Goldtorschütze Gregoritsch: "Fühle mich nicht als Held der Nation“
Gregoritsch im Moment der Ekstase
Mit seinem Tor zum 1:1 gegen Bosnien-Herzegowina am Dienstag in der 77. Minute hat Michael Gregoritsch Österreich zum ersten Mal seit 28 Jahren zu einer Fußball-Weltmeisterschaft geschossen. Wie er seinen großen Moment verarbeitet hat, wie angespannt das Team war und was nach der WM kommt.
KURIER: Wie fühlt es sich mit ein wenig Abstand an, Österreich zur WM geschossen zu haben?
Michael Gregoritsch: Noch immer sehr sehr gut. Es war eine wunderschöne Nacht. Generell, für alle. Dass ich das Tor machen durfte, ist außergewöhnlich.
Ist Ihr Handy übergegangen vor Glückwünschen?
Das ist es, obwohl ich mir immer wieder bewusst Zeit genommen habe, um es komplett wegzulegen. Ich habe auch nicht allen antworten können, obwohl mir das wichtig ist. Mir war aber vor allem wichtig, dass es nicht zu viel wird, für mich selber, weil jetzt trotzdem der Alltag weitergeht und ich nicht im Urlaub bin.
Haben Sie seit Mittwoch etwas von ihren Teamkollegen gehört?
Mit Christoph Baumgartner habe ich telefoniert. Wir haben uns noch einmal gesagt, wie schön es war, das erlebt zu haben. Aber im Grunde habe ich versucht, so gut wie möglich im Alltag zu bleiben.
Sie sind mit 31 Jahren ein Routinier. Wie hätte der 21-jährige Michael Gregoritsch diesen Erfolgsmoment verarbeitet?
Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass ich Erfolge gut verarbeiten kann. Obwohl ich so einen Moment noch nie erlebt habe. Aber ich hoffe, dass ich es vor zehn Jahren auch schon so geschafft hätte.
Sie sehen sich also nicht als Held einer ganzen Fußballnation?
Nein. Es ist sehr schön, ein Riesenteil dieser Geschichte zu sein und derjenige zu sein, der das Tor gemacht hat. Aber ich sehe mich nicht als Held der Nation.
Nach dem Sieg auf Zypern haben viele gehofft, dass das reichen wird. Als aber drei Stunden später Bosnien Rumänien besiegt hat und klar war, dass es zu einem Entscheidungsspiel kommen wird, haben Sie und Ihre Kollegen dreing’schaut, als ob ...
... als ob wir ausgeschieden wären!
Exakt. Was ist danach passiert, dass die Mannschaft den Fokus zurückgewonnen hat?
Unser Fokus ist Richtung Spiel immer sehr hoch. Diesmal war aber so ein Knistern zu spüren, das wir nur bei der EM hatten. Und es gab noch einen spannenden Moment.
Und der war wann?
Wir sind nach dem Nachtflug aus Zypern um 5 Uhr früh ins Bett gefallen. Und um 12.30 hat sich die halbe Mannschaft, also alle, die nicht voll gespielt haben, freiwillig zum Spielersatztraining gemeldet. Ich hab’ mir gedacht: Sind die nicht ganz dicht? Und alle, die gespielt haben, haben im Hotel ein Regenerationstraining gemacht. Es war schnell klar: Jeder tut jetzt alles, damit wir erfolgreich sind.
Wer ist in diesen zwei Tagen als Leader vorangegangen?
Das war eine extreme Gruppendynamik. Natürlich haben wir Spieler im Team, die immer wieder vorangehen. Aber wir haben mittlerweile so viele g’standene Nationalspieler, dass jeder einzelne seinen Teil dazu beigetragen hat.
Marko Arnautovic hat am Tag vor dem Spiel so fokussiert gewirkt wie nie zu vor.
Es wurde ja viel darüber geschrieben, dass diese WM die letzte Chance für viele ist. Für manche Routiniers würde sich mit ein bisserl Fantasie ja danach noch eine ausgehen. Aber Marko ist 36 und es war zu 100 Prozent klar, dass es keine Chance mehr geben wird. Das hat man bei ihm schon gespürt.
Hat es einen Moment gegeben, vielleicht während der ersten Halbzeit, in dem Sie gedacht haben: ’Das könnte jetzt eng werden’?
Nein. Ich hab’ in meinem Leben – an einer Hand abzählbar – Spiele gehabt, wo ich gespürt habe: Heute fühl’ ich mich so sicher, ich weiß, heute passiert irgendwas.
Sagen Sie jetzt nicht, Sie hätten gespürt, dass Sie Österreich mit einem Tor zur WM schießen.
Nein, bitte! Aber ich war mir sehr sehr sicher, dass wir dieses Spiel erfolgreich gestalten können.
Trotz des Rückstandes?
Ja. Natürlich hat nicht alles funktioniert. Aber so, wie wir es angegangen sind, wie wir uns in die Zweikämpfe geschmissen haben und uns vor der Pause noch erholt haben, war das für mich immer spürbar.
Sie sind mit 17 Toren der Toptorschütze der Ära Rangnick. Welchen speziellen Zaubertrank hat denn der Teamchef für Sie?
Ich weiß auch nicht, warum ihr immer schreibt, wir hätten ein Stürmerproblem. (Lacht). Spaß beiseite: Er gibt mir ein extrem großes Gefühl von Sicherheit und Vertrauen. Ich habe auf einem extrem respektvollen Niveau eine innige Beziehung zu ihm, wo ich weiß: Da gibt’s jemanden, der fördert mich extrem, fordert aber auch sehr viel. Und dazu kommt: Durch unseren angriffigen Spielstil komme ich zu vielen Torchancen.
Apropos Torchancen: Nach der 0:1-Niederlage in Rumänien haben Sie sich im TV-Interview über eine kritische Frage beschwert. Zitat: „Man muss aufhören, zu glauben, dass wir immer 15 Torchancen haben.“ Ist die Erwartungshaltung in Österreich zu hoch?
Es war ein Auswärtsspiel gegen einen Gegner, der seine letzte Chance auf ein WM-Ticket gewittert hat. Wir wünschen uns ja auch in jedem Spiel viele Chancen und 20 Siege in Serie. Aber ich bleibe bei meiner Aussage. Es ist nicht immer möglich und wir dürfen nicht vergessen, wo wir herkommen. Obwohl es natürlich schön ist und ein Kompliment für uns, wenn die Erwartungshaltung hoch ist.
Welche Hausaufgaben hat das Team bis zur WM zu erledigen? Wo sollte man besser werden?
Wir Spieler auf dem Platz müssen darin besser werden, ein Spiel zu lesen. Dass wir auch einmal weiter hinten pressen, wenn es ganz vorne nicht geht. Die meisten Themen haben wir aber sicher im Ballbesitz, wenn sich der Gegner zurückzieht und nur den Strafraum verteidigt. Damit sind wir aber auch nicht alleine, das Thema haben viele Mannschaften auf der ganzen Welt. Daran können wir aber sicher schon im März arbeiten.
Was kann jeder einzelne Spieler tun, um zum WM-Start im Juni in bester Verfassung zu sein?
Jeder Spieler ist anders und deshalb ist das auch jedem selbst überlassen, was er tut, um körperlich und mental in bester Verfassung zu sein. Es ist ein extremer emotionaler Stress, dorthin zu fahren und eine WM zu spielen. Unser Vorteil ist, dass jetzt viele von uns schon eine EM gespielt haben, manche zwei oder sogar drei.
Was wünschen Sie sich für diese Weltmeisterschaft?
Dass wir eine K.o.-Phase überstehen. Und dass wir eine schöne neue Geschichte schreiben.
Marko Arnautovic hat bereits verkündet, dass er nach der WM nicht mehr im Team spielen wird. Bei David Alaba vermutet man Ähnliches. Sie werden im April 32, wie sieht’s denn mit Ihnen aus?
Für mich ist klar: Wenn das Nationalteam ruft, werde ich verfügbar sein. Ich werde nicht aus der Nationalmannschaft zurücktreten, solange ich Fußball spiele. Niemals.
Wird Österreich auch nach der WM eine schlagkräftige Truppe haben?
Ja, zu hundert Prozent.
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