Oliver Glasner: "Das gibt's doch nicht in einem reichen Land wie Österreich"
Seit Februar ist Oliver Glasner Trainer in der Premier League. Crystal Palace, einen Traditionsklub aus dem Süden Londons, führte der 50-Jährige zunächst mit einem fulminanten Finish mit sieben Siegen in acht Partien zum Klassenerhalt. Die neue Saison gestaltet sich intensiv – gerade rund um Weihnachten, wo in England wie immer durchgespielt wird.
KURIER: Was bedeutet Weihnachten für Sie?
Oliver Glasner: Ein Fest und Zeit für die Familie. Dieses Jahr ist es erstmals anders. Es bleibt wenig Zeit für die Familie, die zwar in London ist über die Feiertage, aber sich nach meinem Spiel- und Trainingsplan richten muss.
Wie sieht der aus?
Training am 24. und 25. Dezember, Spiele am 26. und 29. und am 4. Jänner. Frei ist nur am 31. Dezember.
Sind sie großzügig, was Geschenke anbelangt?
Mir ist wichtig, dass wir schätzen, was wir haben und dass ich immer wieder darauf hinweise, dass wir ein sehr privilegiertes Leben führen. Das schönste Geschenk muss nicht das sein, das am meisten kostet. Zum 50er habe ich von meiner Frau einen Halsketten-Anhänger mit einem Bild unserer drei Kinder bekommen, die ich jetzt immer bei mir trage. Die immaterielle Bedeutung ist viel schöner.
Was wünschen Sie sich?
Nur, dass wir gesund bleiben, meine Familie und ich. Alles andere haben wir mehr oder weniger selbst in der Hand. Wobei wir ja auch die Gesundheit zum Teil in der Hand haben. Man kann schon auf sich schauen.
Tun Sie das?
Ich achte auf eine sehr ausgewogene Ernährung, da bin ich hier aber auch verwöhnt, weil ich im Trainingszentrum mindestens zweimal am Tag gesund esse. Ich versuche auch, vier bis sechs Mal die Woche Sport zu machen.
Das ist schon recht viel.
Auch da habe ich hier herrliche Voraussetzungen. Ich verbringe gerne 30 bis 45 Minuten im Gym, bevor ich am Abend nach Hause gehe. Ich schau’, dass ich hin und wieder Tennis oder Padeltennis spiele und das eine oder andere Mal auch Golf. Der Stress lässt sich dennoch nicht immer vermeiden.
Dann bleiben wir beim Sportlichen: Die letzte Saison ist mit sechs Siegen in sieben Partien grandios zu Ende gegangen für Ihre Mannschaft. Jetzt fragen viele: Wieso ist es in der neuen Saison einige Zeit lang so holprig verlaufen?
Mir war klar, dass es nicht so weitergehen wird. Mit dem Start waren wir unzufrieden, trotzdem sind wir ruhig geblieben, weil wir die Dinge erklären konnten. Wir hatten zwölf Spieler ohne Vorbereitung, sieben davon waren in diversen Finalspielen, sei es EM, Copa America oder Olympia, die frühestens zehn Tage vor dem Ligastart bei uns ins Training eingestiegen sind. Wir haben am letzten Tag der Transferzeit, also zwei Wochen nach Ligastart, vier Spieler verpflichtet. Dadurch waren wir am Anfang einfach physisch nicht auf der Höhe und bis wir unsere Spielidee transportiert haben, hat es einfach gedauert.
Und jetzt ist man seit fünf Partien ungeschlagen.
Die Spieler sind jetzt fit, das sehen wir anhand der Daten. Somit können wir auch sehr intensiv spielen, was wichtig ist. Gewisse Abläufe werden immer besser, der Weg stimmt.
Sie stehen für diesen intensiven Stil. Gab es in den schwierigen Wochen einen Zeitpunkt, an dem Sie Prinzipien über Bord werfen mussten, um erfolgreich zu sein?
Das hätten wir vielleicht, wenn wir gesehen hätten, dass es mit unseren Spielern nicht funktioniert. Aber das Gegenteil war der Fall. Wir haben gesehen, dass es funktioniert, nur dass wir es noch nicht über die vollen 90 bis 100 Minuten durchhalten. In den Phasen, in denen wir unsere Prinzipien auf den Platz bekommen haben, waren wir immer gut im Spiel. Daher war klar: Diesen Weg gehen wir weiter.
Privat
Geboren 1974 in Salzburg, verheiratet mit Bettina. Das Paar hat zwei Söhne (22, 19) und eine Tochter (14).
Spieler
Mit Ausnahme einer Saison (2003/’04 beim LASK) spielte er in seiner Karriere nur bei der SV Ried, mit der er 2 x Cupsieger wurde.
Trainer
Start als Co-Trainer von Roger Schmidt in Salzburg. Danach Chefcoach bei Ried, LASK, Wolfsburg, Frankfurt und seit Februar bei Crystal Palace.
Wie sehr haben sich Ihre Prinzipien verändert im Laufe Ihrer Trainerkarriere seit dem Start in Salzburg als Assistent von Roger Schmidt?
Es gibt ein paar Dinge, die sind nicht verhandelbar. Die Mannschaft steht immer an erster Stelle, das Ego hinten anstellen. Immer gegenseitig unterstützen, egal ob mit dem Ball, gegen den Ball oder mental. Ich hoffe, dass ich mich persönlich weiterentwickelt habe und darauf eingehen kann, was zu meiner jeweiligen Mannschaft passt. Es ist ja ein Wunschszenario, dass man nur Spieler hat, die genau das können, was man als Trainer spielen will.
Und was wollen Sie jetzt mit Crystal Palace spielen?
Am Anfang meiner Trainerkarriere habe ich mehr Angriffspressing gespielt als jetzt. Du kannst oft gegen den Ball alles richtig machen und der Gegner befreit sich trotzdem, weil er sechs Mal mit einem Kontakt spielt und dein Pressing ins Leere läuft. So passt man es an, presst in anderen Zonen, ohne aber dabei Prinzipien zu verlieren.
Gab es nach dem schlechten Saisonstart im Klub Enttäuschung? Oder was war der Ausdruck dessen?
Die Folge war, dass ich viel mehr gegrübelt habe. Etwa, ob man den Spielern mehr oder weniger Input gibt. Wenn aber die Festplatte voll ist, dann hilft es nichts, wenn du noch was reinklopfst. Die Rückmeldung der Fans war immer positiv, im Verein war es auch immer konstruktiv. Die größte Unzufriedenheit war bei uns Spielern und im Trainerteam. Da haben wir aber den Grundsatz: Je schwieriger es wird, desto mehr halten wir zusammen.
Wie steht es um die Zusammenarbeit mit den Medien und dem Boulevard?
Ich lese seit Monaten keine Zeitungen. Sorry, aber ich weiß, wie viel Nonsense geschrieben wird und mir reicht es, wenn es meine Familie liest und ich die dann von der Wahrheit überzeugen muss.
Wie oft kommt das vor?
Ich behaupte, dass 80 Prozent dessen, was über mich geschrieben wird, nicht stimmt. Wenn man das alles liest und sagt, es beeinflusst mich nicht, würde das nicht stimmen. Ich versuche, das Weltgeschehen mitzuverfolgen, aber sonst lese ich nichts. Und das ist jetzt keine Kritik.
Sondern?
Früher war es so, dass ihr irgendwann am Abend Redaktionsschluss hattet. Wenn dann am nächsten Tag in fünf Zeitungen das gleiche gestanden ist, wusste man: Okay, da haben mehrere Journalisten einen Tag lang recherchiert und sind zur selben Geschichte gekommen. Heute schreibt ein Medium online eine Geschichte und 50 Mal passiert copy and paste. Der Leser denkt: Wenn das 50 Mal wo steht, wird es schon stimmen. Aber die Geschichte ist nicht 50 Mal recherchiert worden. Ihr habt ja gar nicht mehr die Zeit, zu recherchieren, weil ihr fünf Schlagzeilen am Tag liefern müsst.
Der Zeitdruck ist tatsächlich gestiegen. Aber haben Sie ein konkretes Beispiel?
Es hat ein Medium einen völligen Schwachsinn über mich verbreitet, kurz danach ist es überall gestanden und dann war es die mediale Wahrheit. Meine Mutter hat mich angerufen, ich habe ihr gesagt, dass es ein Blödsinn ist, doch sie meinte: ’Aber wenn es doch überall steht.’
Deshalb haben Sie aufgehört, zu lesen?
Richtig. Ich bin so ein Gerechtigkeitsfanatiker und muss mich ärgern, wenn etwas geschrieben wird, was nicht stimmt. Und dann habe ich immer diesen Drang, alles richtigstellen zu müssen. Damit hältst du die Story aber wiederum am Leben. Deshalb habe ich mich ausgeklinkt und es geht mir damit besser.
Ein Journalist soll Sie unlängst nach einem Spiel bei der Pressekonferenz ganz unverblümt gefragt haben, ob sie nun mit diesem Sieg ihren Job gerettet hätten.
Da bin ich völlig offen. Es gibt auf der Welt viel Schlimmeres, als ob Oliver Glasner einmal seinen Job verlieren würde. Es muss sich keiner Sorgen um mich machen und ich habe mir auch nie welche gemacht, sondern ausschließlich darüber, wie wir das Werkl zum Laufen kriegen.
War die englische Sprache eine große Umstellung?
Nein, ich habe schon zuvor gut Englisch gesprochen und in Frankfurt meine Ansprachen auf Englisch gehalten, weil wir 16 Nationalitäten in der Kabine hatten. Martin Hinteregger sei Dank.
Warum denn ihm?
Ich habe zunächst Deutsch gesprochen und dann selbst übersetzt. Er ist dann einmal gekommen und hat gemeint: „Oliver, es versteht eh’ jeder Englisch, mach’ es doch nur auf Englisch, dann dauert es nicht so lang.“ Da ist er sehr ökonomisch, der Martin.
Haben Sie die Stadt London schon genießen können?
In der Regel bin ich zehn bis zwölf Stunden täglich hier am Trainingsgelände. Danach bin ich oft froh, auf der Couch zu landen. Aber ich nutze die Möglichkeiten schon, London ist großartig. Im Sommer war ich beim Tennis in Wimbledon und vorige Woche habe ich selbst dort gespielt. Da hat man mir auch vorgeschrieben, ganz in weiß zu spielen und beim Dinner danach waren Sakko und Krawatte Pflicht. Das war schon cool. Zuletzt habe ich einen Vortrag vor Studenten über Leadership gehalten. Erstmals auf Englisch, das ist auch wieder eine Bereicherung. Aber auch kulturell gibt es einiges und ich war auch schon im Musical.
Wie bewegen Sie sich fort?
Mit dem Auto fahr ich nur zum Training. In die Stadt ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Unerkannt?
In Frankfurt, gerade nach dem Europa-League-Sieg, war das nicht mehr möglich. In London mit zehn Millionen Einwohnern aber schon vorwiegend. Diese Anonymität genieße ich.
Kaum noch unerkannt in Österreich bewegen kann sich Ralf Rangnick. Er hat Sie ja vor elf Jahren dazu animiert, Trainer zu werden. Wie beurteilen Sie sein Werk als Teamchef?
Großartig. Bei der EM war Österreich von der Struktur her eine der besten Mannschaften, das hat mich beeindruckt. Aber die Begeisterung für die Nationalmannschaft ist für mich die größte Errungenschaft seiner Arbeit. Die ist sehr wichtig für den Sport im Allgemeinen. Aber jetzt muss ich schon wieder aufpassen, was ich sage.
Warum denn das?
Damit es nicht heißt, ich kritisiere die Politik oder gewisse Parteien. Aber ich finde, dass der Sport in Österreich eine viel zu geringe Wertschätzung genießt. Das Grundthema war, als vor ein paar Jahren die tägliche Turnstunde nicht zustande gekommen ist. Politisch war es, warum auch immer, nicht durchsetzbar. Wir hauen Förderungen raus bis zum geht nicht mehr, aber für die Entwicklung unserer Kinder haben wir plötzlich kein Geld für zusätzliche Lehrkräfte oder Räumlichkeiten. Das gibt es doch nicht in so einem reichen Land wie Österreich. Und deshalb kann jeder Erfolg im Sport, bei dem die Bevölkerung so mitlebt, eine sehr positive Auswirkung auf unsere Gesellschaft haben.
Sollte Ralf Rangnick eine Art Vollmacht erhalten vom ÖFB, um alles auf Vordermann zu bringen?
Ich weiß nicht, ob der Ralf eine Vollmacht braucht. So wie ich ihn kenne, macht er sowieso, was er für richtig hält. Wenn er merkt, dass er nicht bewegen kann, was er bewegen möchte, dann lässt er es bleiben. Er lässt sich von niemandem den Mund verbieten. Das wird vielleicht dem einen oder anderen nicht so passen, aber ich glaube, dass es für Fortschritt und Entwicklung wichtig ist, dass es jemanden gibt, der eine kritische Stimme äußert.
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