Des Fußballs großes Theater

Über die Anziehungskraft des englischen Rekord-Champions Manchester United.

Ein Pfiff des Schiedsrichters, und es ist still. Totenstill. Nicht nur für zehn oder 20 Sekunden. Nein, eine volle Minute lang. 75.138 Fußball-Fans halten beinahe die Luft an, auf jeden Fall den Mund. Bis auf einen, der laut niest und dafür böse Blicke erntet.

Am Remembrance Sunday gibt es selbst im Theatre of Dreams für 60 Sekunden wichtigere Angelegenheiten als den Fußball. Am 10. November wurde eine Schweigeminute für die Opfer der beiden Weltkriege abgehalten. Auch vor Anpfiff des Premier-League-Hits Manchester UnitedArsenal London.

Noch ein Pfiff des Schiedsrichters, und es geht im Old Trafford so richtig ab. 72.000 Fans singen für den schlecht in die Saison gestarteten Meister, 3000 angereiste Anhänger des Tabellenführers halten dagegen.

Viele der Zuschauer hatten erst knapp vor der Schweigeminute ihre Plätze eingenommen: Auf den vielen TV-Screens in den Katakomben des riesigen Stadions war die Pleite von Erzrivale Manchester City in Sunderland zu sehen. Den TV-Millionen zu Ehren wird das Fußball-Sonntagsmenü in drei Gängen serviert: Um 12 Uhr geht es mit dem ersten Livematch los, um 14.05 Uhr läuft City ein, und ab 16.10 Uhr gibt es für den Pay-TV-Kunden den Schlager der Runde.

Der Star

„Özil will end the season for ManUnited“ hatte The Sun behauptet, doch vom deutschen Rekord-Einkauf aus Madrid ist nicht viel zu sehen. Man of the Match ist Wayne Rooney: Der Star der Hausherren ist Angreifer, Spielmacher, Antreiber und Identifikationsfigur.

In der 27. Minute legt Rooney mit einem Corner das 1:0 durch Robin Van Persie auf. Als Abwehrchef Vidic in der zweiten Hälfte verletzt fehlt, kommt Arsenal noch auf, doch das Kopftor des Niederländers wird schließlich zum Goldtor.

Im Old Trafford und danach auf den verstopften Straßen auf dem Weg zur Straßenbahn ist Robin Van Persie der meist besungene Mann. United-Fans skandieren seinen Namen zur Melodie von „Seven Nation Army“, die Arsenal-Anhänger reagieren mit Schmähgesängen, weil der Mittelstürmer von den Gunners ausgerechnet zum erfolgreichsten Klub der letzten 20 Jahre gewechselt ist.

Die Triumphe werden in Manchester vor allem mit einer Person verbunden: Sir Alex Ferguson. Tausend Fußball-Interessierte besuchen pro Tag das Stadion und das Klub-Museum. Immer noch ungläubig stehen die Fans in dem Eck, in dem die Geschichte des Champions-League-Finales 1999 mit der Last-Minute-Wende gegen die Bayern noch einmal erzählt wird. In einer Endlosschleife fallen die legendären Tore von Sheringham und Solskjær, den Besuchern treibt’s Tränen der Rührung in die Augen.

Für diese Tour der Emotionen werden 18 Pfund bezahlt. United hat kein schlechtes Gewissen, als einziges Museum der Stadt Eintritt zu verlangen. Das Gewissen des Vereins ist Sir Alex Ferguson. Am Ende der Tour hat man das Gesicht des Schotten öfter gesehen, als der Trainer Jahrestage im Amt bis zum Rücktritt im Sommer feiern durfte (27).

Die Bürde

Wie soll sein Nachfolger David Moyes bestehen können, wenn er in der Coaching Zone der größten Tribüne des Stadions entgegenblickt, die den Namen seines Vorgängers trägt? Vor dem Sir Alex Ferguson Stand steht schon zu Lebzeiten eine Statue der Legende.

Aber der bereits heftig kritisierte Moyes darf zumindest wieder hoffen: Nach dem 1:0 liegt ManUnited nur noch fünf Punkte hinter Arsenal. Ein Rückstand nach elf Runden, der unter Ferguson mit seinen spektakulären Aufholjagden nicht einmal der Rede wert gewesen wäre.

England, Spanien, Italien, Deutschland – die Ligen dieser vier Nationen geben weltweit den Ton an. Sportlich, vor allem aber wirtschaftlich. Wobei Zweiteres Ersteres bedingt: Die besten Fußballer des Globus spielen in Europa.

Rein sportlich betrachtet liegt aktuell Spanien an der Spitze vor England, Deutschland und Italien, Österreich ist in der UEFA-Fünfjahreswertung derzeit nicht zuletzt dank der Salzburger Erfolge an 14. Stelle notiert.

Rein wirtschaftlich betrachtet ist England die klare Nummer eins. Arsenal London soll ab Sommer 2014 von Puma statt wie bisher von Nike ausgerüstet werden, kolportierte 200 Millionen soll das auf fünf Jahre angelegte Engagement dem Klub bringen, es wäre der höchstdotierte Vertrag der englischen Fußball-Geschichte.

Und es bedeutet eine weitere Steigerung der Umsätze in der Premier League. Diese ist dem Annual Review of Football Finance der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte zufolge schon jetzt mit Erlösen von 2,5 Milliarden Euro pro Saison die finanzstärkste Liga Europas, es folgt die Deutsche Bundesliga (1,75 Milliarden) vor Spaniens Primera División (1,71) und der italienischen Serie A (1,55). In England werden sowohl die meisten Zuschauereinnahmen (610 Millionen Euro) als auch das meiste TV-Geld (1,3 Milliarden) lukriert, auch die 600 Millionen aus Sponsorverträgen sind Spitze.

In Spanien stammt das Gros der Umsätze von Real Madrid und Barcelona (zusammen 930 Millionen Euro), nicht zuletzt eine Folge der dezentralen TV-Vermarktung, die den beiden Großklubs das meiste Geld garantiert. Freilich haben die spanischen Klubs auch kumulierte 3,3 Milliarden Euro Schulden angehäuft, nicht zuletzt bei der öffentlichen Hand. Und die ist angesichts leerer Staatskassen derzeit bestrebt, die Außenstände wieder hereinzuholen.

Das dürfte in absehbarer Zeit dazu führen, dass sich die Kräfteverhältnisse weiter verschieben. Speziell in Deutschland gibt es zudem punkto TV-Erlöse noch viel Luft nach oben – derzeit erhält die Bundesliga nicht einmal die Hälfte dessen, was in England verdient wird.

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