Ginge es nach Uli Hoeneß, dann wäre Toni Kroos längst auf dem Schrottplatz der ausrangierten Fußballstars. „Toni Kroos hat in diesem Fußball nichts mehr verloren“, hatte der wortgewaltige Ehrenpräsident des FC Bayern München bereits im Sommer 2021 lautstark moniert.
Ihm sei kein anderer Spieler bekannt, der eine so antiquierte Art des Fußballs verkörpern würde. „Seine Art zu spielen, ist total vorbei.“
Jetzt weiß man nicht erst seit diesen Wochen, dass Uli Hoeneß sich bisweilen verbal verdribbelt und schneller redet, als er denkt. Jedenfalls kann er sich knapp drei Jahre nach seiner Expertise heute selbst ein Bild davon machen, wie alt Toni Kroos im Fußball von heute aussehen mag.
Geniestreich
Nach dem 2:2 in München treffen die Bayern im Semifinal-Rückspiel der Königsklasse auf die Königlichen von Real Madrid, bei denen immer noch der ach so antiquierte Deutsche im Spiel die Fäden zieht. Und zwar auf unnachahmliche Weise.
Erst im Hinspiel hatte der Weltmeister wieder einen dieser berühmten Toni-Kroos-Momente. So nennen spanische Journalisten jene Pässe, die der 34-Jährige völlig unangekündigt locker lässig aus seinem Fußgelenk schüttelt und damit die gegnerischen Reihen düpiert.
Kroos’ Vorlage zum 1:1 durch Vinicius jr. im Hinspiel war genau einer dieser Geniestreiche, für die sie den 34-Jährigen bei Real Madrid so lieben. Die FAZ huldigte diesen Toni-Kroos-Moment mit folgenden Worten: „Toni Kroos sieht Dinge, die anderen erst in Zeitlupe aus der Vogelperspektive bewusst werden.“
In Deutschland wurde über ihn nicht immer nur in höchsten Tönen geschwärmt. Kritiker verpassten dem Mittelfeldstrategen irgendwann den Kosenamen „Querpass-Toni“, weil sie sich mit seinem Kurzpassspiel nicht anfreunden konnten. Auch beim FC Bayern hielt man nicht wirklich große Stücke auf Kroos und ließ ihn im Sommer 2014 um 25 Millionen Euro zu Real Madrid ziehen – bei Spaniens Rekordmeister sprechen sie seither vom „Schnäppchen des Jahrhunderts“.
Bei Real Madrid genießt Toni Kroos die Anerkennung, die ihm in seiner Heimat oft und lange verwehrt geblieben war. Alle Trainer der Königlichen bauten im letzten Jahrzehnt auf den ballsicheren Deutschen, egal ob sie Zinédine Zidane oder wie jetzt Carlo Ancelotti heißen.
„Toni Kroos ist eine Legende“, sagt Carlo Ancelotti, der selbst Legendenstatus genießt. Kein anderer Trainer hat die Champions League häufiger gewonnen als der stoische Italiener (5).
In solchen Rekordsphären bewegt sich längst auch Toni Kroos. Nur Real-Madrid-Legende Paco Gento (6 Siege) kann aus der Steinzeit des Landesmeisterpokals mehr Titel in der Königsklasse vorweisen als der Deutsche, der mit Real Madrid Jagd auf Triumph Nummer sechs macht.
Bei dieser Mission ist der Routinier der Takt- und Ideengeber zugleich. Wenn der Deutsche nicht gerade einen seiner Toni-Kroos-Momente hat, dann zelebriert er die Kunst des Einfachen. Kroos ist bei Real der große Ballverteiler, der auch unter Druck und Platznot eine Lösung parat hat.
In den Statistiken finden sich Partien, in denen dem zentralen Mittelfeldmann kein einziger Ballverlust unterläuft. „Ich fühle mich wohler, wenn ich oft am Ball bin, weil ich das Gefühl habe, dass ich so viel mehr Einfluss nehmen kann.“
22 Titel hat Kroos im Trikot von Real schon gewonnen. In Madrid wird der Routinier verehrt. Spät aber doch hat man auch in Deutschland den Wert des Weltmeisters erkannt. Drei Jahre nach den Aussagen von Uli Hoeneß gab Kroos zuletzt gegen Frankreich ein Comeback im Nationalteam. Schon nach acht Sekunden traf die DFB-Elf – nach einem Pass des Rückkehrers.
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