Sportphilosoph über WM: "Das Einknicken der Europäer bleibt in Erinnerung"

Sportphilosoph über WM: "Das Einknicken der Europäer bleibt in Erinnerung"
Die WM in Katar hinterlässt ein teils bitteres Erbe. Volker Schürmann von der Deutschen Sporthochschule Köln zieht ein philosophisches Fazit.

Die WM in Katar war bereits im Vorfeld heftig umstritten. Sportphilosoph Volker Schürmann von der Deutschen Sporthochschule Köln zieht im Gespräch mit dem KURIER sein Fazit und macht sich Gedanken, wie es nach der umstrittenen WM weitergehen wird.

KURIER: Der Höhepunkt der Kritik schien nach der ersten Runde für Katar und die FIFA bereits überstanden zu sein. Ist es mit Ende der WM vorbei mit der Kritik?

Volker Schürmann: Vor der WM hätte ich darauf gewettet, dass es mit Beginn der WM vorbei ist. Das war es nicht – was darauf hindeutet, dass solche Kritik nicht mehr einfach beiseite geschoben werden kann. Aber wenn es in sechs Monaten auch noch so ist, überrascht mich das. Zumal es viel zu wenig eine FIFA-Kritik war. Ich will die berechtigte Kritik an Katar nicht relativieren, aber der eigentliche Skandal ist der Umgang der FIFA mit dem Sport.

Was meinen Sie damit?

Dass die WM als Geschäft behandelt wird, so dass alles andere keine Rolle mehr spielt - oder nur noch als Beruhigungspille aus rein taktischen Gründen.

Ist die kritische Haltung gegenüber Katar und FIFA ein globales Phänomen oder haben wir da im deutschsprachigen Raum ein falsches Bild?

Nein, diese Kritik ist keineswegs ein globales Phänomen, nicht mal ein europäisches, leider. Aber es macht die Kritik an Menschenrechtsverletzungen, an Korruption, an der vollständigen Umformung einer Sportveranstaltung zu einem reinen Geschäft nicht falsch, wenn diese Kritik nicht von allen geteilt wird.

Warum war das Thema in anderen Teilen der Welt nicht so wichtig?

Das ist ja auch im deutschsprachigen Raum keineswegs einhellig. Bei all dem, was außerhalb von Europa dazu geäußert wird, muss man sicher die dort häufig gegebene koloniale Vergangenheit mitbedenken. Eine Kritik an Katar ist ja in der Tat oft mit westlicher Überheblichkeit gepaart – und da ist es doch sehr schön, wenn man darauf außerhalb Europas auch sehr empfindlich reagiert.

Sollten sich Sportstars politisch mehr äußern?

Sie sollten – wie wir alle – mehr dafür tun, dass es erst gar nicht so weit kommt, sich während einer WM politisch äußern zu müssen. Der deutsche Philosoph Hans Lenk hat vor sehr vielen Jahren bereits "Mündige Athleten und demokratisches Training" eingeklagt. Dort beginnt es, und dann sind die Ansprechpartner der eigene Verein, der Verband, die UEFA, die FIFA. Und sie sollten das nie nur allein tun, sondern miteinander und organisiert. Dafür gibt es Athletenvertretungen.

Für viele waren die Großevents in Russland, China und Katar Tiefpunkt der WM- und Olympia-Vergaben. Wird das Pendel jetzt wieder in die andere Richtung ausschlagen?

Für die Vergabe sind seitens IOC und FIFA mögliche Menschenrechtsverletzungen schlechterdings gar kein Kriterium. FIFA und IOC sind nicht mehr an dem Sportereignis interessiert, sondern daran, mit solchen „Events“ sehr viel Geld zu erwirtschaften. Genau deshalb war es schlecht, dass wir als Sportinteressierte, nicht als Staatsbürger, mehr über Russland, China, Katar diskutiert haben als über IOC und FIFA.

Wie wird die WM in Katar in Erinnerung bleiben?

Fußballerisch vermutlich mit den Mannschaften des Endspiels, Argentinien und Frankreich; damit, dass Marokko so weit gekommen ist, stellvertretend für Afrika und für arabische Länder. Vor allem aber damit, dass sich Infantino durchgesetzt hat bzw. alle Kritik an ihm abperlen konnte, und dass sich umgekehrt die europäischen Verbände blamiert haben, weil sie wegen des Tragens einer läppischen Binde, die nicht einmal eine Regenbogenfarbenbinde gewesen wäre, auf peinlichste Weise eingeknickt sind.

Es bleibt bei vielen auch der Eindruck, dass man sich mit Geld alles kaufen kann.

Das ist ja kein Eindruck, der erst jetzt entstanden ist. Diese WM hat es nur in besonders absurder Weise offenkundig gemacht. Diese Sportgroßereignisse sind ein Geschäft, nichts weiter. Das ist mehr und etwas ganz anderes als Kommerzialisierung. Kommerzialisierung ist eine Gratwanderung. Sie trägt zur Refinanzierung bei und sie bedroht die eigene Logik des Sports, denn dort ist die Refinanzierung kein Zweck, sondern ein Kollateralnutzen bei dem, worum es eigentlich geht: einen offenen, spannenden sportlichen Wettkampf auszutragen. Heutige Sportgroßereignisse sind das direkte Gegenteil. Die Verbände nutzen die Wettkämpfe und die nach wie vor vorhandene, wenn auch abnehmende Faszination des Publikums, um als Wirtschaftsunternehmen zu agieren.

Was braucht es, um für eine Kursänderung bei FIFA, IOC und anderen Verantwortlichen zu sorgen?

Ich denke, dass es eine Illusion ist, auf eine Kursänderung zu hoffen. Man müsste Organisationen wie FIFA und IOC dicht machen und von vorne anfangen. Wir werden aber ganz im Gegenteil in sehr absehbarer Zeit wieder und weiter eine öffentliche Diskussion führen, Fußballweltmeisterschaften alle zwei Jahre stattfinden zu lassen. Das quetscht den Markt nämlich, mindestens kurzfristig, noch mehr aus. Das Geschäft läuft, wenn der Ball rollt, zumindest solange Sponsoren mitspielen und das Fernsehen Millionen für Rechte ausgibt.

Buchtipp: Schürmann, Volker (2022): Fairness außerhalb des Wettkampfsports – gemessen am Wettkampfsport

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