In der Corona-Krise: Tote statt Tore im Fußball-Zauberland

In der Corona-Krise: Tote statt Tore im Fußball-Zauberland
Während Strandkickerln verboten sind, ist ein riskanter Start der Top-Liga mit neuem Red-Bull-Klub geplant

Mit seinem unerschöpflichen Reservoir an Ballkünstlern gilt Brasilien als Exportland Nummer 1 im Sport. In der Fußball-Weltrangliste ist Brasilien (hinter Belgien und Frankreich) zur Zeit die Nummer 3. Doch abseits des Sports festigt Brasilien einen traurigen Platz 2.

Nur in den USA zählt man noch mehr Corona-Fälle. Prominentester Infizierter ist der Trump von Südamerika – Staatspräsident Jair Bolsonaro, der Corona stets bagatellisiert und sich demonstrativ ohne Maske hautnah unter seine Anhänger gemengt hatte. Ginge es nach ihm, dem Palmeiras-Fan, hätten die Kicker nie pausiert.

„Aber die meisten Menschen denken anders. Sind viel vorsichtiger. Und die Regionalliga-Regierungen sind es sowieso“, berichtet der seit 2009 in São Paulo lebende österreichische Fußballlehrer Markus Schruf, Vermutungen dementierend, wonach es die Brasilianer mit den Corona-Maßnahmen zu locker nehmen. „Auch die Ärmsten im Land wollen nicht krank sein.“

Der ehemalige Austria-Nachwuchsleiter hatte zwei Saisonen lang die Red-Bull-Fußball-Dependance Brazil aufgebaut und dort den nunmehrigen Salzburg-Profi Ramalho schätzen gelernt, ehe sich der Niederösterreicher selbstständig machte, Trainer eines Zweitligisten wurde und eine eigene Fußball-Akademie gründete. Letztere umfasst mittlerweile quer durchs Riesenland 3.500 Talente, bei denen in Kooperation mit bis zu 35 Schulen auch auf Lernerfolg abseits des Fußballplatzes geachtet wurde. Seit einem haben Jahr ruht pandemiebedingt überall der Betrieb.

FUSSBALL ÖFB-CUP / HALBFINALE: FC RED BULL SALZBURG - LASK LINZ

Auch Strandkickerln waren und sind von Recife bis Rio nirgendwo erlaubt, sagt Schruf, der sich ab 21. März mit seiner brasilianischen Familie freiwillig in Quarantäne begab. Die Polizei sei nicht nur einmal ausgerückt, um bewegungshungrige Jugendliche von der Copacabana zu vertreiben. Meisterschaftsfußball habe es, so Schruf, von Nord bis Süd, von Regional- bis zum Profibereich heuer noch nicht gegeben.

São Paulo wie Salzburg

Am 8./9. August aber soll Brasiliens Top-Liga (obwohl Botafogo Bedenken anmeldet) die Postcorona-Meisterschaft starten. Ohne Zuschauer und mit einer Premiere: Zum ersten Mal darf das Red-Bull-Fußball-Imperium in Brasiliens höchster Liga mitwirken und somit auch Meister Flamengo fordern, nachdem im Vorjahr der São-Paulo-Vorstadt-Klub Bragantino im Namen der Dose übernommen wurde. Red Bull Brazil spielt hingegen weiterhin in einer der zweiten Leistungsstufe zugeordneten Profi-Liga von São Paulo. Eine Parallele zu Fußball-Österreich, wo mit Salzburg und Liefering ebenfalls zwei Red-Bull-Teams aus einer Region in zwei Ligen spielen. Nur mit dem Unterschied, dass São Paulo 22 Millionen und Salzburg 157.000 Einwohner hat.

Auch was das Überbrücken matchloser Fernsehwochen betraf, gab es Ähnlichkeiten. zwischen klein und groß. Wie vom ORF wurden von Brasiliens TV-Konzernen (allein O Globo verfügt über 15.000 Beschäftigte) an Entzugserscheinungen leidende Fans mit Schätzen aus dem Archiv beglückt. Wobei Brasiliens Fußball etliche Höhepunkte mehr aufzuweisen hat. Auch negative.

Vor 70 Jahren hatten sich Fans aus Verzweiflung über Brasiliens Finalniederlage gegen Uruguay vom obersten Tribünenrand des Maracanã-Stadions in die Tiefe gestürzt.

50 Jahre sind’s her, seit erstmals eine WM weltweit in Farbe zu sehen war, seit Brasilien mit einem überragenden Pelé und einem 4:1 gegen Italien in Mexiko City Weltmeister wurde. 1994 in den USA (gegen Italien im Elferschießen) und 2002 in Japan (gegen Deutsche, deren davor so stark gewesene Tormann Oliver Kahn patzte) holten die Zauberer vom Zuckerhut erneut den Titel.

2014 gelang Deutschland eine sporthistorische Revanche. Indem die Brasilianer bei ihrer Heim-WM von Joachim Löws Team mit 7:1 deklassiert wurden. Worauf ganz Brasilien in Depression versank, Zeitungen Todesanzeigen glichen und Radio-Reporter nur noch hysterisch herumwarfen mit Ausdrücken wie Drama, Tragödie, Untergang.

58.141 Menschen waren damals vor Ort Augenzeugen gewesen. Mittlerweile beklagt Brasilien 10.000 mehr Corona-Tote als der Schauplatz des 1:7, das Stadion von Belo Horizonte, Zuschauer fasst. Das ist die wahre Tragödie.

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