Italien-Legionär Gucher: "Will vor allem Emotionen erleben"
Eigentlich könnte sich Robert Gucher schon längst Roberto nennen. So lange wie er jetzt bereits in Italien ist. Der Steirer hat die meiste Zeit seiner Karriere im Land des vierfachen Fußballweltmeisters verbracht. "Das ist meine zwölfte Saison in Italien, mich zählen sie hier nicht mehr als Ausländer", erzählt Gucher, "das ist ein Riesenkompliment."
Nicht umsonst trägt der 28-Jährige bei seinem Verein die Kapitänsbinde. Gucher ist einer der Leader beim Traditionsverein AC Pisa, der in die Serie B zurückgekehrt ist und an diesem Freitag mit dem Heimspiel gegen Benevento die neue Saison eröffnen darf. "Man kann sich gar nicht vorstellen, was sich in dieser fußballverrückten Stadt gerade abspielt", sagt Gucher.
Der Mittelfeldspieler (*20.Februar 1991 in Graz) spielte im Nachwuchs des GAK, ehe er 2008 nach Italien zu Frosinone Calcio wechselte. Dort hatte er mit 17 Jahren bereits seinen ersten Einsatz in der Serie B. Es folgte ein kurzes Gastspiel beim FC Genua und schließlich die Rückkehr zu Frosinone. Nach einem einjährigen Abstecher nach Österreich (Kapfenberg) kehrte Gucher 2012 erneut nach Frosinone zurück und sorgte mit dem kleinen Verein danach für Furore.
Frosinone Calcio gelang der Durchmarsch von der dritten Liga in die Serie A, Robert Gucher war der Kapitän, als die Mannschaft in der Saison 2015/'16 das erste Mal in der höchsten Spielklasse mitwirken durfte, aber prompt wieder abstiegt. Gucher absolvierte insgesamt 24 Partien in der Serie A und wechselte im Winter 2017 zu Vicenza in die Serie B. Seit Sommer 2017 steht der 28-Jährige bei AC Pisa unter Vertrag, in 85 Partien hat der zentrale Mittelfeldspieler sechs Tore erzielt.
Und der gebürtige Grazer hat in seiner Karriere schon einiges an Fanatismus erlebt. Etwa als ihm mit Frosinone Calcio, einem kleinen Verein aus der Provinz Latium, 2015 der Durchmarsch von der dritten Liga in die Serie A gelang. Bereits dort hatte der Österreicher das Team als Kapitän angeführt.
Mit der aktuellen Euphorie rund um AC Pisa ist das allerdings nicht zu vergleichen. Der Klub aus der Toskana kann auf etliche Saisonen in der Serie A und einige teils namhafte Akteure zurückblicken: Diego Simeone (heute Trainer von Atletico Madrid) trug genauso das Trikot der Schwarz-Blauen wie Ex-Juve-Erfolgscoach Massimilano Allegri oder auch der brasilianische Weltmeister Carlos Dunga. "Den Leuten in dieser Stadt bedeutet es extrem viel, dass der Verein jetzt zumindest wieder in der Serie B spielt", weiß Robert Gucher, "AC Pisa hatte in der dritten Liga nichts verloren."
In der Vergangenheit trugen einige prominente Spieler und heutige Persönlichkeiten das Trikot von AC Pisa (gegründet 1909).
Massimiliano Allegri: Der 52-Jährige ist einer der erfolgreichsten Trainer in der italienischen Geschichte. Er wurde 2011 mit AC Milan Meister und führte zuletzt Juventus Turin zu fünf Meistertiteln in Folge. Dazu stand er mit den Turinern zwei Mal im Champions League-Finale. Aktuell ist Allegri ohne Job.
Diego Simeone: Der Argentinier spielte von 1990 bis 1992 bei Pisa. Simeone ist seit 2011 Erfolgscoach von Atletico Madrid und gewann in dieser Zeit den spanischen Meistertitel und zwei Mal die Europa League.
Carlos Dunga: Der Brasilianer spielte eine Saison in Pisa und führte die Selecao 1994 zum WM-Titel. Sechs Jahre lang trainierte er die brasilianische Nationalmannschaft.
Marco Tardelli: Der Mittelfeldspieler begann seine Profikarriere in Pisa und genießt heute in Italien Legendenstatus. 1982 gehörte er dem Weltmeister-Aufgebot an und gewann mit Juventus Turin den Landesmeisterpokal.
Christian Vieri: Der Angreifer ging in der Saison 1992/'93 für Pisa auf Torjagd und stand später bei zahlreichen Topvereinen wie Juventus Turin, Lazio Rom, Inter Mailand oder Atletico Madrid unter Vertrag.
Die Erlebnisse der vergangenen Wochen haben Gucher noch einmal mehr darin bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war, 2017 freiwillig in die Serie C zu gehen. Viele konnten diesen Schritt nicht nachvollziehen, zumal ihm damals auch Angebote aus höheren Ligen vorgelegen waren. "Man muss im Leben auch einmal Dinge machen, die vielleicht nicht immer verständlich sind", sagt Robert Gucher nur. "Die Frage ist: Will man bei einem Klub in der Serie A oder Serie B unter Vertrag stehen ohne dort zu spielen, oder will man etwas mitgestalten und entstehen lassen?"
Nach einem Jahrzehnt in Italien hat der Steirer für sich die Antwort längst gefunden: "Ich will vor allem Emotionen erleben. Diese Gefühle sind unbeschreiblich und extrem viel wert. Ich weiß, was es heißt, in einem Fußballland wie Italien in die höhere Liga aufzusteigen."
"Es läuft alles in die richtige Richtung"
Als AC Pisa das Entscheidungsspiel um den Aufstieg bestritt, wurde das Team von 6000 Tifosi ins knapp 500 Kilometer entfernte Triest begleitet. Am Ende war es Kapitän Robert Gucher vorbehalten, mit seinem Tor in der Verlängerung die Rückkehr in die zweithöchste Spielklasse zu fixieren. Beim nächtlichen Empfang daheim war dann halb Pisa auf den Beinen.
In der Serie B sind der allgemeinen Euphorie nun allerdings Grenzen gesetzt. Das Stadion in Pisa, die ehrwürdige Arena Garibaldi, verdient sich diesen Namen nur auf dem Papier. "Normalerweise würden ja 20.000 Leute kommen, aber aus Sicherheitsgründen sind bei weitem nicht so viele Fans zugelassen", weiß Robert Gucher. Immerhin verfolgt der Klubchef ambitionierte Pläne: Der Bau eines neuen Stadions gilt als beschlossene Sache, mittelfristig will der Verein wieder in der Serie A am Ball sein. "Es läuft alles in die richtige Richtung", sagt Gucher.
Das war nicht immer so. In seiner ersten Saison in Pisa 2017/’18 hatten teils chaotische Zustände geherrscht. "Man hat 25 neue Spieler zusammengekauft, es gab drei Trainerwechsel", erinnert sich der Steirer. Auch das Verhältnis zu den Fans war nicht so unbeschwert wie jetzt. "Die Ultras sind schon einmal in der Kabine gestanden und haben dann richtig aufgedreht. Aber wenn es positiv läuft, tragen sie dich dann auf einer Welle."
Robert Gucher macht daher privat meistens einen großen Bogen um Pisa. Auch weil die Touristen die Stadt und die Sehenswürdigkeiten belagert haben. Der Schiefe Turm steht in Sichtweite des Stadions, "dort ist es unerträglich", verrät Gucher, der an der Küste in Viareggio lebt. "Ich fühle mich hier wirklich daheim."
Und sollte die Sehnsucht nach Österreich und Graz, wo die Freundin lebt, doch einmal zu groß werden, dann muss Robert Gucher nur ins Stadion gehen und den Fangesängen lauschen. Die Pisa-Ultras pflegen seit Jahren eine Freundschaft mit den Anhängern von Sturm Graz. "Unsere Fans singen deshalb sogar Lieder auf deutsch."
Kommentare