zahlreiche internationale Großunternehmen ansässig, darunter VW.

In der EM-Stadt Breslau, polnisch Wroclaw, haben sich Firmen wie IBM, Volvo und Toshiba angesiedelt. Breslau wird 2016 Kulturhauptstadt.

Da befindet sich ein Land auf der Überholspur – das wird auch im Dialog sofort klar. Die junge polnische Bevölkerung spricht dermaßen fließend und akzentfrei Englisch, dass jeder EM-Tourist sein Polnisch-Wörterbuch ebenso umsonst mitgenommen hatte wie den vollgepackten Rucksack mit Vorurteilen.

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