Alles hat ein Ende, auch die Karriere eines Fußballers. Weil es die Anatomie so will. Julian Baumgartlinger beendete im vergangenen Sommer seine Profi-Karriere nach 84 Länderspielen für Österreich, sechs Jahren als Teamkapitän, zwei EM-Teilnahmen und einer erfolgreichen Laufbahn.
Mittlerweile hat er einen Wechselpass auf die andere Seite gespielt und ist als Experte für den TV-Sender Sky tätig. Für den KURIER sprach er über die Verletzung von David Alaba, seinen Job als TV-Experte und Werte, die er seinen Kindern vermitteln möchte.
David Alaba hat sich schwer am Knie verletzt – so wie Sie vor der EURO 2021.
Julian Baumgartlinger: Ich leide mit ihm mit und war schockiert, als ich die Nachricht gelesen habe. Ich kann mich leider in seine Situation gut hineinversetzen. Ich hoffe, dass er so schnell wie möglich wieder gesund wird.
Wie sehr würde sein Ausfall bei der EM schmerzen?
Natürlich sehr. Er ist das Aushängeschild des österreichischen Fußballs und der Nationalmannschaft, auch die Gegner haben vor ihm Respekt.
Wie schätzen Sie seine Chancen auf eine Teilnahme ein?
Das kann und will ich nicht beurteilen. Da bin ich die falsche Ansprechperson.
Ihre eigene Karriere ist mittlerweile vorbei. Wie schwer war es, das eine Kapitel zu schließen und das nächste zu beginnen?
Die Entscheidung war nicht hart oder schlimm, sondern ein Prozess. Aber natürlich ist es einschneidend, weil mich der Fußball 30 Jahre meines Lebens begleitet hat.
Wie lange hat der Prozess gedauert?
Wenn man Profi-Fußballer ist, weiß man von Beginn an, dass man ein Ablaufdatum hat. Mit den Verletzungen, die dann gekommen sind, habe ich mir automatisch die ersten Gedanken gemacht und mich orientiert. Daher ist mir ein guter und flüssiger Übergang gelungen.
Bei „Sky“ waren Sie bisher Experte, Analyst und Co-Kommentator. Wo fühlen Sie sich am wohlsten?
Alle Bereiche sind sehr charmant und total unterschiedlich. Als Co-Kommentator war ich endlich wieder einmal in einem Stadion mit einem eigenen Blickwinkel aus der Vogelperspektive. Analyse ist eine Leidenschaft von mir. Wenn man, so wie ich, nicht unbedingt Trainer werden möchte, dann ist das schon wie eine Ersatzdroge.
Verstehen Sie Journalisten durch Ihren neuen Job jetzt besser als früher?
Ich habe schon während meiner Karriere die Arbeit der Journalisten wertschätzen können, habe gewusst, dass es ein Geben und Nehmen ist und eine Bühne sein kann. Als junger Spieler hatte ich bei der Austria einen Medientrainer, der uns gesagt hat, die Medien nicht als Bürde zu sehen, sondern als Plattform. So habe ich das in der Folge gehandhabt. Umgekehrt sehe ich jetzt, wie wichtig die Mitarbeit der Aktiven, der Spieler ist.
Janko und Sie bei „Sky“, Prödl und Klein bei „ServusTV“. Zufall?
Wir haben schon einmal darüber geschmunzelt, weil wir ja befreundet sind. Wir kommen aus einer Generation, die schon viel gesehen, im Ausland gespielt hat. Darüber hinaus kommt eine menschliche und rhetorische Komponente dazu. Ich glaube aber nicht, dass dies für uns alle die Endstation sein wird.
Sport Talk mit Julian Baumgartlinger
Sie machen bei der UEFA das Master-Studium. Was erhoffen Sie sich davon?
Es ist praxisnah. Es geht ums Lernen, die richtigen Fragen zu stellen, Leute kennenzulernen. Ich möchte zuhören und alles aufsaugen.
Worauf sind Sie bezüglich Ihrer Karriere besonders stolz?
Auf den ganzen Weg eigentlich. All die Jahre dabei zu sein, bis ins höhere Fußballeralter als Profi auf höchstem Niveau spielen zu dürfen. Diese Erlebnisse, die Freundschaften, die entstanden sind, die freuen mich und machen mich stolz.
Würden Sie alles wieder so machen oder gibt es Fehler, die Sie jetzt vermeiden würden?
Ganz bestimmt. Der Fußball hat sich verändert, ist schnelllebiger geworden im Laufe der Jahre. Man darf nicht mehr auf die ganz konservativen und älteren Charaktereigenschaften Wert legen, weil der Fußball brutaler geworden ist. Sich durchzukämpfen und einige negative Jahre zu akzeptieren, das würde ich heute einem jungen Spieler eher nicht mehr so empfehlen. Viel eher muss man auf sich schauen. Für mich hat aber jede Station etwas Positives gebracht.
Was war Ihr Highlight bzw. Ihre Enttäuschung?
Es gibt Meilensteine wie das erste Länderspiel, Champions League zu spielen, bei einer EM dabei zu sein, das Team als Kapitän aufs Feld zu führen. Und umgekehrt fehlen mir vielleicht die Titel, das wäre schon schön gewesen.
Hat das Timing gefehlt, zur richtigen Zeit beim richtigen Verein zu sein?
Vielleicht, das gehört dazu. Da gibt es viele Faktoren, die man gar nicht so beeinflussen kann. Enttäuschend waren am Ende meiner Karriere die vielen Verletzungen, weil ich mich immer über meine Physis und meine Unkaputtbarkeit definiert habe. Schade, das hätte ich mir anders vorgestellt.
Es fehlt eine WM-Teilnahme.
Es tut nicht weh, aber natürlich hätte ich es mir gewünscht. Auch Olympische Spiele zum Beispiel. Vielleicht schafft es jetzt die nächste Generation.
Die hat vorerst die EM vor der Brust. Was trauen Sie Österreich zu?
Auf jeden Fall die Gruppe zu überstehen, und dann mit ein wenig Losglück noch weiter zu kommen.
Jetzt ist aber die Gruppe schon sehr schwer.
Ja, aber es gibt ohnehin keine einfache, weil sich das Niveau zusammengeschoben hat. Die Qualität der Mannschaft ist sehr hoch, es ist ein versiertes Trainerteam am Werk. Daher ist es vorstellbar, dass die EM erfolgreicher wird als die letzte mit dem Achtelfinale.
Hat der ÖFB mit Ralf Rangnick ein goldenes Händchen gehabt?
Die Erfolge sprechen für sich, hoffentlich auch bei der EURO. Danach kommt der nächste Zyklus mit der WM-Quali. Ein kurzfristiger Erfolg bei der Nationalmannschaft ist zwar toll, schön wäre es, sich nachhaltig oben zu etablieren. Das Gros des Kaders ist mit einer Fußballidee groß geworden – mit dem Gründungsvater der Idee und einem absoluten Fachmann, das ist schon eine sehr gute Kombination.
Rangnick ist gelungen, was auch Foda und Koller geschafft haben. Ist die EURO nur ein Zwischenstopp, ist das große Ziel nicht wieder einmal eine WM?
Eine Kontinuität ist dem österreichischen Fußball zu wünschen. Ich bin sicher, dass Rangnick auch einen starken Einfluss in der Breite und der Jugend haben wird. Ich hoffe, dass das länger funktioniert.
Bei der Rangnick-Bestellung waren Sie noch aktiv. Hätten Sie ein Gespräch gewünscht?
Natürlich, aber das ist Schnee von vorgestern. Ich hatte zuletzt im Happel-Stadion meine Verabschiedung vor den Fans.
Sie haben einige Freundschaften im Nationalteam gefunden mit Prödl, Klein, Janko, Junuzovic, Harnik oder Physio Chris Ogris. Hat das im Profi-Geschäft Seltenheitswert?
Ja. Vor allem, dass Freundschaften lange anhalten samt der Familien. Wir haben zuletzt den 40er von Marc Janko gefeiert, sind stundenlang zusammengesessen und haben es Wert geschätzt, wie lange wir uns schon kennen. Das ist nicht normal, weil alles so schnelllebig ist. Jeder hat sein Päckchen zu tragen, jeder führt sein Leben. Freundschaften können oberflächlich sein. Das aber sind enge Freundschaften mit viel Vertrauen.
Wie sieht Ihr sportlicher Alltag aus?
Ich bin nach wie vor sehr aktiv. Nach meiner Knieverletzung habe ich eine Reha gemacht, jetzt passt wieder alles. Ich brauche den Sport, ich brauche die Auslastung, sonst werde ich unleidlich. Fitness, laufen oder Fußball. Ich freue mich schon sehr aufs Skifahren jetzt im Winter oder aufs Skitourengehen mit meinem Vater.
Werden Sie in einer Unterklasse kicken?
Kann sein, ich habe noch enge Kontakte zu Mattsee.
Wurde schon ein Vertrag vorgelegt?
Das nicht, aber ich bin oft dort. Vielleicht geht sich im Winter ein Hallenkickerl aus.
Sie haben drei Kinder. Welche Werte wollen Sie ihnen mitgeben ins Leben.
Viele, die mich während meiner Karriere begleitet haben. Der Sport ist schon eine gute Schule, wo du Tugenden brauchst, die dich erfolgreich machen, dich aber auch Toleranz lehren. Das ist elementar, damit wir als Gesellschaft nicht auseinander driften.
Es ist Ihr erstes Weihnachten seit sehr langer Zeit nicht als Profi. Ungewohnt?
Die Adventzeit war schon anders, kein Match, kein Training, mehr Zeit für die Familie. Das Fest selbst wird aber nicht anders werden. Ich war vorher schon ein Weihnachtsmensch.
Kommentare