Ivanschitz: "Als Junger musste ich funktionieren und liefern"
Er wirkt entspannt. Andreas Ivanschitz trägt bei herrlichem Wetter eine Sonnenbrille, kurvt gemütlich mit seinem Auto durch Prag, geleitet von einem Navi. „Ich bin nur in der Stadt, wenn Besuch kommt.“ Bis Sommer wird die Familie Ivanschitz noch in der Goldenen Stadt weilen, damit die Kinder die internationale Schule besuchen können. Wo künftig der Lebensmittelpunkt der Ivanschitz’ sein wird, hat der Familienrat noch nicht geklärt.
Derweilen schnuppert der 35-Jährige als Co-Kommentator bei DAZN in ein neues Metier. „Es macht unglaublichen Spaß.“ Ideen für den neuen Lebensabschnitt hat er viele, aber noch keine Entscheidung getroffen.
KURIER: Blicken Sie bitte in den Rückspiegel. Wie lautet die Bilanz Ihrer Karriere?
Andreas Ivanschitz: Die richtige Antwort ist schwierig. Ich habe 19 Jahre den Beruf des Profifußballers gelebt, es war für mich ein Privileg, mich täglich auf dem Platz zu befinden. Aber es gibt auch Phasen, in denen der Job ziemlich hart ist. Man muss Profi durch und durch sein über einen langen Zeitraum. Das ist die Kunst.
Also Sie sind rundum zufrieden?
Zu 100 Prozent. Ich wollte immer ins Ausland, habe in sechs verschiedenen Ländern gespielt, davon in drei den Meistertitel geholt.
Die Karriere von Andreas Ivanschitz:
Klingt nach einem erfüllten Kindheitstraum.
Fußball war für mich immer sehr wichtig, meine Familie hat mich dabei stets unterstützt, wollte aber, dass ich die Schule fertig mache. Das war auch in meinem Sinne – und dass ich es durchgezogen habe, darauf bin ich heute schon stolz. Die Musik war der dritte wichtige Faktor in meinem Leben, oft ein Ausgleich. Wenn es beim Sport stressig war, hat mich die Musik beruhigt.
Musizieren Sie heute noch?
Ab und zu setze ich mich ans Klavier. Meine Tochter spielt auch Klavier, mein Sohn Gitarre.
Wann war klar, dass Sie Fußball-Profi werden?
Als ich aus dem Burgenland nach Wien zu Rapid übersiedelt bin, da habe ich gewusst: jetzt geht es los.
Fehlt Ihnen etwas in Ihrer Vita? Vielleicht ein ganz großer Klub?
Man kann sich nicht immer alles aussuchen. Als Spieler ist man auch von vielen Faktoren abhängig. Ich hatte Träume: ins Ausland zu gehen, in Deutschland und in der spanischen Liga zu spielen – und auch weit weg von zu Hause, hinaus in die Welt zu kommen. Das ist mir alles gelungen. Natürlich kann man jetzt sagen, dass zum Beispiel Mainz, damals Aufsteiger, nicht der klingende Verein ist, jedoch habe ich dort hingepasst. Und in den vier Jahren bei Mainz waren wir stets vor Vereinen wie z.B. Stuttgart, Bremen oder dem HSV. Die Betrachtung ist relativ. Ich bin dankbar dafür, was ich erleben durfte.
In Mainz zum Beispiel Trainer Thomas Tuchel. Hat man damals schon dessen große Karriere erahnen können?
Er hatte eine Ausstrahlung und vermittelte eine Begeisterung, die uns alle infiziert hat. Er hat uns alle mit seiner Philosophie angesteckt. Jeder einzelne Spieler ist unter ihm besser geworden. Unter Tuchel hatte ich sportlich die beste Phase meiner Karriere.
Ausgerechnet in dieser Phase wurden Sie von Teamchef Constantini nicht berücksichtigt.
Das tut mir heute noch weh, weil ich wahrscheinlich in der besten Form meiner Karriere war und das damals lange Zeit im Team nicht zeigen konnte. Da habe ich über 20 Spiele versäumt, die mir einfach weggenommen wurden. Im Nachhinein sehe ich immer noch keinen Grund, warum ich nicht berücksichtigt wurde.
Ihre ganze Karriere lang gab es immer wieder Kritiker – war wirklich nicht mehr möglich?
Ich habe als junger Spieler einige Schritte übersprungen, hatte kaum Zeit zu reifen oder mich langsam zu entwickeln. Einerseits ist das ein Glück, auf der anderen Seite macht es das natürlich schwieriger.
Hat man von Ihnen vielleicht das Falsche erwartet?
Das weiß ich nicht. Ich bin mit mir absolut im Reinen, weil ich alles gegeben habe. Vielleicht, unter anderen Umständen und mit etwas Glück, hätten sich andere Transfers ergeben. Da hat vielleicht etwas gefehlt.
Auch im Nationalteam haben Sie einiges übersprungen als jüngster Kapitän. War das Fluch oder Segen im Nachhinein?
Es war beides. Ich bekomme jetzt noch eine Gänsehaut, wenn ich an damals denke: Hans Krankl hat mich beim Training auf die Seite geholt und mir gesagt: Wenn morgen unser Kapitän Thomas Flögel ausgetauscht wird, dann bekommst du die Schleife. Ich habe nur genickt, zuerst gar nichts realisiert. Aber wenig später habe ich bemerkt, welche Emotionen das in mir auslöst. Ich war wie beflügelt. Und am nächsten Tag ist das tatsächlich so eingetreten, in der 68. Minute übernahm ich die Schleife und nur zehn Minuten später habe ich mein erstes Teamtor gemacht. Das hat sich richtig angefühlt.
Und dann kam der Fluch?
Vor allem der Druck. Ich habe dann bei Negativem schon als 20-, 21-Jähriger herhalten müssen. Dafür war ich zu jung, da hast du nicht den breiten Rücken eines 30-Jährigen. Ich musste als Junger funktionieren und liefern. Ich fühlte mich ständig in der Bringschuld. Oft hatte ich ein schlechtes Gewissen nach Niederlagen, hatte keine Chance, mich zu verstecken. Umgekehrt, um es positiv zu sehen, hat man mir ja vieles zugetraut. Ich bin daran auch gewachsen.
Rapid hat Ihnen den Weg zum Profi geebnet. Sind Sie noch ein Rapidler?
Ich bin dem Verein nach wie vor verbunden und dankbar, das wird ewig so bleiben. Rapid hat mir damals als Bub die Chance gegeben.
Und dennoch sind Sie bei den Fans in Ungnade gefallen, weil Sie direkt zu Red Bull Salzburg wechselten.
Es gibt jene, die den Schritt verstehen, und die, die meinten, ich hätte direkt ins Ausland gehen sollen. Ich war damals 22 und habe mich zu diesem Schritt entschlossen, weil ich aus der Komfortzone raus wollte. Im Nachhinein betrachtet war das Kapitel Salzburg ein kurzes, das mich sportlich nicht weitergebracht hat. Ganz ehrlich, ich habe die Situation unterschätzt und nicht mit so viel Ärger gerechnet.
Wie erinnern Sie sich an das Länderspiel gegen Schottland im Hanappi-Stadion, als Sie von den Rapid-Fans regelrecht angefeindet wurden?
Auch das habe ich unterschätzt. Mit diesem Ausmaß habe ich nicht gerechnet. Extrem nahe gegangen ist mir, dass sie meine Mutter schimpften.
Wie lange hat Sie das Ganze noch beschäftigt?
Die schwierigste Phase waren die Monate danach. Ich habe den Schritt ins Ausland zu Panathinaikos ja auch gemacht, um zu all den Vorkommnissen auch eine räumliche Distanz aufzubauen. In Athen konnte ich mich auf den Fußball konzentrieren, hatte dann wieder Spaß am Beruf. Wir haben im Europacup und vor allem Champions League gespielt, das hat super gepasst, um viel hinter mir zu lassen.
Sie spielten und lebten in Athen, Mainz, Valencia, Seattle, sind noch immer in Prag daheim. Wo war es am Schönsten?
Fußballerisch war es Mainz mit dem Erlebnis Deutsche Bundesliga. Wir haben uns als Familie überall wohl gefühlt. Ich habe das Glück, eine Frau an meiner Seite zu haben, die flexibel und offen für neue Sprachen und Kulturen ist. Eine Stadt hervorzuheben ist schwer. Auch in Spanien haben wir uns sofort wohl gefühlt, das war pure Lebensfreude. Ich habe mir den Traum erfüllt, im Estadio Bernabeu gegen Real oder im Nou Camp gegen Barcelona zu spielen. Das sind Fußballtempel.
Der Titelgewinn in den USA war eine späte Krönung.
Und nicht vorhersehbar. Die Titeljagd beginnt mit den Play-offs. Wir hatten mit Seattle eine durchschnittliche Saison, kamen lange nicht auf Touren und bekamen dann zur richtigen Zeit einen Lauf. Im Finale verwandelte ich im Elferschießen dann auch meinen Penalty – dieses Gefühl bleibt ewig. Der Rucksack vor dem Elfmeter war schwer, auch der Gang vom Mittelkreis zum Elferpunkt.
Porträt: Fußballer Andreas Ivanschitz
Wie sehen Sie die USA seit Präsident Donald Trump?
Ich lese alles über Trump in den Medien, bin aber zu weit weg, um einschätzen zu können, ob sich das Leben in den USA grundlegend geändert hat.
Ist eine Karriere wie die Ihre nur möglich mit einer Frau, die zurücksteckt und sich nach dem Fußballer richtet?
Es ist sicher auch anders möglich, aber nicht für mich als Familienmensch. Ich brauche jemanden, der sich freut, wenn du heimkommst. Das hat mir immer Kraft gegeben. Dafür bin ich dankbar. Auf meine Familie konnte ich mich immer verlassen.
Und jetzt richten Sie sich nach Ihrer Frau?
Definitiv mehr, das war auch unser Deal. Ich möchte viel zurückgeben. Jetzt bin ich viel für meine Familie da, vor allem an den Wochenenden. Und freue mich auf was immer kommt.
Muss es etwas mit Fußball sein?
Nicht unbedingt, aber der Fußball wird immer ein Bestandteil sein. Vielleicht mache ich den Trainerschein. Umgekehrt habe ich schon in Start-Ups investiert wie in Playerhunter mit Manuel Ortlechner. Ein Projekt mit großem Potenzial, eine Social Media Plattform für die nächste Generation Fußballstars. Damit wäre ich wieder beim Fußball...
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