Wie man am besten zu einem historischen Fußball-Trikot kommt
Retro boomt – auch bei den Fußball-Fans. Wer ein Original von früher haben will, muss tief in die Tasche greifen. Bei Kopien heißt es, vorsichtig zu sein
Ruud Gullits oranges EM-Trikot von 1988 mit schnittigem 3-D-Muster (Bild oben), Philipp Lahms schwarz-rot-geiles Sommermärchen-Leiberl von 2006 und natürlich Hans Krankls knallrotes 78er-Córdoba-Dress mit weißem Kragen: Wer möchte nicht gerne Besitzer dieser prägenden Exponate der Fußball-Historie sein?
Das Internet macht es längst möglich, sich solche Trikots aus glorreichen Tagen direkt nach Hause zu holen und es stolz zu präsentieren. Doch die Zeitreise in Sachen Ball-Mode birgt durchaus Gefahren: Während Originale Preise von bis zu 400 Euro erzielen, dominieren im Netz billige Nachbauten.
Die eingangs erwähnten Leiberln sind übrigens allesamt erhältlich: Auf der Plattform Etsy ist etwa das extrem begehrte Europameister-Trikot der Niederlande um 59,03 Euro inklusive Zollgebühr (9,84) und Versand aus den USA (13,50) zu haben. Etwas billiger gibt es Deutschlands Heimtrikot von 2006 bei Premierretros, das inklusive Versand auf rund 46 Euro kommt – freie Namen- und Nummern-Auswahl inkludiert. Und wer mit dem alten ÖFB-Leiberl bei der EM „narrisch“ werden möchte, legt bei Retrofootball aus Deutschland 59,95 Euro (ohne Versand) hin – allerdings für die schwarz-weiße Variante.
Allesamt sind es jedoch lizenzlose „Retro-Replikas“ – also Nachbildungen und damit Fälschungen – und haben mit den kratzigen Original-Baumwoll-Dressen früherer Tage nur das Äußere gemein. Wer den Retro-Chic hingegen gefühlsecht auf der Brust spüren will, muss zum jahrzehntealten Original greifen. Und braucht dafür ein dickeres Geldbörserl sowie gute Kondition bei der Suche. Im Dickicht der unterschiedlichen Dressen-Designs findet man ab den 1980er-Jahren zwar fast alles, aber nicht immer seinen Wunschjahrgang und muss auch altersbedingte Abnützungen in Kauf nehmen.
Stolze Preise
Wie überall gilt: Je seltener ein Exemplar, umso teurer wird es. Für Niederlande 1980 werden dann schon einmal 319,– Euro fällig, für Deutschlands 1990er-WM-Shirt 414,35 Euro und England 1992 in der roten Auswärtsvariante kommt auf 406 Euro. Zum Vergleich: Das aktuelle Nationalteamtrikot der „Three Lions“ kostet „nur“ knapp 100 Euro.
Alles, was matchgetragen und vielleicht auch noch handsigniert ist, kann einen wesentlich höheren Liebhaber- und Sammlerwert erzielen. Und je größer der Star, je bedeutender das Spiel, desto höher auch der Preis. Weshalb den Weltrekord auch Diego Maradona hält, dessen Trikot vom legendären WM-Viertelfinale gegen England 1986 (mit „Hand Gottes“ und dem Jahrhundert-Tor) vor zwei Jahren um 8,8 Millionen Euro versteigert wurde.
Der Fälschermarkt ist groß
Selbst die Klubs und Nationalteams kennen mittlerweile feine Abstufungen – je nach Ausrüster gibt es vom authentischen Matchtrikot in höchster Qualität (bis zu 150,–) über offizielle Replika-Shirts mit schön gestickten Wappen (100,–) bis zu Trainings- (50,–) oder gar nur Baumwoll-Fan-Trikots mit offiziellem Wappen (25,–) schon fast alles zu kaufen.
100-prozentige Sicherheit, dass das bestellte Retro-Trikot wirklich ein Original ist, gibt es laut Europäischem Verbraucherzentrum Österreich nicht – dazu bräuchte es ein Echtheitszertifikat des Marken-Ausrüsters bzw. des Fußballverbandes. Wichtig sei, den jeweiligen Onlineshop auf Seriosität genau abzuklopfen in Sachen Impressum, Company Registration Number (CRN), Kontaktmöglichkeiten, Rückgabe, Garantie, Versandkosten, Zollgebühren (etwa aus Großbritannien)
Hilfreich
Bei Zweifeln sollte der Shop auf www.watchlist-internet.at geprüft werden, hilfreich sind auch Bewertungen auf Trustpilot. Bezahlung unbedingt via Kreditkarte, damit das Geld bei Problemen rückgebucht werden kann. Vor der Plattform Etsy warnen die Konsumentenschützer ausdrücklich
Wenn der Ball rollt, rollt auch der Rubel. Im milliardenschweren Fälschermarkt mögen die Retro-Leiberln ein Nischendasein führen, für den Einzelnen kann es aber blöd ausgehen. Etwa, wenn die Ware gar nicht oder beschädigt ankommt, zumal so mancher Shop vorab Rückgaben und Umtausch ausschließt. Konsumentenschützer mahnen deshalb, zur Vorsicht.
Außerdem haben Untersuchungen immer wieder gezeigt, dass gefälschte Trikots gefährliche Chemikalien enthalten. Weil die Plagiate immer besser und oft auch die Hersteller-Etiketten nachgebaut sind, ist es oft unmöglich, diese zu erkennen. Selbst Profis müssen genau schauen, wie Doug Bierton, Chef von Classicfootballshirts, einmal erklärte: „Die kleinen Details sind entscheidend. Viele nachgemachte Trikots kann man ziemlich offensichtlich an Stoff, Stickereien oder Schildchen erkennen. Es gibt heute aber Shirts, die sehr nahe an die Originale rankommen.“
Für Sinisa Kulic vom Wiener Fachgeschäft „Radosport“ gibt es ein wesentliches Kriterium – den Preis: „Nationalteam-Trikots kosten derzeit alle so 100 Euro. Wenn ich irgendwo etwas um 20 Euro sehe, dann sollte mir das zu denken geben.“ Retro-Artikel hat er übrigens nicht im Sortiment, allerdings werden von Großereignissen immer Einzelstücke erfolgreicher Teams aufbewahrt.
Vollends undurchschaubar wird es jedenfalls für Fans, wenn Firmen wie Scoredraw als „offiziell lizenzierter Partner“ der Verbände auftreten, einzelne Dressen-Serien von früher neu auflegen und aktuelle Garnituren sowie Internetshops locker unterbieten. Das rote 90er-Auswärtstrikot der Engländer gibt es bei „Sports Direct“ etwa schon um 42 Euro – freilich mit dem nicht unwesentlichen Schönheitsfehler, dass das Logo des ursprünglichen Ausrüsters fehlt. Das Leiberl ist daher vielleicht originell, aber nicht original.
Behörden, Ausrüster und Verbände sind beim Spiel der Fälscher meist nur Zuschauer: Im Vorjahr hat der österreichische Zoll bei 218 Aufgriffen gerade einmal 815 Trikots konfisziert – und in Folge vernichtet.
KURIER-Style-Expertin Isabella Klausnitzer hat einen klaren Favoriten, was Österreichs schönstes Team-Trikot aller Zeiten betrifft – es sind die schwarzen Auswärtsdressen der 2000er-Jahre unter dem bekannt modeaffinen Hans Krankl. Etwa jenes von 2002 mit den roten Streifen unter der Achsel. „Das finde ich extrem schön“, meint Klausnitzer. Allerdings waren dies besonders magere Jahre für den heimischen Fußball, weshalb die Fans diese Dressen wohl eher nicht so in positiver Erinnerung haben. Ganz im Gegensatz zur Phase davor im Zuge der Qualifikation für Frankreich 1998, als mit Toni Polster,Andi Herzog und Co. letztmalig die WM-Teilnahme gelang. Allerdings in einem für Klausnitzer unvorteilhaften Outfit – schwarz-weißer Zebra-Look und weiter Bulky-Schnitt. „Hässlich“, urteilt die Expertin.
International haben für Klausnitzer eindeutig die Nationalteams mit blauen Shirts die Nase vorne: Zinedine Zidanes1998er-WM-Trikot mit den Querstreifen oder die Italiener mit ihrem revolutionärem, hautengem Trikot von 2000, das die 1990er-Ära der ausladenden Passformen endgültig beendete. „Mir ist körperbetont immer lieber, als diese Flatter-Leiberl – die finde ich scheußlich. Die Spieler haben alle Mega-Körper, warum müssen die ein weites T-Shirt anziehen?“, so Klausnitzer.
Bleibt die Frage, wer darf Fußballtrikots auch abseits von Stadion und Fanzone im Alltag tragen? Bis zum Volksschulalter sei alles erlaubt, meint die Style-Expertin – danach wird es schwierig: „Erwachsene Männer eigentlich nein! In der Arbeit hat das etwas Lächerliches.“ Ausnahme sei natürlich der kollektive Ausnahmezustand nach einem wichtigen Sieg. Dann könne man „meinetwegen“ auch schon einmal mit dem Österreich-Leiberl ins Büro marschieren. Und wie weit hinauf ist derlei Patriotismus dann erlaubt? Darf auch der Chef Rot-Weiß-Rot zum dunklen Anzug tragen? „Das kommt auf die Branche und auch auf den Humor des jeweiligen an“, meint Klausnitzer. Und auch darauf, ob jemand ein wirklich eingefleischter und nicht nur ein mitschwimmender Kurzzeit-Fan ist. „Dann trägt derjenige vielleicht auch das Team-Trikot unter dem Arzt-Kittel.“ Den Grad einer Fußball-Euphorie wird man also auch an den Nationalfarben in den Top-Jobs ablesen können.
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