Auf dem Weg zur Arbeit wird Michael Svoboda regelmäßig zum Touristen. Dann schaut er mit großen Augen aus dem Boot, lässt während der Fahrt ins Stadio Pierluigi Penzo einfach die Seele baumeln und all die Eindrücke auf sich wirken. Die salzige Luft des Meeres, den morbiden Charme der historischen Gebäude, die einzigartige Aura dieser Stadt. „Die Bootsfahrt zum Stadion ist immer wieder ein Erlebnis“, sagt der Wiener.
Michael Svoboda spielt dort Fußball, wo andere Menschen Urlaub machen. Venedig, Sehnsuchtsort der Liebenden, Inbegriff der Kunst und Ausgeburt des Massentourismus, ist seit vergangenem Sommer seine fußballerische Heimat. Wobei es für einen Fremden in Zeiten von Corona noch einmal schwieriger geworden ist, in einer neuen Umgebung heimisch zu werden.
„Die ersten Monate waren frustrierend“, gesteht Svoboda. Nach dem sportlichen Abstieg mit WSG Tirol hatte der 22-Jährige beim italienischen Zweitligisten Venezia F.C. angeheuert. Ohne Italienisch-Kenntnisse, ohne Auslandserfahrung, ohne den Hauch einer Ahnung, was ihn in der Serie B erwarten würde. Die ersten Wochen, in denen er nie zum Zug kam, waren für den Verteidiger eine größere Herausforderung als der torgefährlichste Gegenspieler. „Du sitzt daheim und weißt nicht, was du genau machen sollst“, erzählt Svoboda. „Du spielst nicht, die Familie ist in Wien und du bist allein da mit der Pandemie.“
Gescheiterte Legionäre
Natürlich kamen Svoboda die Schicksale früherer österreichischer Italien-Legionäre in den Sinn. Immer wieder hatten heimische Fußballer in Bella Italia den Kick gesucht, die große Erfüllung fand kaum jemand.
Aufgeben kam für ihn allerdings nie in Frage. Das würde auch nicht zu seinem Naturell passen. Michael Svoboda hat früh gelernt, sich durchzusetzen. Er hat nie eine Fußball-Akademie von innen gesehen, dafür aber einen Beruf erlernt und sich schon in jungen Jahren in der Wiener Liga und der Regionalliga Ost gegen Ältere behaupten müssen. „Ich wollte mich immer schon beweisen. Diese Erfahrungen haben mir sicher nicht geschadet.“
Bei seinem neuen Verein wurden dem Wiener aber schnell seine Defizite vor Augen geführt. „Taktisch war da so viel neu für mich, weil ich ja nie in einer Akademie war. In den ersten zwei Monaten habe ich mehr gelernt als in den letzten Jahren.“
Und mit jeder Trainingseinheit im Herbst wuchsen sein Wissensschatz und sein Selbstvertrauen, bis er schließlich Mitte November zu seinem ersten Pflichtspieleinsatz kam. Es waren zwar nur zwei Minuten gegen Schlusslicht Virtus Entella, aber Svoboda hatte endlich sein Aha- und Erfolgserlebnis.
Inzwischen hält Michael Svoboda bei 16 Saisoneinsätzen, er hat gegen Pisa sein erstes Tor in der Serie B erzielt und darf sogar noch vom Aufstieg in die oberste Liga träumen. Ein Play-off-Platz ist Venezia (aktuell Rang fünf) sicher. „Es läuft. Für meine erste Saison kann ich zufrieden sein.“
Und vielleicht war es für ihn als Fußballer gar nicht einmal das Schlechteste, dass er mitten in einer Pandemie in Venedig gelandet ist. So konnte er sich voll auf den Sport konzentrieren und war nicht abgelenkt von den vielen Nebengeräuschen, die diese Stadt normal mit sich bringt. „Ich kann auf Italienisch eigentlich fast nur die Fußball-Ausdrücke. Mein Alltags-Italienisch ist eher nicht so gut, weil ich kaum einmal Leute außerhalb des Fußballs getroffen habe.“
Leere Plätze
Wenn es Michael Svoboda, der wie die meisten seiner Teamkollegen auf dem Festland in Mestre wohnt, nach Venedig verschlägt, dann kommt er sich vor wie in einer Geisterkulisse. „Da waren keine zehn Leute auf dem Markusplatz. So leer werde ich diesen Platz nie mehr wieder erleben.“
Solche Gedanken gehen ihm durch den Kopf, wenn er mit dem Boot zu einem Heimspiel anreist, wenn die historischen Gebäude an ihm vorbeiziehen. „Ich sitze dann da, sehe mir alles an und genieße es einfach.“
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