Herbert Prohaska: Natürlich hat das bestärkt, du hast dich auf das Derby gefreut. Die heutigen Spieler können das ja nicht mehr so spüren. Die spielen drei, vier Derbys, dann wechseln sie den Verein. Bei uns war das anders. Wir haben mindestens vier Derbys im Jahr gespielt. Um das Derby für mich zu beschreiben: Ich habe bei Inter zu meiner Zeit in Mailand fünf Derbys gespielt. Fünf mal vor ca. 80.000 Zuschauern. Aber im Herzen hab ich es nie so gespürt, wie ich Austria – Rapid gespürt hab. Die Stimmung war natürlich gewaltig. Viel lauter als in Wien. Aber ich hab den Italienern immer gesagt: Das ist euer Derby, mein Derby war in Wien.
Hans Krankl: Ich kann voll und ganz beipflichten. Das Derby war das wichtigste Spiel im Jahr, hat man gewonnen, waren wir die Helden, hat man verloren, sind wir drei Tage nicht von daheim weggegangen, weil wir sonst nur gehäkelt worden wären. Es war eine gesunde Rivalität.
Wie lang brauchte es, bis Sie nach einem Derby wieder miteinander reden konnten?
Krankl: Beim Spiel hat der, der verloren hat, dem anderen sicher nicht die Hand gegeben! Angeschaut hat man sich auch nicht. Der eine war haaß, der andere in Freude. Ein, zwei Tage später war dann alles wieder erledigt. So gehört sich das auch. Aber am Spieltag selbst waren wir keine Freunde.
Prohaska: Bei mir war’s sogar so: Wenn ein guter Freund oder Familienangehöriger Geburtstagsfeier hatte, bin ich nicht hingegangen. Ich hätte ihnen die ganze Stimmung zusammengehaut, weil ich nur an das verlorene Derby gedacht hätte. Ein paar Tage daheim einsperren hat zumindest ein bisschen der Seele geholfen.
Glauben Sie, das ist heute noch so, dass ein Spieler, der verloren hat, tagelang nicht ansprechbar ist?
Krankl: Na! Glaub’ nicht.
Prohaska: Ich glaub’ es auch nicht. Ich würd es mir wünschen. Auch wenn es keine Heilung ist – du hast das Derby dann ja trotzdem verloren. Aber ich glaube, du musst es über etliche Jahre spielen, um es auch so zu spüren. Man kann diesen Spielern von heute ja keinen Vorwurf machen. Sie wissen sicher, dass es ein ganz wichtiges Spiel ist. Aber wenn du heutzutage zwei Jahre gut spielst, wechselst du den Klub und gehst nach Deutschland oder woanders hin. So kommst du nie in dieses Derbyfieber rein.
Krankl: Die Vereinstreue gibt es heute nicht mehr – und damit beziehe ich mich nicht auf die aktuell schwierige Situation (von Rapid und Austria, Anm.), sondern schon die ganzen letzten Jahre. Er ist halt der „Austrianer“ und ich der „Rapidler“. Auch wenn ich bei Vienna und Sport-Club gespielt hab. Aber das interessiert keinen, weil ich der „Erz-Rapidler“ bin und er der „Erz-Austrianer“ – und zu Recht. Weil wir über 20 Jahre bei Rapid und Austria waren. Ich von den Knaben bis zur ersten Mannschaft, mit Auslandstransfer und wieder heimkommen und später als Trainer. Diese Vereinstreue war damals einfach mehr ausgeprägt. Heute wechseln Spieler innerhalb eines halben Jahres dreimal den Klub.
Liegt das am heutigen Fußball an sich oder ist das so, weil Österreich ein Durchlaufposten geworden ist?
Krankl: Nein, das ist der Fußball an sich. Das hat sich halt aufgehört. Aber wir brauchen auch nicht übertreiben, früher waren auch nicht alle so vereinstreu wie wir. Aber bei uns zwei trifft es wirklich zu. Wir sind zwei alte Deppen, die immer Rapid und Austria waren. Heute ist es halt nicht mehr gefragt. Vielleicht soll es nicht mehr sein. Es ist vieles gut am heutigen Fußball, vielleicht besser als bei uns. Und vieles ist nicht zum Anschauen und war viel besser bei uns.
Prohaska: Ich hab’ es auch im Ausland gesehen. Zu meiner Zeit bei Inter Mailand war ich der einzige Ausländer, die 25 anderen Italiener. Und damals wäre ein Italiener nie ins Ausland gegangen. Der wollte immer nur daheim spielen. Heute gehen sie nach England, Spanien und sonst wo hin. Heute ist es fast so, dass du nur drei Italiener in einer italienischen Mannschaft hast und 25 Ausländer. So hat es sich eben alles verändert.
Könnten Sie sich vorstellen, in so einer Fußballwelt zu spielen?
Krankl: Würden wir heute spielen, wären wir vielleicht genauso. Oder auch nicht. Das kann man schwer sagen. Unsere Zeit war schön. Heute zu spielen ist nicht mehr so aufregend, weil vieles gleichgeartet ist. Wenn man an die Gagen denkt: Wir haben wirklich Peanuts verdient. Natürlich wären wir bei den heutigen Gehältern auch gern dabei. Aber unsere Zeit war so gut und so schön, dass ich persönlich nicht tauschen würde. Wir haben auch gut verdient – auf einem anderen Niveau eben.
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