Menschen zu finden, die das Wesen von Gianni Infantino erklären können, ist kein einfaches Unterfangen. Wer sich mit ihm verkracht hat, stellt seinen Namen nur ungern zur Verfügung. Und selbst die Unterstützer geben sich sehr zurückhaltend.
Am G20-Gipfel auf Bali forderte Infantino die Staatsoberhäupter auf, für eine Waffenruhe zwischen Russland und der Ukraine zu sorgen, während in Katar Fußball gespielt wird. Dabei hatte er erst kurz vorher in einem Brief die Nationalverbände dazu aufgerufen, sich nun doch bitte auf den Sport zu konzentrieren und keine Politik mehr zu machen.
Alexander Koch hat fast 17 Jahre als Sprecher bei der FIFA gearbeitet, ein Jahr davon auch unter „Gianni“, wie er Infantino im Gespräch mit dem Schweizer SonntagsBlick nennt. Koch sagt: „Gianni ist sehr autoritär, die Leute haben Angst vor ihm.“
Infantino habe sich von Beginn an nur in einem kleinen Kreis von Leuten bewegt, die er selbst ausgesucht habe, sagt Koch. „Zu allen anderen pflegt er nahezu keinen Kontakt.“
„Tschinggen“ schimpfen sie in der deutschsprachigen Schweiz die Italiener. Infantino wuchs in Brig im Wallis als Sohn italienischer Gastarbeiter auf. Er fühlt sich gemobbt. Sein schlechter Ruf, davon sei Infantino überzeugt, hänge auch mit Schweizer Fremdenfeindlichkeit zusammen.
Infantino und das Selbst-Bild
Nach dem G20-Gipfel ließ er Fotos von sich mit den Staatschefs Joe Biden, Emmanuel Macron, Justin Trudeau und Rishi Sunak an ausgewählte Medien verschicken. Die Welt sollte sehen, auf welchem diplomatischen Parkett sich der höchste Fußballer zu bewegen versteht.
Bei der WM in Russland vor vier Jahren saß er auf der Ehrentribüne, flankiert von Saudi-Arabiens Kronprinz Mohammed Bin Salman links und Russlands Präsident Wladimir Putin rechts. Viel schlechter kann ein Schnappschuss nicht altern: Im Oktober 2018 ließ Bin Salman den Journalisten Jamal Khashoggi in der saudischen Botschaft in Istanbul töten und zerstückeln. Im Februar 2022 startete Putin den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine.
Infantinos Schwester Daniela redet nicht mehr öffentlich über ihren Bruder. In der Rhone-Zeitung erzählte sie einst von einem Aufsatz, den er in der vierten Klasse geschrieben hatte. „Ich möchte Fußballprofi werden“, schrieb er. „Aber da ich nicht so talentiert bin, werde ich Advokat vom Fußball.“
So kam es. „Er war nicht der beste Jurist, aber gut in der Pflege von Beziehungen“, sagte Piermarco Zen-Ruffinen, für den Infantino arbeitete, 2018 der NZZ. Aktive Mitarbeiter reden nur gut von ihrem Boss. Der Schweizer Ex-Teamspieler Gelson Fernandes, heute FIFA-Direktor für die afrikanischen Verbände, sagte RTS: „Infantino ist ein großer Präsident. Die Schweiz sollte stolz auf ihn sein.“
„Blatter ist der bessere Mensch“, soll ein FIFA-Delegierter gesagt haben. „Aber Gianni bringt mehr Geld.“ Geld aus Katar etwa: Mit seiner libanesischen Frau und den Töchtern hat er seinen Lebensmittelpunkt mittlerweile nach Doha verschoben, eine Woche im Monat soll er noch in Zürich verbringen.
Die Machtverhältnisse haben sich verschoben. Arabisches und asiatisches Geld löst westlichen Einfluss ab. Aber immer wieder versanden Infantinos Ideen: die Klub-WM, die WM im Zweijahresrhythmus, die globale Nations League. Oder die „Fifa“-Computerspielreihe: Der Verband verlangte von Hersteller EA Sports viel mehr als die bisher jährlich bezahlten 100 bis 150 Millionen Franken. EA stieg aus und macht künftig dasselbe Spiel ohne FIFA-Branding.
„Er hat sich da völlig verzockt“, sagt einer. Infantino sieht das anders: „Das einzig richtige Spiel, jenes mit FIFA im Namen, wird das beste für die Fußballfans sein“, wird er in der Handelszeitung zitiert. Das soll in Zukunft aus dem Hause Epic Games kommen.
Aber Gianni Infantino sitzt fest im Sattel – dank des FIFA-Wahlsystems darf er sich der Wiederwahl im März sicher sein, die Meldefrist für andere Kandidaten ist längst verstrichen. Wenn er 2027 abtritt, geschieht das nur wegen der Amtszeitbeschränkung.
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